In einer übersättigten Marktgesellschaft, wo Marketing-Experten nach jedem kleinsten Mangel Ausschau halten, um ihn sofort durch zahlreiche Angebote zuzuschütten, hat der Einzelne es schwer, auch nur eine Spur von Luxus zu entfalten. Heute entfaltet sich Luxus eher im Bereich ideeller Güter und knapper Ressourcen.

Über Jahrtausende betrachteten Menschen solche Güter als Luxus, die knapp und daher für die meisten nicht verfügbar waren. Die Reichen hatten das, was anderen fehlte im Überfluß. Bei den alten Römern waren das Gold, Sklaven und Ländereien. Im Mittelalter schützende Burgen für die Feudalherren, während ihre Untertanen Plünderungen von Raubrittern und Abenteurern preisgegeben waren. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts Nahrung. Die Reichen hatte dabei oft wenig Verständnis für die Sorgen der im Mangel Lebenden, Wie sonst hätte Marie Antoinette fragen können: Die Leute revoltieren, weil sie kein Brot haben? Warum essen sie keinen Kuchen?

Nur wo ein Mangel herrscht, kann Luxus gedeihen. Üppige Diamantkolliers verdanken ihren Wert der Seltenheit der brillierenden Steine – unerschwinglich für die meisten. Als die meisten Menschen zu Fuß gehen mußten, besaßen die Wohlhabenden nicht nur ein Pferd oder später ein Auto, sondern mehrere Reitställe und ganze Wagenparks. Als Westdeutsche ihre durchgeblätterten bunten Illustrierten in die Müllbehälter der Transitautobahnen nach Berlin warfen, eilten Ostdeutsche herbei um diese wertvollen Zeugnisse freiheitlicher Kultur vor der Entsorgung zu retten.

In einer Zeit, wo gebrauchte Autos nach kurzer Zeit schon auf der Halde landen, wo Butter- und Weizenberge in den Kontors der EU verschimmeln, schmelzen die Refugien des Luxus zusammen. Ein mit Meißner-Porzellan-Plaketten behängtes Abendkleid von Karl Lagerfeld, ein bei Sotheby’s versteigertes Gemälde von van Gogh – die Gelegenheiten sind selten geworden, wo Reichtum noch protzen kann. Und es fällt den Beteiligten immer schwerer, bei den Normalbürgern damit Neid zu erregen.

Wer Luxus will, benötigt den Mangel der übrigen, und der ist nicht einfach zu finden in einer Überflußgesellschaft, wo Werbebotschaften mit Sonderangeboten von jeder Hauswand nach uns rufen, wo Banken jedermann Kredite aufdrängen mit Zinssätzen so günstig wie noch nie. Selbst die Immobilienpreise purzeln – das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. So gelangen wir in die paradoxe Situation, daß der Luxus heute am ehesten dort gefunden wird, wo einzelne dem materiellen Reichtum Lebewohl sagen.

Denn was ist knapp in unserer heutigen Zeit? Zum Beispiel eine saubere Umwelt. Sie ist sogar unbezahlbar, denn sie verlangt zumindest teilweisen Verzicht auf Wirtschaftswachstum und damit auf Arbeitsplätze. Oder freie Räume – wie jeder Parkplatzsucher weiß. Das knappste Gut ist jedoch die Zeit. Hier bahnt sich eine neue Klassenteilung an. Da sind einerseits die Arbeitslosen, die zwar Zeit haben, aber nur begrenzt Verwendung für sie finden. Und andererseits die Arbeitenden, die immer mehr Überstunden machen, Wochenende dran hängen – alles nur, um ihren Arbeitgebern zu beweisen, daß sie trotz der hohen Lohnkosten für sie unentbehrlich sind. Von dem Zeitaufwand des Jungunternehmers, der sich einen Platz in einem heiß umkämpften Marktsegment sucht, ganz zu schweigen.

Was nutzt es, ein Spitzengehalt zu verdienen, wenn die Zeit fehlt, es auszugeben? Manager verschwenden ihr Geld zum Beispiel in teuren Hotels, in denen sie auf ihren Geschäftsreisen absteigen, haben aber gar nicht die Zeit, die im Preis enthaltene Sauna, Squashhalle, Fitness-Studio, Fernseher, Videogerät usw. zu nutzen. Die andern, die die Zeit haben – die Arbeitslosen also – benötigen Geld, um die freien Stunden sinnvoll zu nutzen. So mancher Arbeitende ärgert sich, wenn die Nichtarbeitenden schon vormittags auf Parkbänken hocken, eine Aldi-Bierbüchse in der Hand. Aber tatsächlich ist das eine der billigsten Methoden, die leere Zeit zu füllen. Angenommen, so eine Halbliterbüchse kostet 69 Pfennig und reicht für eine halbe Stunde. Ein Achtstundentag kostet den Trinker dann DM 11,04. Das sind im Monat weniger als 350 Mark. Das kann jeder von seiner Stütze bezahlen. Und wenn nicht – wenn am Tag die Frage „Haste mal ‘ne Mark?“ nur elfmal positiv beantwortet wird, ist der Getränkenachschub auch ohne staatliche Finanzierung gesichert.

Freilich wäre es kulturvoller, das Luxusgut Zeit im Museum zu verbringen, in Bibliotheken zu lesen, an Volkhochschulkursen teilzunehmen. Aber all das kostet Geld – Eintrittspreise und Anfahrtkosten – selbst Bibliotheken verlangen neuerdings Jahresbeiträge.

So bleibt Zeit ein Luxusgut für beide Seiten. Für die Arbeitenden aus Zeitmangel, für die Nichtarbeitenden aufgrund der Kosten für die sinnvolle Nutzung der freien Stunden.

Natürlich gibt es auch in der Marktwirtschaft eine Reihe von Dingen kostenlos. Es hat sich – aus Holland kommend – inzwischen eine regelrechte Geizbewegung entwickelt mit einer Fülle von Tips, die von der Nutzung von Werbeangeboten bis zum mehrfachen Gebrauch von Teebeuteln reicht. Wir werden in der nächsten Ausgabe von EGONet für Sie eine Reihe von Gratisangeboten vorstellen – innerhalb und außerhalb des Internets. Aber völlig kostenfrei sind strenggenommen auch sie nicht. Um sie von uns zu erfahren, benötigen Sie einen Computer und soviel Internetminuten, wie Sie brauchen, um EGONet aufzurufen und den Text herunterzuladen.

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