Wie verlässlich ist die Welt, in der wir leben?

Politiker beschwören es, Eltern sollen es ihren Kindern ver­mit­teln, wir sol­len es ha­ben, an­de­ren schen­ken – aber wehe, Sie las­sen sich übers Ohr hau­en! Wir er­klä­ren Ihnen, was es mit dem Ver­trau­en auf sich hat.

Wären wir Einzel­gänger wie ein Luchs oder ein Uhu, müssten wir uns keine Gedanken machen, wem wir vertrauen und wem  nicht. Vertrauen ist ein Grundgefühl, das es uns erlaubt, in Gesellschaft zu leben. Also unter Menschen, von denen wir die meisten nicht kennen. Über deren Zuverlässigkeit wir nichts wissen. Wir fragen Fremde nach dem Weg und glauben ihren Auskünften. Wir vertrauen darauf, dass andere Autofahrer die Verkehrsregeln soweit beachten, dass sie uns nicht totfahren. Wir bezahlen Waren im Vertrauen darauf, dass uns der Händler keine Fälschung andreht. Und sollte das doch einmal vorkommen, vertrauen wir auf Richter und Gesetze.

Das gilt insbesondere für die sogenannten Vertrauensgüter. Das sind Waren und Dienstleistungen, bei denen wir als Kunden auch nach Kauf und Nutzung nicht beurteilen können, ob die Qualität stimmt, die wir bezahlt haben. Das gilt zum Beispiel für Rechtsanwälte, Ärzte,  Therapeuten, aber auch für Autowerkstätten. Wurden unnötige oder nicht durchgeführte Leistungen in Rechnung gestellt? Als Tourist hat wohl jeder schon erlebt, dass Taxifahrten länger und Restaurantrechnungen teurer werden können, wenn man als ortsunkundig erkannt wird.

Wäre es nicht da besser, erst einmal jedem zu misstrauen? Durchaus nicht.  Misstrauen lähmt. Es setzt einen Teufelskreis in Gang. Wer misstraut, ist scheinbar auf der sicheren Seite. Er kann nicht hereingelegt werden. Allerdings kann er auch nicht die Erfahrung machen, dass der andere ehrlich gehandelt hätte. Das kann nur, wer sich dem Risiko aussetzt.

Wenn man in Experimenten den Teilnehmern die Chance gibt zu schummeln, handeln vier von fünf ehrlich. Auch wenn sie von ihren Mitspielern nie erwischt worden wären. Warum bleiben die meisten von uns ehrlich, selbst wenn es um höhere Summen geht? Meine Selbstachtung ist mir mehr wert als einige hundert Euro. Auch wenn ich den anderen erfolgreich übers Ohr hauen kann – ich wüsste, dass ich betrogen habe.

Wenn wir ein Grundvertrauen besitzen, warum dann diese ständigen Appelle an das Vertrauen der Bürger? Der Dichter Bertolt Brecht schrieb 1954: „Das Vertrauen der Völker wird erschöpft, indem es beansprucht wird.“ (Me-ti, Aufbau Verlag 1975, S. 36) Vertrauen herrscht solange, wie es unnötig ist, darüber zu sprechen. Oder im Umkehrschluss: Wer um Vertrauen bittet, gibt zu, dass es höchste Zeit ist, ihm mit Misstrauen zu begegnen. Kurz, je mehr über Vertrauen geredet wird, desto tiefer die Krise.

Die psychologischen Studien zum Thema Vertrauen zeigen: Wir sind weit davon entfernt, rational abzuwägen, wem wir wie weit vertrauen dürfen. Wir verlassen uns auf das Bauchgefühl. In vielen Fällen leitet es uns richtig, manchmal führt es uns in die Irre. Das zeigen wissenschaftliche Studien:

  • Wir vertrauen Frauen und älteren Menschen mehr als Männern und Jugendlichen.
  • Männer sind eher bereit zu vertrauen, auch Fremden gegenüber. Frauen vertrauen häufig nur Menschen im eigenen Umfeld.
  • Frauen sind dafür leichter bereit als Männer, erfahrenes Vertrauen zu erwidern.
  • Vertrauen ist Erfahrungssache, oft über lange Zeiträume. So ist der Grad des Vertrauens innerhalb einer Familie von den Urgroßeltern bis zu den Enkeln recht stabil. Aber auch der persönliche Grad an Vertrauensbereitschaft ist ein stabiler Charakterzug, der sich von Jugend auf kaum verändert.
  • Je ungleicher eine Gesellschaft – also je größer die sozialen Gegensätze – desto geringer das allgemeine Vertrauensklima. Bei Ungleichheit sind die Menschen unzufriedener, betrachten ihre Gesellschaft als unfair, der Angstpegel wächst – auch bei den Reichen.
  • Wo Vertrauen herrscht, entwickelt die Wirtschaft sich besser. Die Menschen – Produzenten wie Konsumenten – sind eher bereit, ihr Geld im Umlauf zu bringen, Kredite zu gewähren und großzügige Verträge zu schließen.
  • Menschen, die uns ähnlich sind (oder scheinen) vertrauen wir eher. Ausländern vertrauen wir weniger als Einheimischen.

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veröffentlicht im Juli 2012 © by www.berlinx.de

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