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Die dunkle Seite der Redekunst

Erfolgreich reden können ist gut – besser reden als andere ist besser. Aber allein mit Worten seine Mitmenschen nach Belieben lenken können ist Spitze. Oder? Egonet informiert über das Für und Wider des Manipulierens mit Worten.

Die Kölner Trainerin Gloria Beck veranstaltet Kurse über Rhetorik. Sie machte eine interessante Beobachtung. Am höchsten stieg die Aufmerksamkeit Ihrer Kursteilnehmer, wenn die Rede auf finstere Tricks kam, mit denen man seine Mitmenschen für seine eigenen Zwecke einspannen kann. Daraus entstand ihr Buch über Verbotene Rhetorik, das 30 manipulative Techniken vorstellt.

Ist es möglich, allein mit raffinierter Gesprächsführung Menschen zu manipulieren? Selbstverständlich. Wir tun es unentwegt. Gloria Beck nennt ein Beispiel aus dem Alltag: Nehmen wir an, Sie haben es eilig. An der Kasse im Supermarkt wartet vor Ihnen eine dicke Frau mit übervollem Einkaufswagen. Sie setzen Ihr schönstes Lächeln auf und bitten sie, Sie vorzulassen, weil die Kita, wo Ihr Kind auf Abholung wartet, gleich schließt. Haben Sie die dicke Frau angelächelt, weil Sie sie so sympathisch fanden? Oder nicht vielmehr, um sie herumzukriegen? Um für sich einen Vorteil zu erringen und sie zu überreden, einen Nachteil (längere Wartezeit) in Kauf zu nehmen?

Schauen wir uns fünf der 30 Manipulationstechniken an:

Attraktivitätstechnik: Geben Sie vor, die gleichen Meinungen und Interessen wie Ihre Zielpersonen zu haben. Ähnlichkeit erzeugt Sympathie – und die Bereitschaft, sich für Sie als Gesinnungsgenossen einzusetzen.

Autoritätstechnik: Autorität übt aus, wer Teilaufgaben delegiert, aber sich die Gesamtkompetenz vorbehält. Wer distanziert höflich kommuniziert. Wer seine Anliegen klar benennt, aber nicht begründet – er vermeidet so, dass sie diskutiert und in Frage gestellt werden.

Charismatechnik: Charisma gewinnt, wer etwas „Besonderes“ an sich hat. Ergreifen Sie häufig die Initiative. Legen Sie sich eine unabhängige Meinung zu, die von den üblichen Regeln abweicht. Erweisen Sie sich als unbestechlich, knicken Sie unter dem Druck von Mehrheitsmeinungen nicht ein.

Claqueurtechnik: Die französischen Theater des 19. Jahrhunderts setzten bezahlte Applaudierer ein, um bei Premieren den Erfolg neuer Stücke zu sichern. Wenn einige Leute lautstark zustimmen, zögert die Mehrheit, das Werk auszupfeifen. Handeln Sie genauso. Wenn Sie einen Vortrag halten oder ein Projekt vorschlagen, sprechen Sie sich im Vorfeld mit zwei, drei Zuhörern ab. Ihre Claqueure nicken zustimmend, während Sie reden, und melden sich in der Diskussion danach als erstes zu Wort, um Ihnen beizupflichten. Versprechen Sie im Gegenzug die gleiche Hilfe, wenn Ihre Kollegen sich in ähnlicher Lage befinden werden.

Mitleidtechnik: Stellen Sie sich als Opfer dar. Nutzen Sie das Mitgefühl, das Sie erhalten, zu Ihrem Vorteil. Zum Beispiel, um sich Unterstützung gegen starke Gegner zu verschaffen.

Die übrigen 25 Techniken umfassen die Kunst des Täuschens, des Gerüchte-Streuens, des Inszenierens von Intrigen, bis hin zu den Rhetoriktricks von Sektenpredigern. Die meisten dieser Tricks sind seit der Antike bekannt. Bleibt die Frage: Wenn es so wirksame Methoden gibt, sich einen Vorteil zu ergattern – warum macht nur eine Minderheit davon Gebrauch?

Moralische Skrupel sind nicht der Grund. Die Erfahrung zeigt: Je härter der Wind der Konkurrenz weht, desto kleiner wird die Hemmschwelle für unfaire Methoden. Dass wir meistens ehrliche Verhaltensweisen bevorzugen, hat einen ganz praktischen Nutzen. Schauen wir uns die fünf Kehrseiten des skrupellosen Betrügens an:

  1. Sie werden gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Sie müssen zum perfekten Schauspieler werden. Anderen Sympathie vorzutäuschen, aber in Wahrheit innerlich unbeteiligt bleiben, ist sehr anstrengend. Ständige Selbstüberwachung ist notwendig.
  2. Wenn Sie ehrlich leben, dürfen Sie auch mal Fehler begehen – wenn Sie manipulieren, nicht. Werden Sie einmal bei Ihren Manövern ertappt, ist Ihr Ruf dahin. Man vertraut Ihnen möglicherweise nie wieder.
  3. Sie dürfen sich vor niemandem Ihrer Heldentaten rühmen. Sonst riskieren Sie, das ein Gerücht über Ihre hinterhältigen Absichten Ihr Opfer erreicht. Sie könnten emotional sehr einsam werden.
  4. Viele Manöver bringen einen kurzfristigen Erfolg. Wenn Sie aber immer wieder manipulieren, werden Ihre Tricks auffallen. Schon dadurch, dass Sie ständig Vorteile einheimsen, andere aber Schaden nehmen. Ihre Mitmenschen werden sich bald fragen, woran das liegt.
  5. Sie schaden Ihrer guten Meinung von sich selbst. Wollen Sie jemand sein, der Vertrauen missbraucht und Arglose hereinlegt? Wer zu unredlichen Methoden greift, konstruiert sich deshalb Entschuldigungen , etwa: „Ich habe mich gegen einen übermächtigen Gegner nicht anders wehren können.“ Damit lässt sich Unredlichkeit als Ausnahme rechtfertigen. Wer aber immer betrügt, ist einfach ein Betrüger. Wollen Sie das sein?

Finstere Machenschaften faszinieren uns. Wir alle hegen Phantasien, uns mal über die Regeln der anständigen Gesellschaft hinwegzusetzen. Das Buch von Gloria Beck bietet eine umfangreiche Sammlung der Methoden der dunklen Rhetorik. Sie zu kennen lohnt sich. Schon um sich selbst besser vor Manipulationsversuchen zu schützen. Aber bevor Sie selbst zu Täter werden – überlegen Sie, ob Sie bereit sind, mit den üblen Konsequenzen zu leben, falls Sie scheitern.

Unser Lesetipp:
Gloria Beck: Verbotene Rhetorik. Die Kunst der skrupellosen Manipulation. Eichborn: Frankfurt/M. 2005.

Veröffentlicht im April 2006 © by www.berlinx.de

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