Vom Glück, Dinge nicht ändern zu können
Wie oft haben Sie sich schon geärgert, machtlos zuschauen zu müssen?
Oder haben Sie noch nie geträumt, göttliche Allmacht zu besitzen und es allen mal so richtig zu zeigen?
Seien Sie froh, dass dies für immer ein Traum bleibt, sagt die Philosophie.
Da nimmt Ihnen einer frech die Vorfahrt, zeigt noch den Stinkefinger und kommt ungestraft davon. Reiche parken ihre gesamten Millionen in Liechtenstein, während Sie von Ihren paar Kröten Monat für Monat dreißig und mehr Prozent Steuern abdrücken müssen. Konzerne ruinieren für ihren Profit die Umwelt, und keiner der hoch bezahlten Politiker unternimmt etwas dagegen. Alle reden von Demokratie, aber Sie haben nichts mitzubestimmen. Sie dürfen lediglich alle vier Jahre Ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen. Ändern können Sie damit nichts.
Warum müssen wir ohnmächtig zuschauen? „Ohnmacht“ kommt von „ohne Macht“. Sie ist verantwortlich für die verbreitete Unzufriedenheit trotz Wohlstand. Zahlreiche Studien belegen: Ohnmachtsgefühle schädigen die Gesundheit, verursachen Depressionen, Selbstmorde und Burnout. Je komplexer die Gesellschaft, desto weniger Einfluss hat der Einzelne auf den Gang der Dinge. Welchen Ausweg gibt es aus der Unmündigkeit? Was haben die Philosophen herausgefunden, die seit der Antike die Gesetze der Macht untersuchen?
Wer auf philosophische Rezepte hofft, die Macht der Mächtigen zu beschneiden, sieht sich enttäuscht. Fast alle Philosophen haben sich von der Macht fern gehalten. Platon wollte einst, dass der Staat von Philosophen regiert wird. Sein eigener Versuch, auf Sizilien mitzuregieren, scheiterte kläglich und brachte ihn ins Gefängnis. Aristoteles und Seneca waren Lehrer späterer Herrscher. Doch die Namen ihrer Zöglinge – Alexander der Große und der römische Kaiser Nero – zeigen uns schon, dass das Handeln ihrer Schüler von Machtgelüsten und nicht von philosophischer Weisheit geprägt war.
Jesus lehrte in der Bergpredigt den Gewaltverzicht. Seitdem gehören Aktionen, die auf Gegenwehr verzichten – z.B. Massenboykott – zum Repertoire erfolgreicher Protestaktionen von unten. Doch die, sich auf Jesus berufene Kirche entwickelte sich selbst zu einer Machtinstitution von oben, die in seinem Namen folterte, hinrichtete und Kriege entfesselte.
Machiavelli schrieb in der Renaissance eine Machtanleitung für Fürsten. Das war eine kluge Taktik für das Herrschen in unsicheren Zeiten. Er empfahl kurzfristige Bündniswechsel, jeden Vorteil wahrzunehmen und sich nicht lange mit moralischen Bedenken aufzuhalten.
Karl Marx dachte schließlich über die Macht gesellschaftlicher Klassen nach. Er wollte den verelendeten Proletariern helfen. Doch die erfolgreichsten Anwender seiner Theorie waren nicht selbstlose Demokraten, sondern Diktatoren wie Stalin und Mao Tse-tung .
Die Mehrheit der Philosophen ahnte, dass Macht ihre Inhaber vergiftet. Sie haben sich daher von der Versuchung der Macht ferngehalten. Sie empfahlen auch ihren Schülern, die Sphäre der Mächtigen zu meiden. Es fällt auf, wie wenige Philosophen versucht haben, selbst Macht zu erlangen um ihre Theorien in der Praxis durchzusetzen. Dafür gibt es gute Gründe.
Wer Macht ausübt, muss die Macht von anderen begrenzen. Die so Ausgebremsten werden sich mit ihrer Niederlage kaum zufrieden geben. Sie werden vielmehr versuchen, ihren verlorenen Einfluss zurückzuerobern. Schon ist der heißeste Machtkampf im Gange. Selbst wenn die „gute Sache“ am Ende gewinnt – es geht nicht ohne Opfer ab. Schlimmer noch, die gute Sache verwandelt sich unter dem Zwang zum Machterhalt in eine schlechte Sache, wie die Revolutionen des 20. Jahrhunderts beweisen.
Es steckt daher viel Weisheit in dem bescheideneren Anspruch, erst einmal sich selbst zu verändern und durch sein Beispiel seine unmittelbare Umgebung zu bessern. In ihrer Mehrheit setzten die Philosophen auf Aufklärung, die Kant als Heraustreten des Menschen „aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ bezeichnete.
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Veröffentlicht im Oktober 2010 © by www.berlinx.de
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