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Manager gelten wegen ihrer Gier als Ver­ur­sacher der Fi­nanz­krise. Aber sie sind nicht die ein­zigen, die nie genug krie­gen können.

Egonet schürft tiefer.

Wer konsu­miert, hält die Wirt­schaft am Lau­fen. So lautet die täg­liche Botschaft der Medien in der Krise. Also noch mehr Besitz­tümer anhäufen? Nie zu­frieden sein, immer mehr haben wollen?

Diese Überlegung zeigt, dass Gier mehr ist als der Charakter­fehler weniger Unersättlicher. Die Markt­wirtschaft braucht gierige Konsumenten, damit der Absatz nicht stockt. Wer bei Günter Jauch Millionär werden will, wird bewundert – nicht wegen seiner Gier nach dem Geldsegen verachtet. Luxusauto, eigenes Haus und ein dickes Konto gelten als erstrebenswerte Lebensziele.

Aus diesem Grunde hat sich die Öffentlichkeit lange Zeit wenig für die Schattenseite der Gier interessiert. Warum auch? Besitz anhäufen erfüllt viele positive Bedürfnisse. Er verschafft ein Gefühl von Sicherheit. Reichtum gilt zudem als äußeres Zeichen eines erfolgreichen Lebens. Er ermöglicht, aus der Masse herauszuragen und das Besondere zu genießen.

Die Kirche wertete einst Habgier als eine der sieben Todsünden. Sie erkannte in ihr eine Sucht, die Menschen aus der Gemeinschaft und von einem tugendhaften Leben fernhält. Auch die Philosophie der Antike warnte: Gier macht einsam. Die Anhäufung von Gütern wird wichtiger als das Zusammensein mit anderen Menschen.

Gier entwickelt sich schrittweise. Vier seelische Faktoren sind ihre Auslöser:

Neid. Dass andere mehr haben als ich, ist eine mächtige Motivation, ebenfalls Besitz anzuhäufen. Häufig sieht der Gierige nur die Dinge, der sein Nachbar besitzt. Aber er erkennt nicht den Preis, den er dafür entrichten musste: 60-Stunden-Wochen, Sparsamkeit bis zum Geiz, Verzicht auf Urlaub und Entspannung. Daher ist die Versuchung groß, den Weg zum Reichtum durch betrügerische Manöver abzukürzen. Durch Intrigen, durch Steuerflucht oder indem man vertrauensselige Mitmenschen übers Ohr haut.

Status. Wer eine herausragende Position errungen hat, kann sich mehr leisten. Umgekehrt denken wir oft: Wer sich mehr leisten kann, muss wohl eine gut bezahlte Position errungen haben. Er ist wohl Unternehmer, Chef, Manager oder ein hoher Beamter. Daher der Anreiz, Luxusgüter anzuhäufen und mit ihnen zu protzen. Das Ergebnis: Mehr Schein als Sein. Leider führt dieses Prinzip oft zum Erfolg. Zumindest beim ersten Eindruck – und der ist häufig entscheidend.

Sammlertrieb. Schon Kinder sammeln Fußballerbilder, Comics oder Briefmarken. Der Auslöser kann echtes Interesse für ein Spezialgebiet sein, aber auch Nachahmung anderer oder das Bedürfnis, sich von anderen zu unterscheiden. Indem man etwas besitzt, was kein anderer hat. Sammlern geht es oft nicht um Reichtum – im Gegenteil, viele Sammlungen häufen wertlosen Ramsch an. Dennoch handelt es sich um Gier. Man will sich nicht mit seinem Charakter, sondern durch seinen einzigartigen Besitz von anderen abheben.

Verlustängste. Wer ein eigenes Haus besitzt, kann nicht obdachlos werden. Wer viel Geld anhäuft, muss weder Jobverlust noch niedrige Renten fürchten. Da die soziale Unterstützung nachlässt, gewinnt die individuelle Absicherung an Gewicht. Auch der Staat verlangt neuerdings, dass jeder seine Lebensrisiken selbst absichert. Ist es da ein Wunder, dass wir uns zunehmend an unsere Besitztümer klammern?

Gier ist keine Frage der Einkommenshöhe. Bei Reichen fällt sie nur stärker auf. Vor allem, weil die Ärmeren sich sagen: „Warum wollen die noch mehr? Die haben doch schon alles.“

Gier ist eines der letzten Tabus. Obwohl seit kurzem viel über Gier gesprochen wird. Doch alle sind sich einig – gierig sind immer die anderen. Wer würde sich schon selbst als gierig bezeichnen? Der Besitzer ist stolz auf seine Reichtümer. Ich habe sie mir verdient. Ich verstehe es, das Leben zu genießen. Meine Güter sind der wohlverdiente Lohn für meine Arbeit und meine Cleverness.

Gier wächst, wo die zwischenmenschlichen Beziehungen an Bedeutung verlieren. Wer nicht mehr viele Freunde hat, die ihm stabile Anerkennung spenden, schafft sich sein Wertgefühl anhand der Dinge, mit denen er sich umgibt. Wer Karriere machen will, muss bereit sein, Familie, Partner und Freunde zu vernachlässigen. Schlimmer noch: Die Aufsteiger hängen ihr Herzblut nicht nur an hohe Gehälter, sondern kommen fast nur noch mit Personen zusammen, die genauso denken wie sie. Das führt zu grotesken Wettbewerben bei Managern, wer von ihnen pro Jahr die meisten Millionen auf sein Privatkonto sammelt.

Es ist ein Klischee, aber dennoch wahr: Gier macht nicht glücklich. Der Erwerb von Gütern schafft kurzfristig Beruhigung. Aber schnell tritt Gewöhnung ein, noch mehr Geld muss her. Gier gelangt nie an ihr Ziel.

Der beste Schutz sind immaterielle Werte. Der Zufriedene kann sich am Anblick eines schönen Hauses oder Gartens erfreuen, das einem anderen gehört. Der Gierige dagegen überlegt sofort, wie er sich etwas Gleichwertiges unter den Nagel reißen kann. Das sicherste Gegengift sind Hobbys, die im Tun und nicht im Haben bestehen: Freundschaften pflegen, Reisen unternehmen, Neues lernen, Sport treiben, musizieren und malen. Oder witzige Geschichten schreiben, die das armselige Dasein der Gierigen enthüllen.

Buchtipp:
Daniel Goeudevert: Das Seerosen-Prinzip. Wie uns die Gier ruiniert. Dumont, Köln 2008, € 19,90
Erich Fromm: Haben oder Sein: die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag, € 7,95

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veröffentlicht im Juni 2009 © by www.berlinx.de

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