Wie zuverlässig sind die Informationen der Experten?

Tageszeitungen, Sachbücher und auch Egonet – wir alle stützen uns auf Resultate aus Labors und Befragungen, um unser Wissen von der Welt zu erweitern. Doch wie vertrauenswürdig sind die Forscher? Wie können wir Nichtfachleute beurteilen, ob das auch stimmt, was die Experten uns mitteilen?

Von Churchill stammt das Bonmot: „Ich glaube nur an die Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Als Beispiel nennen Journalisten gern Anzahl der Störche und Geburtenrate. Beide nehmen ab. Muss der Statistiker daraus folgern, dass mehr Störche auch mehr Kinder bringen würden?

Natürlich nicht. Störche und Geburtenrate verbindet ein vermittelnder Faktor: Die Industrialisierung. Sie liefert Verhütungsmittel, treibt den Einfluss religiöser Verbote zurück und schränkt den Lebensraum der Vögel ein. Der Fehler liegt also nicht in der Statistik, sondern in ihrer Interpretation.

Dennoch gibt es in der Wissenschaft schwarze Schafe. Überall, wo krumme Wege schneller zum Ziel führen als die Mühsal der Geradlinigkeit, ist die Versuchung zum Betrug groß. Spektakuläre Entdeckungen und gutbezahlte Professorenstellen sind ein begehrtes Gut für jeden, der in der Forschung Karriere machen will. Um dahin zu gelangen, braucht das Nachwuchstalent viele Veröffentlichungen und Aufsehen erregende Resultate. Wenn der junge Absolvent nun drei Jahre forschte und am Ende kein eindeutiges Ergebnis erhielt? Da braucht es viel Charakterstärke, die Niederlage einzugestehen und einem andern die erhoffte Auszeichnung zu gönnen. Warum nicht statt dessen ein bisschen an den Laborwerten manipulieren?

Fälschung in der Forschung hat eine lange Tradition. Auch die Großen früherer Jahrhunderte waren nicht frei davon. Zum Beispiel Galilei. Hat Ihnen Ihr Physiklehrer auch die schöne Geschichte erzählt, wie Galilei auf den schiefen Turm zu Pisa stieg und von dort zwei Kugeln fallen ließ – die eine aus Holz mit 1 Pfund, die andere aus Eisen mit 100 Pfund Gewicht? Und wie beide gleichzeitig aufschlugen? Was bewies, dass die Fallgeschwindigkeit vom Gewicht der Gegenstände unabhängig ist? Nun, 1978 machten sich zwei Forscher die Mühe, das Experiment zu wiederholen. Das Ergebnis: die Kugeln schlugen kurz nacheinander auf. Was nicht verwunderlich ist. Das Fallgesetz, wie wir es in der Schule gelernt haben, gilt nur im luftleeren Raum. Der Luftwiderstand bremste die leichtere Holzkugel stärker ab als die eiserne. Der gute Galilei hatte seine Formel aus theoretischen Überlegungen abgeleitet und das Experiment dazu erfunden. Und Glück gehabt. Spätere Forschungen, insbesondere die Theorie Newtons, gaben ihm Recht.

Apropos Newton. Der machte es übrigens genauso. Seine Theorie der Schwerkraft entstand ebenfalls zuerst in seinem Kopf. Seine Berechnungen ergaben für die Fallbeschleunigung einen Wert von 9,72 Meter pro Sekunde zum Quadrat. Sein Kollege Christian Huygens maß später in Paris 9,8. Der Unterschied von 8 Zentimetern war ein Lappalie, wenn man bedenkt, dass Newtons Berechnungen auf der Riesenentfernung Erde – Mond beruhten. Dennoch kam Huygens dem tatsächlichen Wert von 9,806 näher. Wo liegt die Ursache? Zur damaligen Zeit war die Entfernung Erde – Mond noch gar nicht bekannt. Man war auf Schätzungen angewiesen. Newton hatte als Entfernung das 60fache des Erdradius angesetzt. Warum das 60fache? Weil sich mit dieser runden Zahl so schön rechnen ließ.

Ist es bei dieser Tradition ein Wunder, dass mancher Jungforscher den Weg an die Spitze abkürzt, indem er spektakuläre Ergebnisse einfach erfindet? 1997 flogen die Krebsforscher Friedhelm Herrmann und Marion Brach auf, beide Professoren und bis dahin hoch angesehen. Nur durch die mutige Aussage eines jungen Angestellten aus Herrmanns Labor kam der Schwindel ans Licht. Mindestens 47 ihrer Fachartikel beruhten auf gefälschten Resultaten.

Das ist nur die Spitze des Eisberges. Der Ärzte-Informationsdienst „Arzneitelegramm“ veranlasste eine Stichprobe. „Von den letzten 32 Studien, die wir im Arzneimittel-Telegramm als weltweite Multicenterstudien untersucht haben, waren sieben gefälscht“, berichtete Mitherausgeber Peter S. Schönhöfer im Dezember 2003 in der 3sat-Wissenschafts­sendung „Nano“. Sollte diese Quote keine Ausnahme sein, gäbe es eine enorm hohe Dunkelziffer mit gefährlichen Folgen. Schließlich geht es um Substanzen, die Kranke heilen sollen.

Warum werden Betrüger nicht sofort entlarvt? Es liegt nicht zuletzt daran, dass die Fälscher schöne, runde Zahlen liefern, die nach Klarheit, Einfachheit, und damit nach Wahrheit aussehen. Unentdeckt bleiben sie aber nur, wenn sie auf unwichtigen, abseitigen Gebieten forschen. Wer in einem spannenden Sektor der Erkenntnis unterwegs ist, muss davon ausgehen, dass Kollegen seine Resultate aufgreifen, um von ihnen aus weiterzuforschen. Spätestens dann kommen die Fälschungen ans Licht. Die Wissenschaft ist ein sich selbst korrigierendes System. Wenn ein Medikament mehr schadet als nützt, werden Ärzte, die es anwenden, bald darüber berichten. Selbst wenn von 1000 Kollegen 990 schweigen. Zehn Mutige genügen, um im Verbund mit sensationslüsternen Journalisten eine Lawine auszulösen, die Betrügern den Hals bricht.

Auch für den Nichtfachmann gibt es Chancen, Fälschungen zu erkennen. Misstrauen ins angebracht, wenn ein Resultat

  • zu 100 Prozent oder zu Null Prozent zutrifft. Kein Medikament wirkt immer, keine Nebenwirkung tritt bei allen ein. Wenn Sie derartige Behauptungen lesen, haben Sie es mit Gutgläubigen oder mit Schwindlern zu tun. Medikamente zum Beispiel wirken stets zu mindestens 30 Prozent – eine Folge des Placebo-Effekts – und höchstens zu 70 bis 80 Prozent, weil Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten und individuelle Besonderheiten dem Arzt einen Strich durch die Rechnung machen.
  • zu schön ist, um wahr zu sein. Etwa, wenn es unsere heimlichen Wünsche bestätigt. Hat einer herausgefunden, dass es gesünder ist, im Fernsehsessel zu sitzen als zu joggen, reichlich Fett zu essen statt Obst und Gemüse, über die Stränge zu schlagen statt mäßig zu leben – dann sollten Sie genau prüfen, wie der Forscher das herausgefunden haben will. Betrüger machen sich gern unsere Vorurteile und unsere Bequemlichkeit zunutze.
  • allem bisherigen Wissen widerspricht. Kopernikus stand zwar im Widerspruch zur Kirche, aber nicht zum Wissen seiner Zeit. Das bisherige Ptolemäische System, das die Sonne um die Erde kreisen ließ, benötigte sehr komplizierte Zusatzannahmen, um die Sternenbewegungen zu erklären. Das Kopernikanische System war einfacher und stand im Einklang mit den Beobachtungen. Zwar sind Forschungen, die alles bisherige umstoßen, nicht auszuschließen. Aber sie sind so selten wie ein Fünfer im Lotto. Die Welt ist etwas Ganzheitliches. Da in ihr alle Naturprozesse miteinander verbunden sind, sind es auch die Fakten, die wir von der Welt kennen.
  • nicht durch Beobachtung oder auf anderen Wegen nachgeprüft werden kann. Betrug kommt fast immer dadurch ans Licht, dass ein anderer Forscher die Experimente nachmacht und nicht das beobachtet, was der Urheber beobachtet haben will. Selbst Einstein fand einen Weg, seine Theorie zu beweisen. Bei einer bestimmten Sternenkonstellation konnte die Ablenkung des Sternenlichts durch die Schwerkraft der Sonne gemessen werden, die nach seiner Relativitätstheorie eintreten muss. 1918 nahmen Astronomen diese Messung vor und zeigten so, dass die neue Theorie näher an die Wahrheit herankam, als die klassische Physik.

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    Januar 2004 © by www.berlinx.de

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