Romantische Gefühle nicht nur zur Weihnachtszeit

Warum verbinden wir Ker­zen­licht mit ro­man­ti­schen Gefüh­len? Warum be­leuch­ten wir den ei­ge­nen Weih­nachts­baum elektrisch, mei­nen aber, das sei nur die zweit­beste Lösung? Was hat die echte Kerzen­flamme, was Kunst­licht nicht hat?

Fabian hat Anja zum ersten Mal bei sich zu Gast. Nur auf ein Glas, sagte sie. Wie kann er ihr Zögern überwinden? Fabian öffnet eine Flasche Wein, zündet eine Kerze an und schaltet die Wohnzimmer­leuchte aus. Sie kuschelt sich an ihn. Gemeinsam schauen sie in das flackernde, warme Wachs­licht, während sich sein Mund ihren Lippen nähert.

Kerzenlicht ist ein Überbleibsel des vorin­dustriellen Zeitalters. Heute beherrscht Neonlicht unsere Städte. LED-Leuchten gelten als der neueste Schrei. In den Fach­geschäften dominieren Halogen- und Energie­sparlampen. Ein Außer­irdischer, der Europa besuchte, bekäme ein völlig falsches Bild von unseren Bedürfnissen. Denn in Wahrheit wünscht sich die Mehrheit die gute alte Glüh­lampe zurück. Wer es richtig romantisch mag, dem ist selbst Edisons Erfindung zu industriell. Vor allem Frauen blühen erst bei Kerzen­licht innerlich auf.

Sigmund Freud griff in seiner Erklärung einst auf den Penisneid zurück. Nicht das Licht, sondern die Kerze selbst sei das Objekt der Begierde. Kerzen haben die Form des männlichen Glieds. Vor Erfindung des Vibrators haben Kerzen gelegentlich als künstlicher Ersatz gedient. Aber so prickelnd diese Erklärung ist: Warum erwecken Kerzen dann romantische und nicht sexuelle Begierden? Warum erzeugen Hammer­griffe, Besenstiele oder Türklinken nicht die gleichen Gefühle? Warum wirken Kerzen auch in anderem Format romantisch – als Teelicht oder als Kugel?

Kerzen sind ein Kultur­objekt früherer Epochen. In solchen Fällen lohnt es immer in die Geschichte zu schauen. Seit der Bändigung des Feuers waren Frauen dessen Hüter. Das Herdfeuer gab Geborgenheit, Schutz vor Raubtieren und war der Mittel­punkt des eigenen Heims. Noch heute gibt es die Lagerfeuer­romantik, in denen die alte Zeit fortlebt.

Bei Kerzenlicht versinkt die Außenwelt in ein diffuses Dunkel. Die Umgebung schmilzt auf einen kleinen Kreis zusammen. Aus der Forschung zur Körpersprache wissen wir, dass die Umgebung von etwa 1,20 Meter als persönlicher Raum empfunden wird. Das entspricht ungefähr der Leuchtkraft von Kerzen. Ihre Lichtstärke nimmt mit der Entfernung stark ab.

Die Kerzenflamme selbst leuchtet nur deshalb hell, weil sie eine relativ große Oberfläche hat. Die Leuchtstärke einer Kerze beträgt nur 0,25 lux. In 1,8 Meter Entfernung wirken weiße Gegenstände im Kerzenlicht gerade mal so hell wie bei Vollmond. Eine Glühlampe von 60 Watt leuchtet dagegen mit 32 lux. Sie kann einen Raum von mehreren Metern Seitenlänge vollständig erhellen.  Für die gleiche Leuchtkraft müssten Sie ca. 120 Kerzen anzünden!

Kerzen erzeugen also einen gefühlten kleinen Eigenraum, ähnlich dem sich Einkuscheln unter einer Bettdecke. Oder in den Armen eines Mannes, bei dem frau sich sicher und geborgen fühlt. Dass Kerzen auch wohlige Wärme abgeben, ähnlich einem vertrauten Körper, verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Männer setzen Kerzen daher ein, um während der Verführung den Wahrneh­mungsraum der begehrten Frau auf ihre Körpernähe herunter­zudimmen.

Grelles Licht lässt Falten und andere Altersspuren deutlich hervortreten. Kerzenlicht schmeichelt der Haut. Es lässt die weiblichen Formen ahnen, aber zeigt nicht zu viele Details. Unreinheiten der Haut verschwimmen in einem diffusen Dämmer.

Aber nicht alle Frauen mögen Kerzen. Manche haben Angst vor dem Feuer, vor allem dann, wenn sie selbst schon mal einen Brand miterlebt haben. Andere Frauen halten Kerzen für senti­mentalen Quatsch – wie viele Männer. Denn mit der Angleichung der Geschlechter ist die Rollen­teilung nicht mehr so scharf. Auch viele Männer mögen Kerzen.

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veröffentlicht im Dezember 2012 © by www.berlinx.de

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