Mitte Januar 2005 erregte ein Gerichtsurteil in letzter Instanz Aufsehen. Ein Mann bewies, dass er nicht der Vater des Kindes ist, für das er zahlen soll. Doch die obersten Bundesrichter in Karlsruhe entschieden, diesen Beweis nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ein Urteil mit weitreichenden Folgen.
Der Mann hatte per DNA-Test nachgewiesen, dass er nicht der Vater seines Kindes ist. Ein Nachweis, der eindeutig und nicht zu widerlegen ist. Das spielt keine Rolle, entschieden die Richter am Bundesgerichtshof (BGH), der Test wurde ohne Einverständnis der Mutter durchgeführt und darf daher nicht als Beweismittel verwendet werden.
Bisher war es sehr einfach. Der (vermeintliche oder tatsächliche) Vater besorgte sich ein Stück Genmaterial – z.B. ein Haar – des Kindes, sandte es zusammen mit Genmaterial von sich selbst an ein Labor und ließ die Ähnlichkeit überprüfen. Mir annähernd 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit wusste er anschließend, ob er der Vater ist.
Damit soll jetzt Schluss sein. Die Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte ein Gesetz an, dass diese Praxis verbieten soll. Wer in Zukunft Gentest ohne Zustimmung aller Betroffenen durchführt, kann dann sogar mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Stein des Anstoßes: Das Genmaterial ist Eigentum des Besitzers. Bei einem Kind ist der Besitzer der erziehungsberechtigte Elternteil, also fast immer die Mutter. Hat sie kein Interesse, dass der zahlende Vater an seiner Vaterschaft zweifelt, dann gilt die Entwendung eines Haares des Kindes als Diebstahl an seiner zu schützenden Privatsphäre.
Der Hinweis auf Schutz der Daten und der körperlichen Privatsphäre ist irreführend. Denn beim Test werden nur 16 kurze Abschnitte der DNA überprüft, die gar keine Erbinformation enthalten. Es handelt sich um Teile der so genannten Junk-DNA, funktionslose Abschnitte, die weder etwas über die Intelligenz, noch das Aussehen, noch körperliche Eigenschaften des Trägers irgendeine Auskunft geben können.
Das ist der Grund, warum sie von Mensch zu Mensch so stark variieren, dass Labors durch ihren Vergleich die Identität und Verwandtschaft von Individuen feststellen können. Ihre Beschaffenheit hat keine Auswirkungen auf die Gesundheit ihres Besitzers, da sie in den Zellen nicht genutzt wird, um körpereigene Eiweiße herzustellen. Lebenswichtige DNA-Teile sind dagegen für fast alle Menschen gleich. Eine Abweichung wäre bei ihnen in vielen Fällen gleichbedeutend mit einer bedrohlichen Erbkrankheit. Die Bezeichnung „genetischer Fingerabdruck“ ist daher sehr zutreffend. Auch der klassische Fingerabdruck identifiziert die Person, verrät aber nichts über ihre Persönlichkeit.
Für die zweifelnden Väter wäre ein Verbot übrigens kein Hindernis. Sie schicken dann die DNA-Proben von Vater und Kind einfach an ausländische Labors, zum Beispiel nach Großbritannien. Wer wissen will, ob er vielleicht für ein fremdes Kind sorgt, wird sich auch in Zukunft Gewissheit verschaffen können. Allerdings schlägt die Neuregelung eine weitere Lücke in die Glaubwürdigkeit unseres Rechtssystems. Denn ob ein Mann zur Unterhaltszahlung verurteilt wird, hängt nicht mehr von der Wahrheit ab, sondern von den Interessen der Mutter – und ob der Vater es sich finanziell leisten kann, ihre Angaben ohne DNA-Test in einem aufwändigen Gerichtsverfahren zu widerlegen.
Oft vergessen wir, dass auch Mütter solche Tests durchführen lassen, um zu erfahren, wer von zwei oder mehr möglichen Männern der Vater ihres Kindes ist. Auch sie würden sich in Zukunft strafbar machen, wenn sie sich heimlich Haare oder Speichelspuren der Männer beschaffen und testen lassen.
Damit kann ein Kind neuerdings drei mögliche Väter besitzen
1. Den biologischen Vater: der Mann, dessen Erbmaterial das Kind trägt
2. Den sozialen Vater: der Mann, der das Kind erzogen hat, an dessen Werten, Vorlieben und Abneigungen es seinen Charakter geformt hat
3. Den juristischen Vater: der Mann, der in den Urkunden als Vater verzeichnet ist und für das Kind zahlt, auch wenn er weder biologisch noch sozial irgendetwas mit dem Kind zu schaffen hat
Am meisten freuen sich über die Neuerung die Anwälte. Denn nun müssen die vermeintlichen Väter vor Gericht das Einverständnis der Mutter zu einem DNA-Test erzwingen. Das führt zu einer Welle von Klagen, Gegenklagen, Widersprüche, Gutachten – also all den Prozeduren, die Gerichtsverfahren so schön langwierig und teuer machen.
Doch vielleicht kommt alles ganz anders. Der Mord an dem Münchener Modezaren Rudolph Moshammer, den die Polizei dank einer DNA-Analyse schnell aufklären konnte, ließ Politiker nach einem genetischen Fingerabdruck für jedermann rufen. Sollte die Genanalyse als allgemeines Fahndungsmittel anerkannt werden, wird es den Juristen sehr schwer fallen, ausgerechnet Vaterschaftsprozesse aus diesem Trend herauszuhalten.
Veröffentlicht im Februar 2005 © by www.berlinx.de
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