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Von den 68ern bis zu den Kuschel Kids

Der Erfolg der „Generation Golf“ beweist: Ein rasantes Interesse an den Lebensläufen unserer Zeitgenossen ist erwacht. Sie halten uns den Spiegel vor, in dem wir unsere eigene Biographie betrachten. Wie weit war unser Leben einmalig? Oder haben wir nur die Irrtümer aller geteilt? Egonet hat die Antwort.

Die 68er Generation verfügte jahrzehntelang über ein Monopol in der Öffentlichkeit. Immer wieder peinigten uns die Veteranen der Hippiezeit mit ihren Geschichten von Studentenrevolte, Woodstock und sexueller Revolution. Inzwischen ist ihr „Marsch durch die Institutionen“ erfolgreich abgeschlossen. Sie sitzen an den Hebeln der Macht und sind selber das Establishment geworden, vor dem sie einander immer gewarnt hatten. Aus revoltierenden Studenten wurden arrivierte Professoren, Woodstock ist ein Touristenziel und statt freier Liebe pflegen enttäuschte Singles ihr verletztes Ego.

Gelangweilt von ihrem nostalgischen „Das waren noch Zeiten“ haben sich die nachfolgenden Generationen auf sich selbst besonnen. Haben nicht auch die Teenager der 70er, 80er und 90er Jahre eigene typische Erfahrungen zu berichten? Haben nicht auch sie dieses Land geprägt? In den letzten Jahren erschienen eine Reihe von Generationenporträts, die diese Fragen positiv beantworten. Da wären:

Die 78er oder Generation Z. Z steht für „Zaungäste“. So bezeichnete der SPIEGEL-Redakteur Reinhard Mohr die in den 50er Jahren Geborenen, die nur noch die Nachwehen der 68er Revolte erlebten. Angesichts von RAF-Terror, Ölkrise und Umweltskandalen fand bei ihnen ein Umdenken statt: Keine Utopien mehr, sondern Genuß der unmittelbaren Gegenwart. Für diesen Trend waren die Bedingungen ideal. Befreiter Sex, aber noch kein AIDS. Ende des ungebremsten Wirtschaftswachstum, düstere Zukunftsperspektiven. Kurz, bisher war es immer besser geworden, aber es konnte nur noch schlechter werden. Zugleich war das Leben eine permanente Krise. Ob Beziehung, Berufsaussichten, Treibstoffknappzeit oder Waldsterben – man richtete sich im Vorläufigen ein.

Die 89er oder Generation Golf. Die um 1970 Geborenen erlebten ihre Teenager-Zeit in den Jahren vor der Wiedervereinigung, laut Florian Illies (Jahrgang 1971) das langweiligste Jahrzehnt der Bundesrepublik, geprägt von Modern Talking und Wetten, daß. Im Gegensatz zu den 78ern weitgehend konfliktfrei, ich-bezogen und von gesellschaftlichen Erfolgsmeldungen verwöhnt: erst kam die Wiedervereinigung, dann der Boom der Computer und New Economy. Um so tiefer das Loch, in das die „Golfer“ nach dem Aktien-Crash und dem 11. September 2001 stürzten. Während Florian Illies im ersten Teil seines Buches eine sympathische Selbstironie pflegte, herrscht in Teil 2 blanke Wehleidigkeit.

Die Millenium Generation oder Kuschel Kids. Eigentlich ist es noch zu früh, eine Bilanz der Ende der 80er Geborenen zu ziehen. Aber wenn Daniel Küblböck schon seine Autobiographie veröffentlicht, ist ein Vergleich mit den Vorgängern kaum zu vermeiden. Der Begriff „Generation Kuschel“ stammt aus einer Studie des Kölner Rheingold-Institutes für qualitative Marktforschung. Sie beschreibt zugleich die wesentlichen Kennzeichen der heute 20jährigen: „Erfolg“ und „Sicherheit“ sind ihre Schlagworte. Ihr Lebensbild unterscheidet sich radikal von den 68ern. Statt Konfrontation suchen sie nach Bindung in einer atomisierten Ego-Gesellschaft. Die Mehrheit ist Single. Da Beziehungen wegen überzogen romantischer Ansprüche kaum noch gelingen, knüpfen sie Netzwerke. Zu deren Stützen nicht nur Freunde, sondern auch die Eltern gehören. Während die 68er möglichst schon mit 16 von zu Haus flüchteten, richten sich die Kuschel Kids im „Hotel Mama“ ein, wo sie Zuneigung, Verpflegung und Geld finden. Während die Generation Golf von der Wirtschaftskrise überrascht wurden, richten sich die Jüngeren gleich auf ein Leben im Abschwung ein.

Dem Zeitgeist der Kuschel Kids ist auch die Flut der Generationenporträts zu verdanken. Frauen von Anfang 30 sind die „Generation Ally“, benannt nach ihrer Lieblingsserie. Die Vorgänger der 68er beklagen als „Generation Plus“ das Schicksal des Altwerdens. Die Ostdeutschen der 80er bekamen als „Zonenkinder“ ihren eigenen Sonderstatus. Und der russische Schriftsteller Viktor Pelewin nannte die Jugendlichen seiner Heimat, die nach Gorbatschow als erste mit der westlichen Konsumwelt in Kontakt kamen, „Generation Pepsi“.

Die Generation Golf befand sich noch auf dem Egotrip. Bloß niemandem ähneln! Die individuelle Einzigartigkeit betonen – in Outfit, Lebenslauf und Selbstdarstellung! Doch angesichts der Krise hat es etwas Beruhigendes zu wissen, dass meine Fehler und Umwege nicht mein persönliches Schicksal darstellten. Mein Handeln war lediglich typisch für meine Generation.

Lesetips:
Christa Geissler, Monika Held: Generation Plus. Von der Lüge, daß Altwerden Spaß macht. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2003.
Florian Illies: Generation Golf. Eine Inspektion. Argon Verlag 2000, und als S. Fischer Taschenbuch.
Florian Illies: Generation Golf Zwei. Blessing Verlag 2003.
Kullmann, Katja: Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. S. Fischer (Taschenbuch) 2003.
Volker Marquardt: Das Wissen der 35-Jährigen. Argon Verlag Berlin 2003.
Reinhard Mohr: Generation Z oder Von der Zumutung, älter zu werden. Argon Verlag 2003.
Viktor Pelewin: Generation P.. Volk und Welt 2000

Oktober 2003 © by www.berlinx.de

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