Pflichtvergessen, überflüssig oder nur verleumdet?

GRAFIK-RIn den Medien kommen Väter heutzutage in vorwiegend zwei Rollen vor: Als Vergewaltiger ihrer Kinder und als gefühllose Monster, die ihre Kinder ohne Geld und sonstige Unterstützung sitzen lassen. Während die Achtung vor den Müttern eher noch steigt, ist der Ruf der Väter im steten Sinken begriffen.

In einer im Dezember 1998 veröffentlichten Statistik der Hauptstadt Berlin war zu lesen, daß die Hälfte der Kinder unehelich geboren wird. Zwar haben manche dieser Kinder dennoch ihren Vater um sich, da ein Teil von ihnen in eine wilde Ehe ohne Trauschein hineinwächst. Berücksichtigt man aber, daß mindestens die Hälfte dieser Beziehungen bald in die Brüche gehen wird und daß außerdem in einer Großstadt wie Berlin annähernd die Hälfte der ehelichen Kinder bald den Vater durch Scheidung verlieren wird, so wird ein Problem klar: Mindestens die Hälfte der Kinder wird auf den Vater als dauernde Bezugsperson verzichten müssen. Sie leben bei der Mutter und sehen im Laufe der Jahre bestenfalls eine Reihe von „Onkels“ an sich vorüberziehen.

Doch auch dort, wo der Vater da ist, sieht die Lage nicht rosig aus. Im Schnitt wenden deutsche Väter pro Tag nur eine halbe Stunde für den Umgang mit ihren Kindern auf. Ein großer Teil von ihnen wiederholt nur, was sie von ihren eigenen Vätern erfahren haben. Die meisten Männer können sich nicht erinnern, je mit ihrem Vater geschmust zu haben – über die Hälfte berichtete aber, von ihm öfter bestraft worden zu sein.

Die Erfahrungen in der vaterlosen Gesellschaft zeigen, daß auch aus Kindern, die ohne Vater aufwachsen, vernünftige, gefühlvolle und kompetente Erwachsene werden. Unter ihnen gibt es nicht mehr Kriminelle und Asoziale als unter Abkömmlingen „normaler“ Familien. Nur ein Handikap scheint statistisch gesichert. Kinder, die in Scheidungs- oder alleinerziehenden Familien aufwuchsen, werden in ihrem eigenen Bindungsverhalten als Erwachsene ebenfalls stärker zu Scheidung, Singledasein und dem In-die-Welt-setzen von Kindern ohne vollständige Familie neigen.

Dadurch, daß bisher fast immer die Mutter das Sorgerecht erhielt (und bei unehelichen Kindern automatisch hatte), ergibt sich der Eindruck, als sei die Mutter für das Kind unentbehrlich, der Vater aber eigentlich überflüssig. Das stimmt jedoch nicht. In Deutschland gibt es einige hunderttausend alleinerziehende Väter – und wo sie die Erziehungspflichten übernehmen, zeigt sich, daß sie die Elternrolle genauso gut ausfüllen können wie eine Mutter.

Ein Großteil der unterschiedlichen Bewertung von Vätern und Müttern ergibt sich folglich aus der Tatsache, daß traditionell die Mutter, die das Kind schließlich unter Schmerzen geboren hat, als die primäre, unentbehrliche Bezugsperson angesehen wird. Der Gesetzgeber hat das erkannt, und deshalb am 1. Juli 1998 das gemeinsame Sorgerecht eingeführt. Im Mittelpunkt sollen nicht mehr die Ansprüche der Eltern, sondern die Rechte der Kinder stehen.

Die wichtigsten Inhalte des neuen Sorgerechts:

  • Vater und Mutter üben nach einer Scheidung das Sorgerecht gemeinsam aus – auch nach Kampfscheidungen. Nur wenn nachweislich das Wohlergehen der Kinder durch eine solche Rechtslage gefährdet würde, kann der Richter wie bisher einem Elternteil allein das Sorgerecht übertragen.
  • Unverheiratete können das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Auf Antrag können Sie auch dem Kind den Familiennamen des Vaters geben.
  • Väter haben von nun an generell ein Umgangsrecht mit ihren Kindern. Weigert sich die Mutter, muß sie vor Gericht stichhaltige Gründe vorweisen – etwa daß der Vater Trinker oder gewalttätig ist. Daß sie gerade dann, wenn der Vater sein Kind sehen will, mit ihm verreisen muß, reicht nicht aus.
  • Das Kind hat ein Recht auf Umgang mit beiden Eltern. Entzieht sich ein Elternteil seinen Pflichten, schaltet sich das Jugendamt ein.

Neue Probleme sind vorprogrammiert, wenn die Eltern sich nicht freundschaftlich trennen. Wenn beide Eltern Feinde wurden, das Kind in neunzig Prozent der Fälle bei der Mutter wohnt, aber beide Erziehungspersonen mit allen Rechten und Pflichten sein sollen, wird das Kind zur Kampfmunition der Rachegelüste der Erwachsenen. Zum Beispiel, wenn in Zukunft für alle möglichen Entscheidungen beide Erziehungsberechtigten unterschreiben müssen. Zwar kann das Kind mit Hilfe des gutwilligen Elternteils das Jugendamt einschalten, aber bis gehandelt wurde, kann die Einschulung oder die Klassenfahrt ins Ausland, wofür die Unterschrift benötigt wurde, schon vorbei sein.

Letztlich wird das neue Sorgerecht vor allem im Konfliktfall seine Tauglichkeit beweisen müssen. Im normalen Alltag wird sich nicht viel ändern. Wo das Kind wohnt, dort wird die primäre Bezugsperson wohnen. Das ist weiterhin in mehr als neun von zehn Fällen die Mutter. Möchte sie einen zu häufigen Kontakt des Vaters mit dem Kind verhindern, gibt es ein sehr einfaches Rezept: Sie muß nur den Wohnort wechseln. Sechshundert Kilometer Entfernung bilden eine ausgezeichnete Barriere gegen väterliche Besuche am Sonntagnachmittag.

An der Bevorzugung der Mutter wird sich also nicht viel ändern. Da Mütter auch in intakten Familien meist die engere Bindung zu den Kindern pflegen, ist das vielleicht auch ganz gut so.

Die Rolle des Vaters wird damit so unterschiedlich bleiben wie die Lebensformen der modernen Gesellschaft. Es gibt Feierabendväter, Fußballväter, Urlaubsväter, Stiefväter, Lebensabschnittsväter, Wechselväter, schwule Väter, Spielgruppenväter, Zweit- und Drittväter, Zahlväter, Ersatzväter, väterliche Freunde … Die einen werden in die Rollen hineingedrängt, andere wählen sie freiwillig.

Ob der Vater überflüssig geworden ist oder der Mann von heute von sich aus die Väterrolle ablehnt – die Diskussion wird nicht enden, solange die Väter zu keinem neuen Selbstverständnis finden.

Literatur zum Thema „Väter“ gibt es viel.

Auch im Internet gibt es eine hochinteressante Seite, welche sich ausschließlich dem Thema Väter angenommen hat.
http://www. Pappa.com
Dort werden auch viele weiterführende Links, Adressen und Artikelsammlungen zum Thema Väter aufgelistet.

Ein etwas anderes Buch, im dem Väter aus dem Osten und Westen über ihre eigenen Erfahrungen mit den unterschiedlichen Väterrollen berichten, ist das preiswerte:

Sag mir, wie die Väter sind.
Elefanten Press Berlin 1997
Katrin Rohnstock (Hrsg.): .

In der nächsten Ausgabe: Alleinerziehender Vater mit vier Töchtern. Ein Erfahrungsbericht.

Februar 1999 © by www.berlinx.de

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