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Gibt es etwas Typischeres an Mann und Frau als das Interesse am anderen Geschlecht? Heute fragen wir in unserer Serie: Was ist das Typische an der „untypischen“ Homo- und Bisexualität?

Bei den antiken Griechen war Bisexualität erwünscht – zumindest bei den Männern. Die Frau war für Ehe und Kinder da, aber die wahre Liebe widmete der gebildete Mann einem männlichen Schüler. Das Christentum dagegen verdammte den „widernatürlichen“ Verkehr. Bis in jüngste Zeit war die gleichgeschlechtliche Liebe Verfolgungen ausgesetzt.

Seit hundert Jahren interessiert sich die Wissenschaft für das Phänomen. Forscher bemühten sich, die Schwulen und Lesben zu entkriminalisieren. Wer seinesgleichen begehrt, ist weder krank noch moralisch verdorben. Er oder sie liebt lediglich anders als die Mehrheit. Doch warum interessiert sich in allen Kulturen eine Minderheit für das eigene Geschlecht? Nach der Evolutionstheorie hätten Homosexuelle längst ausgestorben sein müssen, da sie keine eigenen Nachkommen hinterlassen – also ihre Gene nicht weitergeben.

Sigmund Freud gab folgende Erklärung: Von Natur sind wir alle bisexuell.– die einen etwas mehr, die anderen weniger. Wir alle tragen weibliche und männliche Anteile in uns. Und der weibliche Anteil im Mann macht diesen fähig, auch Männer zu lieben. Auch Alfred Kinsey vertrat diese Meinung. Er begründete sie mit seinen Befragungen im Rahmen seines Kinsey-Reports. Viele Verheiratete hatte ihm von gelegentlichen sexuellen Kontakten mit dem eigenen Geschlecht berichtet, vor allem in Zeiten der Pubertät.

Eine weitere Unterstützung kam mit der Entdeckung, dass in den Adern beider Geschlechter männliche und weibliche Hormone kreisen. Nicht nur Männer sind Testosteron-gesteuert. Auch Frauen produzieren Testosteron, wenn auch nur ein Zehntel der Menge des Mannes. Umgekehrt wandeln Männer einen kleinen Teil ihres Testosterons in weibliche Hormone wie Östrogen um (beide Hormone sind chemisch eng verwandt). Damit schien das Geheimnis der Homosexualität geklärt. Sie stirbt in der Evolution nicht aus, weil jeder von Natur bisexuell ist..

Aber bald meldeten sich Zweifel an dieser plausiblen Theorie. Man findet in der Bevölkerung einfach kein Kontinuum zwischen Hetero- und Homosexualität. Trotz der sexuellen Revolution blieb der Zahl der Homo- und Bisexuellen relativ klein. Die meisten bekennen sich eindeutig zu nur einem Geschlecht. Dazu kommt eine Beobachtung an schwulen Männern. Viele von ihnen fühlen sich besonders männlich. Sie lieben Männer durchaus nicht mit ihrem weiblichen Seelenanteil, sondern im vollen Bewusstsein ihrer Männlichkeit. Umgekehrt fühlen sich viele lesbische Frauen besonders weiblich. Sie lieben Frauen, weil sie einfühlsamer und sanfter sind als Männer.

Forscher aus Toronto (Kanada) haben bekennende Bisexuelle in ihr Labor geladen. Sie haben ihnen Bilder von attraktiven Männern und Frauen gezeigt und dabei zugleich ihre körperliche Erregung gemessen. Das überraschende Ergebnis: Die meisten Versuchspersonen waren homosexuell. Sie gaben zwar an, dass sie die Bilder von Männern und Frauen gleich erregend fanden. Körperlich reagierten sie jedoch nur auf das eigene Geschlecht. Eine bisexuelle Veranlagung fanden die Forscher nicht einmal bei den aktiven Bisexuellen, also erst recht nicht bei jedermann. Biologisch sind wir entweder eindeutig homo- oder heterosexuell. Das bisexuelle Interesse für ein zweites Geschlecht ist kulturell erworben.

Dagegen liegt der Homosexualität ein genetischer Faktor zugrunde. Es handelt sich um eine Veranlagung. Bleibt die Eingangsfrage: Warum ist sie in der Evolution nicht ausgestorben? Forscher der Universität von Padua fanden die zuständigen Gene im mütterlichen Erbgut. Weibliche Verwandte von homosexuellen Männern (Tanten, Nichten, Cousinen) auf der mütterlichen Seite hatten im Durchschnitt mehr Nachkommen als die von der väterlichen Seite. Oder anders gesagt: Während diese Gene Männer schwul machen, erhöhen sie bei Frauen die Fruchtbarkeit. Dadurch bleiben diese Gene erhalten, obwohl die Männer selbst keine Nachkommen haben.

Während schwule Männer gut erforscht sind, ist über weibliche Homosexualität wenig bekannt. Seit Jahren streiten die Experten, ob bei Frauen ähnliche Zusammenhänge gelten oder ob lesbische Liebe vor allem ein Kulturprodukt ist. Feministische Forscherinnen haben diese Frage zwar heiß diskutiert, aber nie ernsthaft erforscht. Für die Liebespraxis ist die Frage nach Genen und Kultur ohnehin zweitrangig. Da frage ich vielmehr: Warum verliebe ich mich unter Tausenden gerade in diese(n) Eine(n)?

Veröffentlicht im September 2005 © by www.berlinx.de

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