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Wie Fühlen unsere Emotionen beeinflusst

Der Tastsinn ist unser größtes Sinnenorgan. Er umfasst rund zwei Quadratmeter – er verteilt sich über die gesamte Oberfläche unserer Haut. Kein anderer unserer Sinne ist so mit Tabus behaftet. Keiner prägt wie er unsere Stimmung und unser Befinden.

Beginnen wir mit einem kleinen Experiment am eigenen Körper. Es erfordert allerdings einige Geduld. Markieren Sie auf Ihrem Unterarm mit einem Filzstift ein kleines Quadrat von zwei mal zwei Zentimetern. Einen leichten Druck mit dem Finger auf diese Stelle empfinden Sie als Berührung. Doch wenn Sie statt des Fingers einen dünne, biegsame Spitze benutzen – etwa eine einzelne Borste – machen Sie eine seltsame Beobachtung. Einige Stellen der Haut sind „taub“, melden also keine Berührung. Sie empfinden den Druck nur an bestimmten Punkten. Sie können sie mit Tupfern eines Filzstiftes markieren. Dann werden Sie feststellen, dass es immer dieselben Stellen sind, an denen Sie das Aufsetzen der Borste spüren. In den Zwischenräumen fühlen Sie nichts. (Achtung: Verwenden Sie keinesfalls eine Nadel statt der Borste! Damit würden Sie Schmerz- statt Berührungsreize hervorrufen.)

Auf dem vier Quadratzentimeter großen Areal des Unterarms finden Sie etwa 120 Druckpunkte. In der Haut verteilt liegen Sinneskörperchen und feine Nervenstränge, die selbst den leisesten Druck zum Gehirn weiterleiten. Diese Druckpunkte sind nicht überall gleich häufig. Am dichtesten gesät sind sie auf den Fingerspitzen, an den Lippen und an den Geschlechtsorganen. Dort sind wir am sensibelsten. Die wenigsten Druckpunkte befinden sich auf dem Rücken. Ihre Dichte können Sie mit einem Zirkel testen. Wie weit müssen Sie beide Spitzen des Zirkels auseinander biegen, damit Sie auf Ihrer Haut beide Spitzen (und nicht beide als eine) spüren?

Doch damit nicht genug. Der Tastsinn unterscheidet außerdem drei Arten des Hautkontakts. Für jede besitzt er seine eigenen Sensoren. Jede dieser Berührungsarten wird außerdem in einem anderen Gehirnareal verarbeitet.

  1. Die einen reagieren auf langsame, aufeinander folgende Berührungen. Sie sagen uns, wie die Oberfläche und die Form des Objektes beschaffen ist, das wir auf der Haut spüren. Sie vermitteln uns ein druckähnliches Gefühl.
  2. Die zweiten registrieren schnellere Wechsel beim Berühren. Durch sie fühlen wir Bewegungen, aber auch wie glatt die Oberfläche ist. Wir spüren ein flatterndes oder über die Haut wischendes Gefühl.
  3. Eine dritte Gruppe von Sensoren springt nur auf sehr rasche Berührungen an. Sie melden uns Vibrationen.

Der Tastsinn besitzt eine weitere Besonderheit. Alle anderen Sinne sind passiv gebaut. Sie empfangen Informationen, können aber keine erzeugen. Das Ohr zum Beispiel empfängt Schallwellen. Schall erzeugen kann es nicht. Dafür brauchen Sie Zunge und Kehlkopf. Die Fingerspitzen können jedoch nicht nur fremde Berührung spüren, sondern selbst Berührungssignale aussenden. Die Fachleute unterscheiden deshalb zwei Komponenten des Tastsinns:

  1. Die taktile Wahrnehmung. Sie empfängt Berührungsdaten passiv. Ihre Verarbeitung im Gehirn erfolgt im so genannten somatosensorischen System.
  2. Die haptische Wahrnehmung. Sie erzeugt aktiv Berührungsreize, die das Gehirn im so genannten sensomotorischen System verarbeitet.

Die Wörter Fühlen und Gefühl haben die gleiche Herkunft. Kein anderer Sinn ist so eng mit unseren Emotionen verbunden. Säuglinge lernen aufgrund von Berührungen vom ersten Tag ihres Lebens an – ja wahrscheinlich schon vor der Geburt – ihren Körper von der übrigen Umwelt abzugrenzen. Sie berühren ihre Umwelt: Reagiert ihre taktile Wahrnehmung darauf, so haben sie sich selbst berührt. Bleibt der taktile Sinn „unberührt“, so handelt es sich um einen Gegenstand oder eine andere Person. Die Psychologen nennen die erste, wichtige Lernphase im Leben eines Kindes deshalb „sensomotorische Phase“. Lange bevor die Kinder sprechen können, erkunden Sie ihre Umgebung mit dem Tastsinn.

Der Tastsinn dient daher psychologisch der Abgrenzung des eigenen Ich von der Umgebung. Er prägt so entscheidende seelische Faktoren wie Selbstbewusstsein, Individualität und Unabhängigkeit. Er befähigt aber auch, Freiräume anderer zu respektieren. Der Tastsinn wird zum Gradmesser von Intimität. Enger Berührungskontakt herrscht zwischen Mutter und Kind oder zwischen Liebenden. In manchen Kulturen halten Freunde engen körperlichen Kontakt. Bei uns gilt das eher als unschicklich. Gegenüber Fremden besteht ein Berührungstabu. Unerlaubte Berührung kann sogar zur Strafverfolgung führen.

Dahinter steckt das unbewusste Wissen, wie mächtig Berührung Gefühle und Empfindungen beeinflusst. Daher trösten Freunde einander mit Umarmungen. Liebende schenken sich Nähe und Vertrautheit im engen Körperkontakt. Heiler und Masseure lösen mit ihren Händen Verspannungen, beruhigen und bringen die Selbstheilungskräfte des Körpers im Schwung. In der Medizin ist das Abtasten eine wichtige Methode, um Knoten und Tumore auszuspüren. Eine Kosmetikerin gibt ihrer Kundin nicht nur ein schöneres Aussehen, sondern liefert mit ihren Dienstleistungen auch Streicheleinheiten – im wörtlichen Sinne.

Januar 2005 © by www.berlinx.de

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