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Wer anderen vergibt, nützt sich selbst am meisten

Unter dem Titel „Verzeih mir!“ startete Sat1 am 17. Dezember eine neue Show. Wer seine Großmut vor einem Millionenpublikum vorführt, muß sich Zweifel gefallen lassen, ob sein Handeln allein von edlen Motiven bestimmt ist. Doch auch im kleinsten, privaten Bereich, nützt Vergeben nicht nur dem anderen.

Ein Wort gibt das andere. Aus einer Meinungsverschiedenheit, einem vergessenen Versprechen oder einem unbedachten Ausplaudern von gemeinsamen Geheimnissen gegenüber Dritten wird schnell ein beleidigender Streit. Keiner will nachgeben. Im Nu wird aus Freundschaft, Feindschaft, aus Liebe Haß. Eltern zerstreiten sich mit ihren Kindern, Weggefährten verfeinden sich, sobald sie die ersten Hürden zum Erfolg genommen haben. Wie viele Geschichten gibt es über berühmte Leute, die erst einander unterstützten und später kein Wort mehr miteinander sprachen. Auguste Rodin und Camille Claudel. Sigmund Freud und Carl Gustav Jung. John Lennon und Paul McCartney.

Das große Zerwürfnis zerstört den Seelenfrieden aller Beteiligten. Eine Studie des amerikanischen nationalen Institutes für die Erforschung der Gesundheitsvorsorge ergab: Wer nachtragend ist, leidet häufiger an Migräne, hohem Blutdruck, Depressionen und Schlafstörungen. Über den eigenen Schatten springen, ist also durchaus ein eigennütziges Tun.

Verzeihen ist nicht mit einem Satz abgetan, sondern daß Ergebnis eines längeren inneren Prozesses:

Am Anfang stehen immer Rachegedanken. (Siehe auch unseren Beitrag zum Thema Rache in der vorigen Ausgabe.) Eine kleine Rache kann durchaus nützlich sein, um in dieser Situation einen gewissen seelischen Ausgleich zu schaffen.

Wenn der erste Zorn verraucht ist, wird klar: Die Sache ist passiert, was ich auch unternehme, niemand kann sie ungeschehen machen. In dieser Zeit erscheint das verletzende Ereignis noch ungeheuer groß. Es scheint, als ob mit ihm die eigene Selbstachtung steht und fällt. Man malt sich aus, welchen Triumph der andere genießt, während man selbst sich gedemütigt fühlt. Manch einer würde erstaunt sein zu erfahren, daß der Beleidiger dem Geschehenen kaum eine Bedeutung zumißt. Wem es gelingt, das schlimme Ereignis in seiner Bedeutung zu relativieren und zu erkennen, daß die Schwere der Beleidigung vor allem im eigenen Kopf entstand, hat den ersten wichtigen Schritt zur Befreiung getan.

Als nächstes gilt es den eigenen Anteil am Geschehenen zu suchen. Waren Sie zu leichtgläubig? Haben Sie etwas falsch verstanden? Waren die Erwartungen zu unterschiedlich und haben Sie zu selbstverständlich angenommen, der andere würde die Dinge so sehen wie Sie? Gerade wenn wir insgeheim wissen, daß uns eine Mitschuld trifft, reagieren wir besonders empfindlich. Wir hatten oft genug gehört, der andere sei flatterhaft Trotzdem vertrauten wir ihm und machten prompt eine Bruchlandung.

Jetzt könnte es gelingen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Daß der andere seinen Sieg über uns im Triumph genießt, wird kaum der Fall sein. Eher hat der andere ein schlechtes Gewissen und traut sich nicht, die Sache zu bereinigen. Oder er sieht gar nicht, wie sehr er Sie verletzt hat. Oder er glaubt einfach, einen Fehler ohne größere Folgen begangen zu haben.

Wenn Sie die Kränkung einigermaßen verarbeitet haben, so daß Sie dem andern gefaßt gegenübertreten können, bitten Sie um eine Aussprache auf neutralem Boden – per Karte, per Telefon. Bei dem anschließenden Gespräch kommen Sie so am besten zu Rande:

Ohne Höflichkeitsfloskeln und ohne erst Small Talk über das Wetter zu führen, sagen Sie, worum es geht. Sie nennen das Ereignis und erklären, daß Sie sich sehr verletzt fühlen. Sie äußern sich zunächst neutral, ohne den andern anzuklagen.

Fragen Sie nach den Gründen des andern für sein Verhalten und hören Sie sich seine Antwort in Ruhe bis zu Ende an – auch wenn alles in Ihnen bei jedem Wort nach Widerspruch schreit.

Sie antworten im „Ich“-Stil. Sagen Sie, welche Gefühle das Verhalten des andern bei Ihnen auslöste und erklären Sie, warum Sie dies und jenes taten. Verschweigen Sie eigene Fehler nicht.

Fragen Sie, wie der andere die Situation empfindet. Fragen Sie, ob er eine Versöhnung möchte. Fragen Sie, wie Sie derartige Zerwürfnisse in Zukunft vermeiden können.

Feiern Sie die Versöhnung symbolisch: mit einem Glas Wein, mit einer gemeinsamen Unternehmung.

Aber: Bleiben Sie in der Sache hart. Gehen Sie auf keine Versöhnung ein, wenn Ihnen der Preis zu hoch erscheint. Wenn die Standpunkte verhärtet bleiben, brechen Sie das Gespräch ab.

Vergeben heißt nicht vergessen. Aus jedem Konflikt geht man mit reicherer Erfahrung und gestärkt durch die bestandene Auseinandersetzung hervor. Da aber jeder Fehler macht und Geschehenes nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, dürfen Sie sich Großzügigkeit leisten, solange auch der andere Ihnen ein Stück entgegenkommt. Wenn Sie sich vornehmen, daß man Sie nie wieder so ausnutzen kann, liegt es allein an Ihnen, ob Sie diesem Vorsatz treu bleiben werden.

Januar 1999 © by www.berlinx.de

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