Die Kunst, Leid zu lindern
Wer möchte nicht gern bei Kummer in den Arm genommen werden? Doch wie gelingt es, erfolgreich Trost zu spenden? Wie verhindern Sie, dass gut gemeinter Zuspruch wie eine leere Phrase klingt?
Das Geständnis fiel Silke sichtlich schwer: „Er hat was mit der Sekretärin. Schon vier Monate geht das so.“
Jana erschrickt. So hat sie ihre beste Freundin noch nie erlebt. Mit verheultem Gesicht und zerlaufenem Lidschatten. Mit zitternder Stimme und bebenden Lippen. Wo ist ihr Humor hin, ihre Schlagfertigkeit, ihr treffender Witz, ihre Coolness, wenn es um die kleinen und großen Katastrophen des Lebens geht? Und vor allem: Was soll Jana antworten? Muss nicht jeder Trost hohl und banal klingen?
Zahlreiche Ereignisse können die Seele in einen Schockzustand versetzen:
- Der Arzt hat eine tödliche Krankheit diagnostiziert (Krebs, AIDS)
- Unerwarteter Todesfall einer nahestehenden Person
- Diagnose einer lebenslangen Behinderung oder chronischen Krankheit bei ihm oder dem Lebenspartner
- Geburt eines behinderten Kindes
- Plötzliche Trennung eines geliebten Partners
- Schwerer Betrug eines nahen Angehörigen
- Schwere Unfälle, Brandkatastrophen und grobe Ungerechtigkeiten
- Unerwarteter Verlust einer langjährigen Arbeitsstelle.
Hilfreichen Trost zu spenden, ist eine hohe Kunst. Jetzt heißt es, behutsam und einfühlsam zu reagieren. Ihr Verhalten in der Notsituation entscheidet, ob Sie später als gute/r Freund/in in der Not in Erinnerung bleiben. Oder als Zeuge einer peinlichen Entgleisung. Die Gefahr ist groß, durch leere Phrasen das Leid noch zu vergrößern. Darum Vorsicht mit spontanen Kommentaren! Häufig geäußert, aber eher schädlich, sind:
Bagatellisierungen: Dazu zählen verharmlosende Sätze wie „Na, davon geht die Welt nicht unter“ oder „Das wird schon wieder“. Dem Sprecher sind die Tränen der besten Freundin peinlich. Er signalisiert deshalb: „Du übertreibst.“ Die Leidende fühlt sich nicht ernst genommen.
Ratschläge: „Lass den Schuft sausen.“ Oder: „Lach darüber. Wirf seine Sachen in den Müll. Gönn dir eine schöne Reise. Zeig dem Kerl, dass du ohne ihn das Leben doppelt genießt.“ Auf diese und viele andere klugen Tipps kommt die Leidende auch von allein. Aber sie helfen ihr im Moment überhaupt nicht. Sie könnte keine Reise genießen. Sie hat noch damit zu tun, die Katastrophe zu verarbeiten.
Banalisierungen:: „Das ist mir auch schon passiert“, Zeit heilt alle Wunden“ oder „Der Kerl war es nicht wert“. Manche Standardsätze liegen einem sofort auf der Zunge. Meistens stimmen sie sogar. Doch sie erklären das Leid zu einem alltäglichen Ereignis für jedermann. Statt zu trösten, vermitteln sie Zweckoptimismus und die Botschaft: „Es gibt keinen Grund für soviel Tränen.“
Dramatisierungen: Genauso verkehrt ist das Gegenteil: „Oh Gott, das würde ich nicht überleben.“ Oder: „Ich bewundere dich, dass du da noch arbeiten gehen kannst.“ Wer Trost braucht, sucht eine starke Schulter – nicht jemanden, der noch panischer reagiert als man selbst.
Besser und einfühlsamer sind folgende Reaktionen:
Sagen Sie gar nichts. Sie wissen nicht, was sie Tröstliches sagen sollen? Dann schweigen Sie. Vermitteln Sie Ihr Mitgefühl körpersprachlich. Nehmen Sie die Leidende in den Arm, halten Sie sie fest. Seien Sie einfach anwesend – standfest wie ein Fels in der Brandung.
Zum Sprechen ermuntern. Sagen Sie „Was ist passiert? Erzähl.“ Am meisten tröstet ein Zuhörer, der sich jedes klugen Kommentars enthält. Hören Sie einfach zu. Nicken Sie verständnisvoll. Wenn der Redefluss stockt, geben Sie neutrale Kurzkommentare wie „Verstehe“ oder „Das war ein Schock für dich.“ Äußern Sie keine Wertung.
Gefühle spiegeln. Wenn die Leidende noch unter Schock steht oder das Geschehene ihr peinlich ist, braucht sie eine Aufmunterung, sich die Trauer von der Seele zu reden. Zeigen Sie ihr, dass Sie ihr Entsetzen, die Ungläubigkeit und die Selbstzweifel verstehen:
- „Du bist schockiert zu hören …“
- „Du kannst einfach nicht glauben, dass …“
- „Der Gedanke erschreckt dich …“
- „Du fragst dich, ob sich … nicht einen schlechten Scherz mit dir erlaubt.“
- „Du bezweifelst …“
- „Du fühlst dich betrogen (beleidigt, angegriffen) …“
- „Du willst einfach in Ruhe gelassen werden.“
Ablenken. Wer plötzliches Leid erfährt, gerät aus der Bahn. Hilfreich ist es, die Leidende behutsam in die kleinen Rituale des Alltags zurückzuführen. Das stabilisiert auch das Seelenleben. Sagen Sie zum Beispiel, sie hätten gern einen Kaffee und schlagen Sie vor, ihn gemeinsam zuzubereiten. Gehen Sie gemeinsam einkaufen. Helfen Sie ihr, Sachen des Verflossenen zu entrümpeln. Wichtig: Fangen Sie klein an. Für die große Party, um neue Männer kennenzulernen, ist es noch zu früh.
Nichts festigt eine Freundschaft so sehr wie gemeinsam bewältigtes Leid. Auch dann, wenn die Trostbedürftige die Erinnerung verdrängen und nie wieder über jene schwere Stunde sprechen will. Sie hat erfahren, dass in der Krise auf Sie Verlass war. Daran wird sie sich erinnern, wenn Sie einmal Trost und Nähe brauchen.
veröffentlicht im April 2009 © by www.berlinx.de
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