Print Friendly, PDF & Email

Weiche Knie und Schmetterlinge im Bauch – wenn wir uns verlieben, ist nichts mehr wie es war? Wie der Ausnahmezustand entsteht und was dabei in uns vorgeht, war lange ein Geheimnis.

Ein Dauergrinsen im Gesicht, bei Regen durch die Straßen tanzen und bereit, die ganze Welt zu umarmen – ist so jemand nicht ein Fall für die Psychiatrie? Die Zwangsjacke darf im Schrank bleiben: Er oder sie ist bloß verliebt.

Seit Ende der 90er Jahre hat die Chemie der Leidenschaft die Aufmerksamkeit der Hirnforscher geweckt. Sie bestätigten zwei Dinge, die jeder aus Erfahrung kennt: Es gibt verschiedene Arten der Liebe. Und Verliebtheit ähnelt tatsächlich einer psychischen Krankheit.

Die US-Anthropologin Helen Fisher untersuchte ab 1996 die Gehirne Verliebter im Magnetresonanztomographen. Außerdem maßen ihre Kollegen die Hormonspiegel der Freiwilligen. Danach lassen sich im Großen und Ganzen drei Arten zu lieben unterscheiden:

  1. Leidenschaftliche Lust: Hier dominieren die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen.
  2. Romantische Liebe: Bei Verliebtheit steigt der Spiegel des Aktivitätshormons Dopamin. Serotonin, das Hormon der Ausgeglichenheit, sinkt ab. Die Folge: Erhöhte Sensibilität, Stimmungswechsel zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt,
  3. Bindung: längere Beziehungen gleiten in ein ruhiges Fahrwasser. Bei Männern bestimmt Vasopressin, bei Frauen Oxytocin die Verbundenheit. Der Testosteronspiegel sinkt, insbesondere bei frischgebackenen Vätern.

Dass Verliebtheit einer Krankheit ähnelt, entdeckte im Jahre 2000 erstmals Donatella Marazitty von der Universität Pisa. Die Psychiaterin stellte fest, dass bei Verliebten der Hirnbotenstoff Serotonin 40 Prozent unter den Normalwert fällt. Ein absinkender Serotoninspiegel ist typisch für Zwangsstörungen. Beispiel: Wer dreimal in die Wohnung zurückkehrt, weil er fürchtet, den Herd nicht abgeschaltet zu haben, dem kann mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer geholfen werden. So ein Medikament sorgt dafür, dass Serotonin langsamer abgebaut wird, also dem Körper länger zur Verfügung steht. Und tatsächlich: Im Tierversuch konnten monogame Mäuse mit so einem Medikament von ihrer Fixierung auf ihren Partner „geheilt“ werden. Verliebte sind genauso vom Objekt ihrer Leidenschaft besessen wie Zwanghafte.

Aber nicht nur die Hormone geraten aus der Balance. Auch die Hirnzentren zeigen ungewöhnliche Aktivitäten. Auf Hochtouren arbeiten vor allem folgende zwei:

  1. Das ventrale Tegmentum: Diese Hirnregion ist Teil des Belohnungszentrums und produziert Dopamin.
  2. Der Nucleus caudatus: Das ist eine sichelförmige Region nahe der Hirnmitte, im ältesten Teil des Gehirns. Diese Hirnregion hilft, Belohnungen zu entdecken und bestimmte Belohnungen anderen vorzuziehen.

Liebe ähnelt einer Sucht. Meldet sich der/die Geliebte nicht, gibt es Entzugserscheinungen: Unruhe, Tunnelblick auf die „Droge“, Kontrollverluste, Appetit- und Schlaflosigkeit. Kein Wunder. Einen erhöhten Dopaminspiegel findet man bei Verliebten ebenso wie bei Kokainjunkies.

Diese Erkenntnisse haben durchaus praktische Bedeutung. Betrachten wir dazu zwei Fragen:

1. Ich möchte mich verlieben. Wie gelingt mir das?

Bringen Sie Aktivität und Schwung in Ihr Leben. Damit öffnen Sie sich nicht nur für neue Kontakte. Sie treiben auch Ihr Dopamin in die Höhe. Unter seinem Einfluss senden Sie positive Signale aus und werden empfänglicher für Signale anderer. Ihre Gefühle werden bereit für Romantik und Leidenschaft.

2. Ich möchte jemanden in mich verliebt machen. Wie schaffe ich das?

Wenn der andere sich absolut nicht verlieben will, sind alle Anstrengungen vergeblich. Ist der andere lediglich unentschlossen, haben Sie Chancen. Laden Sie sie/ihn zu aufregenden, neuartigen Unternehmungen ein. Während Abenteuern, die eine Komponente von Ungewissheit und Gefahr enthalten, verliebt man sich leicht in Personen, die dabei sind. Zeigen Sie Ihre Zuneigung, aber machen Sie sich zugleich rar. Denn wer das Gefühl hat, begehrt zu werden, fängt an, sich für den/die zu interessieren, die ihn so interessant finden. Diese Interesse bleibt wach – und steigert sich sogar weiter – wenn uns der andere sein Begehren nicht auf dem Silbertablett serviert. Wenn wir es nur in kleinen, kostbaren, seltenen Portionen zugemessen bekommen. Dann versuchen wir, ihm/ihr mehr Zeichen von Zuneigung zu entlocken. Schon hängen wir an der Angel.

Literatur:
Helen Fisher: Warum wir lieben. Die Chemie der Leidenschaft. Walter Verlag, Düsseldorf, Zürich 2005.

Veröffentlicht im Mai 2006 © by www.berlinx.de

No votes yet.
Please wait...