Wer hat den Mut, für die Folgen seines Handelns gerade zu stehen?

Erfolge nimmt jeder gern für sich in Anspruch, doch wenn es schief geht, will es keiner gewesen sein. Wir erklären, wie die all­gemeine Ver­ant­wort­ungs­los­ig­keit funk­tio­niert.

Warum bekam Grie­chen­land den Eu­ro, ob­wohl es plei­te war? Die Politiker antworteten: Unsere Fachleute von der Europäischen Zentral­bank hatten die Zahlen aus Athen geprüft. Wir mussten uns auf das Urteil der Experten verlassen.

Die Experten erwiderten: Die Zahlen kamen uns merk­würdig vor. Aber die Politiker forderten uns auf, die Zahlen wohl­wollend zu beurteilen. Hätten wir die Daumen gesenkt, hätten die Politiker sich andere Experten gesucht.

In dem Wort Verantwortung steckt „antworten“. Im Mittel­alter „antwortete“ man Gottes Geboten, in dem man sich für seine Taten recht­fertigte. Gott sah alles. Weil die Mitmenschen nicht alles sehen, ist die Versuchung groß, die Verant­wortung von sich weg zu schieben:

Auf Mitbeteiligte: Für diesen Teil des Projektes war nicht ich, sondern X zuständig.
Auf die Umstände: Der Markt, die Preis usw. haben sich ungünstig entwickelt, das konnte keiner voraussehen.
Auf den Zufall: Ich hab einfach Pech gehabt. X und Y hatten das gleiche getan, sogar noch extremer, doch sie hatten Glück und kamen damit durch.
Auf unerwartete Entwick­lungen: Wäre ich nicht krank geworden, hätte meine Frau mich nicht verlassen, hätte meine Firma nicht pleite gemacht …
Auf die Politik, die Banken usw.: Den Großen schieben sie es hinten und vorne rein, unsereins muss sehen, wie er zurecht kommt.

In der Tat, sie alle tragen Mit­verant­wortung. In einer kom­plexen Gesell­schaft sind alle voneinander abhängig. Doch wer ein Stück vom gesell­schaftlichen Wohlstand abbekommen möchte, trägt auch ein Stück Verant­wortung, und zwar für den Bereich, den er durch sein Handeln beein­flussen kann.

Der Prüfstein ist folgende Frage an sich selbst: Wenn Sie in einer konkreten Ange­legenheit etwas tun, etwas unter­lassen oder das Gegen­teil unter­nehmen würden – änderte das etwas am Ergebnis? Wenn ja, tragen Sie für diesen Unterschied Verant­wortung. Wenn nein, liegt die Verant­wortung bei denen, die dafür sorgen, dass Ihr Tun ergebnis­los verpufft.

Wenn Sie etwas tun, weil Ihr Chef  es verlangt, und die Sache geht schief – wer ist verantwortlich? Der Chef für seine Anordnung, keine Frage. Und Sie? Waren Sie ein bloßer Befehls­empfänger? Mit diesem Argument reden sich Täter gern heraus. Da Ihr Tun das Ergebnis beeinflusste, tragen auch Sie Verant­wortung. Sie hätten die Aus­führung verweigern, notfalls kündigen können.

An diesem letztgenannten Beispiel entzündet sich aller Streit um die Verant­wortung. Der Chef schiebt seiner­seits die Verant­wortung auf die schlechte Aus­führung seines Befehls durch die Mitarbeiter. Mit diesem Hin und Her drücken sich alle. Das wird möglich, weil Verant­wortung nicht nur eine Frage der Moral ist (Verantwortung für seine Taten übernehmen), sondern auch eine Frage des Rechts (für die Folgen seiner Tagen haften).

Manche Berufs­versicherungen (z.B. Ärzte) verlangen, Fehler zu leugnen. Die Versicherung zahlt erst, wenn ein Gericht dem Haft­pflichtigen die Schuld nachweist. Gesteht er selbst seinen Fehler ein, muss er auch selbst zahlen. Da müssen wir uns nicht wundern, dass die Weigerung, für seine Taten den Kopf hinzuhalten, allgemein üblich geworden ist. Es herrscht „organi­sierten Verantwortungs­losigkeit“. Ob Berliner Groß­flughafen, Tote auf der Duisburger Love Parade oder das pleite Griechen­land – Verantwort­liche sind nicht aufzu­treiben.

Verantwortung übernehmen lernen wir in der frühen Kindheit, indem wir Selbst­ständigkeit erlernen:

  • Das Taschen­geld allein zu verwalten und keinen Nachschub zu erhalten, wenn wir es am ersten Tag schon verplempern.
  • Aufgaben erhalten und selbst entscheiden, wie wir sie erledigen.
  • Wir ernten Lob, wenn es uns gelingt, wir werden bestraft, wenn wir Fehler machen, aus denen wir hoffentlich lernen.

Im Zeitalter von Einzel­kindern und über­behütenden Eltern leidet dieses Lernen. Noch im frühen Erwachsenen­alter schalten die Eltern sich ein, wenn ihre Sprösslinge nicht zurecht kommen, und räumen ihnen die Hindernisse aus dem Weg. So laden die Heran­wachsenden lebens­lang die Verant­wortung auf Eltern oder Ämter ab. Das scheint bequem – aber keine Verant­wortung übernehmen, heißt abhängig bleiben.

Wer die Verantwortung hat, bestimmt über unser Leben. Nur wenn wir bereit sind, selbst für unsere Fehler zu haften, werden wir auch Herr über uns selbst sein.

 

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veröffentlicht im September 2015 © by www.berlinx.de

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