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Müssen wir uns vor dem Nicht-Mehr-Sein fürchten?

Eines der wichtig­sten Motive für die Beschäf­tigung mit Philo­sophie ist die Todes­angst. Wer nicht an Jen­seits glaubt – kann dem Ver­nunft und Denken Trost verschaffen?

Von Epikur stammt der berühmte Satz: „Denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir nicht mehr.“

Wovor fürchten wir uns genau, wenn wir uns vor dem Tod fürchten? Vor dem Nichtsein? Das hatten wir auch schon vor der Geburt wunderbar ertragen. Und wir erleben es wieder Nacht für Nacht. Jeden Abend sinken wir schlafend ins Nichtsein. Würden wir da eines Morgens nicht mehr aufwachen, wäre es traurig für unsere Nächsten – wir selbst würden es nicht bemerken.

Hand aufs Herz – vertreibt diese Überlegung wirklich die Angst vor dem Tod? Warum sonst hätten nach Epikur Hunderte von Denkern versucht, andere Antworten zu finden? Hier eine kleine Auswahl:

  • Der Tod ist nur der Übergang ist ein glücklicheres Dasein (Christentum, Islam)
  • Die Seele geht in eine neue individuelle körperliche Existenz über (Wiedergeburt)
  • Leben und Tod sind eins, nur für den Unerleuchteten sind sie verschieden (Zen)
  • Das Leben ist eine Quelle von Kummer und Unglück, der Tod erlöst uns vom vergeblichen Streben nach Glück (Stoizismus)
  • Leben heißt Freiheit, denn egal wie ich handle, ich bezahle am Ende auf jeden Fall mit dem Tod (Existentialismus)
  • Mit seinem Tod ermöglicht das Individuum die Erhaltung der Art (Natur­wissenschaft)

Manche Ideologien weigerten sich schlicht, den Tod zur Kenntnis zu nehmen. Im DDR-Wörterbuch der marxistisch-lenini­stischen Philosophie fehlte das Stichwort „Tod“. Auch im Westen geriet der Tod aus dem Blickfeld. Nicht nur in der Theorie. Das Sterben von Angehörigen verschwand aus den Wohnzimmern in die Kliniken, aus der Fürsorge von Angehörigen in die Berufs­tätigkeit von Spezialisten. Heute sterben weniger als zehn Prozent noch im eignen Heim.

Einige Philosophen sprachen daraufhin vom „Todestabu“ der Moderne. Doch das ist ein Trugschluss. Der Tod ist durchaus allgegenwärtig. Noch nie begegneten uns soviel Sterbende wie heute. Zu Dutzenden flimmern sie täglich als Mordopfer über die Bildschirme. Nachrichten zählen uns die täglichen Opfer von Gewalt, Hunger, Hurrikans und Unfällen auf. Die Medien senden uns einen merkwürdige Art von Trost: „Sieh nur, wie viele täglich umkommen – und du bist wieder mal verschont geblieben.“

Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die wissen, das sie sterben werden. Das ist der Preis, den wir für Bewusstsein und Intelligenz zahlen müssen. Für den Umgang mit diesem Wissen hat uns die Evolution schlecht ausgerüstet. Auch Religionen können die Todesfurcht nicht bannen, wie entsprechende Studien zeigen (siehe unseren Beitrag Glauben). Genau genommen, tritt die Todesfurcht in zwei Formen auf:

Furcht vor dem Nichtsein. Wir haben sinnliche Eindrücke, wir tragen in unserem Gedächtnis jede Menge persönliche Erinnerungen, wir leben und fühlen – das soll eines Tages auf einmal nicht mehr sein? Wären wir nie geboren worden, wäre auch unser Nichtsein nach dem Tode kein Problem.

Furcht vor dem Sterben. Laut Befragungen fürchten viele Menschen nicht den Tod selbst, sondern den Weg dorthin. Vor allem die tödliche Krankheit und mögliche Schmerzen. Diese zweite Furcht hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Bis ins 19. Jahrhunderte haben Millionen von Menschen körperliches Leiden ertragen – und hatten keines der modernen Schmerzmittel zur Verfügung.

Kann die Philosophie einen hilfreichen Weg bieten, die Angst zu bewältigen? Durchaus. Allerdings weniger in tröstlichen Sprüchen à la Epikur. Sie lehrt vielmehr, wie wir unser Leben gestalten müssen, um den Tod nicht zu fürchten. Das Wichtigste: War mein Leben für mich sinnvoll, fällt der Abschied leicht.

Revolutionäre, Entdecker und selbstlose Helfer nahmen oft Todesgefahren auf sich, weil sie vom Sinn ihres Tuns überzeugt waren. Wer dagegen isoliert und gelangweilt in den Tag hineinlebt, hat viel Muße sich vor dem Tod zu fürchten. Dazu kommt der Gedanke: Ich habe doch noch gar nichts erlebt, was meinem Leben Sinn gibt, und soll schon sterben?

Epikur hatte seinen Lebenssinn gefunden. Abseits der Kriegswirren seiner Zeit gründete er im Jahre 306 v.Chr. seine philosophische Schule in Athen, wo er mit Gleichgesinnten nach Erkenntnissen und Gemütsruhe suchte. Sein Lebenssinn half ihm, über Jahre ein quälendes Nierenleiden standhaft zu ertragen, an dem er schließlich mit 69 Jahren starb.

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Sinn und Existenz Warum Philosophieren mehr ist als bloßes Nachdenken

Veröffentlicht im November 2010 © by www.berlinx.de

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