Über den kreative Umgang mit Niederlagen
Beim Spiel um den Weltmeistertitel im Fußball gab es nur einen Gewinner, aber 31 Verlierer. Auch Gastgeber Deutschland gehörte dazu. Euphorie nach den ersten Siegen, dann die Niederlage gegen Italien – es ist nicht so einfach, ein guter Verlierer zu sein.
In unserer Wettbewerbsgesellschaft berichten die Medien vor allem über die Sieger. Nicht nur im Sport. Ob in der Wirtschaft, im Showbusiness oder in der Politik – wer andere aus dem Felde schlug, um den drängeln sich die Journalisten, um Interviews zu erlangen. Den Übrigen – den Verlierern – macht nicht nur die mangelnde Aufmerksamkeit zu schaffen. Sie müssen sich auch eingestehen: Ein Anderer war besser als ich. Das kratzt am Selbstbewusstsein. Nicht jeder kann souverän damit umgehen. Wie oft entwickeln sich Neid und Hass auf den Gewinner!
Die Kunst, verlieren zu können, ist eine seltene Gabe. Aber äußerst nützlich. Denn selbst strahlende Sieger erleben auf dem Weg zur Spitze mehr Niederlagen als Erfolge. Das zeigt schon die Statistik. Wenn mehr als zwei Leute in Konkurrenz stehen, wird es zwangsläufig viele Verlierer und nur einen Sieger geben. Wer es geschafft hat, muss beim nächsten Mal wieder um seinen Sieg bangen. So wie der Fußballweltmeister von 2002. 2006 schied Brasilien im Viertelfinale aus.
Verlieren können ist auch im Alltag eine nützliche Fähigkeit. Ich brauche sie zum Beispiel, wenn
- ein anderer meinen Traumjob erhält
- meine große Liebe mir plötzlich den Abschied gibt statt den erwarteten Heiratsantrag
- ich für meine Anstrengungen einen Tadel erhalte statt das erhoffte Lob.
Die meisten Menschen haben große Probleme, ihre Niederlagen zu verkraften. Sie toben, beschuldigen ihre siegreichen Konkurrenten des Betrugs, hetzen ihre Mitmenschen auf, hadern mit sich und dem Schicksal, nähren über Monate Wut oder versinken in Depression. Sie schaden vor allem sich selbst. Wer die Kunst des guten Verlierens beherrscht, tut nicht nur seiner Umwelt, sondern vor allem sich selbst etwas Gutes. Das sind die Grundregeln:
Verlieren ist kein negatives Werturteil. Unsere Gesellschaft bewundert die Sieger. Doch das bedeutet keine Abwertung der Teilnehmer auf den hinteren Plätzen. Der Sieger hat ein besseres Resultat erzielt. Mehr nicht. Er besitzt deswegen nicht den besseren Charakter und sonstige menschliche Werte. Wenn ein Personalchef einen Bewerber vorzieht oder eine Frau einen Mann, sind die Abgewiesenen nicht automatisch die schlechteren Menschen. Sie haben lediglich nicht die Firma oder die Frau gefunden, die zu ihnen passt. Niederlagen bieten die Möglichkeit, unrealistische Ansprüche zu korrigieren und herauszufinden, was einem liegt.
Stärken erkennen. Wer als Fußballer über die Kreisklasse nicht hinauskommt, kann das Zeug zu einem Radprofi haben. Niemand ist überall Spitze. Wer ständig verliert, betätigt sich auf dem falschen Gebiet. Viele möchten ein Showstar sein, aber geben auf der Bühne eine eher klägliche Figur ab. Als Gagautor oder Kameramann wären sie vielleicht unschlagbar. Wenn Sie immer wieder scheitern – beißen Sie sich nicht fest. Nehmen Sie die Lehre an. Experimentieren Sie. Versuchen Sie sich auf unterschiedlichsten Gebieten. Finden Sie heraus, was ihnen leichter fällt als anderen und wo Sie Lob ernten. Wunschberuf und tatsächliche Talente stimmen nur selten überein.
Siege organisieren. Wir haben Einfluss auf unsere Siegeschancen. Sie fallen nicht zufällig vom Himmel. Wir können nur Titel gewinnen, um die wir uns bewerben. Zu leichte, sichere Erfolge machen uns ebenso unzufrieden wie sichere Niederlagen bei zu hochgesteckten Zielen. Suchen Sie sich Ziele, die unsicher, aber bei Anstrengung erreichbar sind. Dabei zählen auch „unwichtige“ Siege. Sie sammeln Erfahrung, welche Kräfte und Talente Sie einsetzen müssen, um Erfolge zu erzielen. Das hilft Ihnen bei den Kämpfen, die wichtig für Sie sind.
Ehrlich trauern. Niederlagen schmerzen. Gestehen Sie sich den Verlust ein. Stehen Sie zu Ihren Gefühlen. Zwei Extreme sind schädlich: Ein hochmütiges „Ich wollte sowieso nicht gewinnen“ und ein weinerliches „Ich Versager werde es nie zu irgend etwas bringen.“ Auch im Gefühlsleben ist ein Schuss Realismus hilfreich. Sie wollten gern gewinnen, haben es aber nicht geschafft. So wie viele andere. Siege sind seltene Ereignisse, Verluste Alltag. Trauern Sie – und dann analysieren Sie die Gründe. Nehmen Sie sich vor, beim nächsten Mal ein Stück weiter zu kommen. Denn nach dem Spiel ist wieder vor dem Spiel.
Teilsiege genießen. Niederlagen sind nur selten total. Fast immer gibt es Teilerfolge. Was ein Erfolg ist, hängt zudem von den erreichbaren Möglichkeiten ab. Schon lange ist im Sport bekannt, dass Gewinner einer Bronzemedaille sich mehr über ihren Erfolg freuen, als die von Silber. Wer Silber erhält, ärgert sich, dass er Gold knapp verpasste. Wer Bronze erhält, freut sich, überhaupt eine Medaille erhalten zu haben. So war es auch bei dieser Weltmeisterschaft. Die Fans der Franzosen waren nach dem verlorenen Elfmeterschießen gegen Italien verzweifelt. Die Fans der Deutschen bejubelten ihre „Weltmeister der Herzen“.
Gewinnen ist nicht alles. Wer nach dem Motto lebt „Nur Gewinne zählen“ wird es schwer haben. Er muss zwangsläufig scheitern. Selbst wenn er dreimal gewonnen hat – die eine Niederlage dazwischen vergällt ihm alle Freude. Schauen Sie auf die vielen Sportler, die nie ganz oben stehen werden. Es gibt nur einen Fußballweltmeister, aber weltweit Millionen Fußballer, die niemals diesen Titel tragen. Gastgeber Deutschland machte sich 2006 vergeblich die Hoffnung auf den Titel. Die Gastgeber von 2002 und 2010 – Südkorea und Südafrika – hatten und haben diese Hoffnung nie gehabt. Für die Mehrheit zählen andere Werte: Die Freude am Spiel, das Messer der Kräfte, der Jubel ihrer Fans. Sie nehmen an Wettbewerben teil, ohne je ernsthaft zu erwarten, einmal Sieger zu sein. Ob Job oder Hobby – eine Tätigkeit kann Spaß machen, auch wenn Leute da sein werden, die ständig besser sind als man selbst.
Den Preis des Sieges bedenken. Lance Armstrong hat nach Berichten aus Frankreich seine Tour-de-France-Siege mit Blutdoping erzielt. Er ist in seiner aktiven Zeit nur nicht erwischt worden. Könnten Sie sich eines Sieges erfreuen, auf dem der Verdacht des Betruges und mangelnder Fairness liegt? Würden Sie Anfeindungen und sensationsgierige Paparazzi ertragen? Oder im normalen Leben: Wenn Sie eine umworbene Frau oder einen Spitzenjob erobern – werden sie über Jahre die Kraft haben, diese Eroberung zu verteidigen? Die Frau mit Geschenken und stets originellen Aufmerksamkeiten zu verwöhnen? Im Job Überstunden bis an Ihre physische Grenze zu leisten? Ein Leben in der zweiten Reihe bietet durchaus Vorzüge.
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Lesetipp vom Autor dieses Beitrages:
Frank Naumann: Kleiner Machiavelli für Überlebenskünstler. 15 Gewinnerstrategien in Krisenzeiten. Rowohlt Taschenbuch. € 8,95.
Veröffentlicht im August 2006 © by www.berlinx.de
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