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Die Kunst der erfolgreichen Konfliktlösung

Wer möchte nicht immer nett sein? Und weiß nicht zugleich, wie schwer das im Alltag gelingt?
Üben Sie die Fähigkeit zum produktiven Streit! EgoNet zeigt Ihnen, wie die faire Auseinandersetzung im Konfliktfall gelingt.

Sie: Das darf nicht wahr sein! Wo kommst du jetzt her?

Er: Ich wollte den Quartalsbericht noch fertig machen.

Sie: In einer halben Stunde beginnt die Theatervorstellung! Das ist typisch! Immer wenn es darauf ankommt, hast du tausend wichtigere Dinge zu tun.

Er: Du hast es gerade nötig. Erinnere dich mal an letzten Sonntag …

Sie: Wie bitte? Meine Mutter war wirklich krank!

Er: Die Kinder hatten sich so auf den Zoo gefreut!

Sie: Ihnen hat es leid getan, daß es ihrer Oma nicht gut geht. Im meiner Familie ist es üblich, daß man auf den anderen Rücksicht nimmt.

Er: Warum tust du es dann nicht?

Spielen Sie diese kleine Szene mit verteilten Rollen Ihren Freundinnen, Freunden und Bekannten vor und Sie werden feststellen: Ihre Zuhörerschaft spaltet sich sofort in zwei Lager. Die einen werden das Arbeitsethos des Mannes verteidigen, die anderen das Prinzip der familiären Pünktlichkeit. Nur in Ausnahmefällen wird jemand erkennen, daß es sinnvoller gewesen wäre, sich zunächst zu beeilen, um noch rechtzeitig die teuren Plätze im Theater einzunehmen und sich hinterher zu einigen, wie man solche Pannen in Zukunft vermeiden kann.

Wir alle träumen von einer Welt voll Harmonie und Verständnis, die Hader, Zwist und kleinliches Gezänk weit hinter sich gelassen hat. Im Alltag verhalten wir uns jedoch ganz anders. Kaum ein Tag vergeht, ohne daß wir Zeuge gefühlsgeladener Auseinandersetzungen zwischen Eltern, Kindern, Ehepartnern, Kolleginnen und Kollegen werden. Wie oft sind wir selbst an heftigen Wortwechseln beteiligt gewesen! Wie oft haben wir gar selbst den Streit vom Zaun gebrochen – mit zwiespältigen Gefühlen. Wir regen uns auf, spüren aber zugleich eine heimliche Genugtuung, daß wir unseren Ärger hinausgeschrien, daß wir es den anderen mal richtig gegeben haben. Als ob in unserem Kopf ein kleiner Kobold sitzt, der sich die Hände reibt, wenn wir die Selbstbeherrschung verlieren.

Filme, die eine friedliche Welt mit netten Leuten schildern, empfinden die meisten als rührselig und langweilig. Sobald jedoch tiefe Konflikte zwischen gegensätzlichen Charakteren auftauchen, sobald die Emotionen hochschlagen und sich in gewaltsamen Auseinandersetzungen entladen, fiebern wir mit und hoffen auf den Sieg des Guten über das Böse. Daß Romeo und Julia ineinander vernarrt sind, ist rührend – doch erst, daß sie ihre Liebe unter Lebensgefahr gegen ihre verfeindeten Familien behaupten mußten, machte die Affäre spannend und lockte Millionen in die Kinos.

Doch nicht nur die Helden, auch die Dichter selbst verdanken Ihre Erfolge zu nicht geringem Teil Ihrer Streitbereitschaft. Brecht, Hesse, Fallada oder Peter Handke machten wegen Ihrer Aufsässigkeit schon von sich reden, noch bevor sie ihre erste Zeile veröffentlicht hatten. Zu künstlerischem Erfolg gehört eine Portion Durchsetzungsvermögen. Wer sie als Individuum nicht besaß, schloß sich einer Gruppe an, die dem Establishment Paroli bot. Die Dadaisten, Surrealisten oder die Gruppe „47″ liefern dafür Beispiele genug. Wem beides fehlte, brachte es bestenfalls zu posthumem Ruhm. Kafka etwa, oder der 1912 geborene italienische Romancier Guido Morselli, dessen Bücher mittlerweile auch in Deutschland erschienen sind. Im Alter von sechzig erschoß er sich – die Mappe mit vernichtenden Verlagsgutachten vor sich liegend. Verleger fanden sich für seine Bücher erst nach seinem aufsehenerregenden Tod.

Woher kommt unsere Vorliebe für Konflikte, für Kämpfe um Sieg und Niederlage? Da wir alle einzigartig, Persönlichkeiten mit individuellen Erfahrungen und Vorlieben sind, werden Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich. Treffen zwei Individualitäten bei gemeinsamen Aktivitäten aufeinander, müssen Interessen-differenzen abgeklärt werden. Doch warum lösen unsere Probleme nicht ausschließlich mit friedlichen Mitteln? Weshalb sind Diplomatie und großzügiges Nachgeben eher Ausnahme als die Regel? Wieso würde jemand, der tatsächlich nach einer Ohrfeige die andere Wange hinhalten würde, eher belächelt und bemitleidet statt bewundert? Man muß keinen angeborenen Aggressionstrieb, frühkindliche Frustrationserlebnisse oder die blutige Geschichte des Abendlandes bemühen, um eine Antwort zu finden. Ein einfaches Gedankenexperiment genügt.

Stellen Sie sich eine beliebig große Gesellschaft vor, deren Mitglieder ausnahmslos friedliebende Bürger sind und die ausschließlich in einem versöhnlichen Stil miteinander sprechen. Streit, Kampf oder gar Handgreiflichkeiten sind unbekannt. Bei Meinungsverschiedenheiten vermeiden sie höflich, auf die Differenzen einzugehen. Statt Ansprüche durchzusetzen, die einem anderen mißfallen könnten, sucht man den Kompromiß oder verzichtet um des Friedens willen. Solch eine Gesellschaft wäre wahrscheinlich ziemlich langweilig und unbefriedigend für den Einzelnen, aber immerhin denkbar.

Jetzt stellen Sie sich bitte vor, einer der Heranwachsenden käme auf die Idee, die Werte der Friedfertigkeit zu unterlaufen. Er wünscht sich beispielsweise von seinen Eltern ein Motorrad, und dieser Wunsch ist so mächtig in ihm, daß er bereit ist, dafür die Normen der Gesellschaft zu verletzen. Auf den vorsichtigen Hinweis seiner Eltern, daß ein Motorrad ihre gesamten Ersparnisse verschlingen würde, zieht er seinen Wunsch nicht zurück, wie es in seiner Umgebung üblich ist, sondern besteht auf seinem Ziel. Jetzt sind es die Eltern, die sich nach den gängigen Normen zum Nachgeben verpflichtet fühlen. Mit dem Ergebnis, daß der Junge das Motorrad bekommt.

Ermutigt von seinem Erfolg, wird er beim nächsten Mal ebenfalls versuchen, seinen Ziele mittels Hartnäckigkeit durch-zusetzen. Damit wird er sich als Normabweichler nicht gerade beliebt machen, aber er wird Erfolg haben. Unter Verhältnissen allgemeiner Fried-fertigkeit kann ein Einzelner, der eine Auseinandersetzung riskiert, alles erreichen, weil die übrigen wegen ihrer sanften Normen eher nachgeben werden, als daß sie versuchen, den Streitenden in seinem rücksichtslosen Vorgehen zu stoppen. Dafür müßten sie nämlich seine Strategie übernehmen, also seinen Zielen ihre Ziele entgegensetzen und dafür kämpfen.

Nehmen wir nun weiter an, der Erfolg des jungen Mannes findet Nachahmer. Immer mehr Streitsuchende erkämpfen sich den Weg an die Spitze. Das gelingt so lange, wie die Streitenden bei der Durchsetzung ihrer Ziele auf Friedfertige treffen, denen sie an Rücksichtslosigkeit überlegen sind. Aber mit der Zunahme der Streitenden ist es unausweichlich, daß mit wachsender Wahrscheinlichkeit ein Streitender auf einen anderen Streitenden trifft. Dann sind die Vorteile dieser Strategie dahin. Beide müssen mit dem erbitterten Widerstand des anderen rechnen und sich auf einen risikoreichen Kampf einlassen, der vielleicht mehr Nachteile als Vorteile bringt. Die Verlierer bleiben auf der Strecke. Die Sieger leben in einem Zustand ständiger Bedrohung ihrer Erfolge durch Konkurrenten, die bereit sind, alles zu riskieren, um den Platz der bisherigen Gewinner einzunehmen – eine realistische Beschreibung der modernen Wettbewerbsgesellschaft.

Wir haben ein Großteil der Kampfmunition an das Rechtssystem delegiert. Vertrags- und Scheidungsrecht liefern eindrucksvolle Beispiele für Auseinandersetzungen, die an Anwälte weitergereicht werden. Etwa jeder vierte Deutsche ist rechtsschutzversichert. Allein wegen Nachbarschaftskonflikten ziehen Jahr für Jahr rund eine halbe Million Bundesbürger vor Gericht. Nicht daß wir streiten, halte ich für das Problem, sondern daß wir zunehmend verlernen, selbst für unsere Interessen einzutreten.

Richtig streiten – Tips & Tricks

1. Wer konstruktiv streitet, respektiert abweichende Meinungen. Versuchen Sie, eine Einigung zu erzielen. Diese kann in einem Kompromiß, aber auch in abwechselndem Bestimmen, in wechselseitigem Tolerieren, in gemeinsamem Verzicht oder dem Erfinden einer dritten, andersartigen Lösung bestehen.

Wer dagegen versucht, den anderen zu besiegen, zerstört auf längere Sicht die Beziehung. Zerstörerisches Streitverhalten greift vor allem auf zwei Unarten zurück:

· Die Übergeneralisierung. Das strittige Verhalten des anderen wird als für ihn typisch bezeichnet, vor allem mit Hilfe der Wörter „immer“ und „nie“ („Immer muß ich den Abwasch machen.“ – „Nie trägst du den Müll ‘runter.“).

· Das Aufzählen vergangener Sünden. Es soll Leute geben, die ihrem Ehepartner mit einem zwanzig Jahre alten Fehltritt noch ein dauerhaft schlechtes Gewissen verursachen. In der Regel löst jedoch ein „Erinnerst du dich, wie du mir damals schon einmal …“ Gegenvorwürfe des gleichen Kalibers aus („Und du, letzte Weihnachten?“). Statt nach einer Problemlösung zu suchen, ergehen sich die Beteiligten voll Selbstmitleid in Anklagen, von denen ein langanhaltender Groll zurückbleibt.

Konstruktiv ist es, gemeinsam zu überlegen, mit welchem Verhalten man in Zukunft eine verletzende Auseinandersetzung vermeiden kann.

2. Erinnern Sie sich an fruchtlose Streitereien, in denen Sie viele überzeugende Argumente vorbrachten und sich trotzdem nicht durchsetzen konnten? Oder in denen Sie umgekehrt den Argumenten des anderen nicht entgegensetzen konnten, verärgert weggingen und Ihnen erst im Nachhinein einfiel, was Sie Treffendes hätten entgegnen müssen? Beides zeigt, daß es auf die Qualität der Argumente überhaupt nicht ankommt. Argumente sind nur Waffen in einer Auseinandersetzung, in denen es um Sieg und Niederlage geht. Ihre Beweisführung mag noch so gut sein – solange der andere nicht bereit ist zu verlieren (und wer ist das schon!), wird auch der überzeugendste Appell an die Vernunft auf taube Ohren stoßen.

Wer fragt, der führt, wer argumentiert, verliert! Fragen sind der erfolgreiche Einstieg in eine produktive Auseinandersetzung. Selbst bei unfairen Angriffen („Wer so redet, muß bescheuert sein“) löst ein simples „Wieso?“ die Spirale wachsender Eskalation auf. Es zeigt sich dann sehr schnell, daß hinter den Angriffen meist nur Groll und Durchsetzungswillen steckt, selten jedoch eine wohlbegründete Überzeugung. Wenn Sie also mit Ihren Argumenten nicht durchdringen, erfragen Sie statt dessen die Gründe für die Meinung Ihres Gegenüber. Dann finden Sie eher Ansätze für eine einvernehmliche Lösung als bei einem endlosen Schlagabtausch.

3. Was aber, wenn ein Partner nicht streiten will? Wenn er oder sie Ihren Versuchen, eine Angelegenheit zu besprechen, hartnäckiges Schweigen entgegensetzt? Die Ursache kann Konfliktscheu sein, aber auch die wiederholte Erfahrung, daß Sie Ihrem Gegenüber in der Vergangenheit wenig Chancen ließen, sich gegen Sie durchzusetzen. Die Folge: Resignation. Es hat wenig Sinn, den Streit erzwingen zu wollen. Besser ist es, auf jeden Druck zu verzichten und den Rückzug zu akzeptieren. Zuerst muß das Vertrauen zueinander zurückgewonnen werden. Fragen Sie Ihren Partner nach Vorschlägen für die gemeinsamen Angelegenheiten und befolgen sie sie ohne jede Diskussion, egal, ob sie anders entschieden hätten oder nicht. Wenn der Partner dadurch einige Male merkt, daß er sich durchsetzen kann, wenn er sich äußert, wird die Gesprächsbereitschaft allmählich zurückkehren.

4. Wenn der zerstörerische Streit eskaliert, kann Hilfe oft nur noch von außen kommen. In Partnerschafts-konflikten vermitteln seit einiger Zeit sogenannte Mediatoren, die nicht Partei ergreifen, sondern es sich zur Aufgabe machen, den zerrissenen Gesprächsfaden wieder zu knüpfen. Adressen erhält man bei Ehe- und Familienberatungsstellen (Anschriften in den Gelben Seiten) oder bei der Telefonseelsorge (bundeseinheitliche Telefonnummer: 0800 – 111 0 111).

5. Literaturempfehlungen:

George R. Bach/Peter Wyden: Streiten verbindet. S. Fischer Taschenbuch 3321.

Klassiker aus den sechziger Jahren, ausführlich und konkret, der allerdings ausschließlich Streit in der Partnerschaft behandelt und streckenweise veraltet wirkt.

Frank Naumann: Miteinander streiten. Die Kunst der fairen Auseinandersetzung. Rowohlt Taschenbuch, Sachbuch 9795.

Plädoyer für eine produktive Streitkultur im Alltag. Nennt Regeln konstruktiven Streitens, wie man sich gegen unfaire Streiter wehrt sowie Besonderheiten des Streits in der Partnerschaft, mit Kindern und im Beruf. Viele konkrete Beispiele.

Susanne Motamedi: Richtig streiten – Konflikte lösen. Kreuz Verlag Zürich 1997.

Nennt Wege zum konstruktiven Streiten, legt vor allem Wert auf die Entwicklung von Selbstbewußtsein und Sensibilität gegenüber Gefühlsbotschaften. Die Abwehr zerstörerischen Streitens und der Umgang mit unterschiedlichen Konfliktsituationen kommen jedoch nur am Rande vor.

Ute York: „Du nervst mich!“ Von Affäre bis Zahnpastatube. Die häufigsten Anlässe für einen Streit und wie er sich entschärfen läßt. Mosaik Verlag München 1995.

Gibt konkrete Tips für das Finden von Kompromissen bei Konflikten für eine Vielzahl vertrauter Alltagssituationen, alphabetisch geordnet. Verzichtet allerdings auf jede Hintergrundinformation zu den Ursachen der Konflikte und für die Art und Weise, wie eine Auseinandersetzung geführt werden sollte.

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