Seit dem 18. April 2004 ist sie beschlossene Sache – die Kennzeichnungspflicht für gen­technisch veränderte Nahrung. Mehr als zwei Drittel der Deutschen lehnen es ab, solche Produkte zu kaufen. Warum werden sie dann überhaupt produziert?

Der Gedanke ist verführerisch. Statt tonnenweise Chemie in die Umwelt zu streuen, um Unkraut und Insekten zu vernichten, gibt man der Erbsubstanz von Getreide, Gemüse und Nutzvieh die Fähigkeit, Schädlinge zu bekämpfen, gleich mit. Das schont die Umwelt und erhöht die Erträge.

Zwei häufige Irrtümer verfälschen die Diskussion um Gen Food.

  1. Gen Food sei gefährlich, weil es Gene enthält. Wer im Biologieunterricht aufgepasst hat, weiß: Alle Pflanzen und Tiere enthalten Gene. Sie sind die Träger der Erbinformation und sitzen auf der DNA, die in allen Zellen vorkommt. Auch beim Menschen.
  2. Erst die moderne Gentechnik erlaube es, die natürliche Erbinformation zu manipulieren. Auch das ist falsch. Fast alle Tiere und Pflanzen, die uns als Nahrung dienen, besitzen seit Jahrhunderten nicht mehr ihre ursprüngliche Genstruktur. Denn auch Züchtung verändert die Gene. Die Wildformen von Tomaten, Äpfeln, Hühnern und vielen anderen Lebewesen sind entweder schon ausgestorben, wenig ergiebig, würden bei unserem Klima nicht gedeihen oder sind sogar giftig.

Züchtung ist allerdings ein langsamer Prozess. Über Jahrhunderte nahmen die Landwirte nur kleine Veränderungen vor und Generationen von Essern testeten, ob die kultivierten Lebensmittel bekömmlich sind. Und diese Tests fehlen beim Gen Food. Meist wurden nur Tierversuche durchgeführt, die im Höchstfall wenige Jahre dauerten. Wir wissen daher nichts über Spätfolgen. Ob Ergebnisse des Tierversuchs auf den Menschen übertragbar sind, kann man nur vermuten. In vielen Fällen klappte das in der Vergangenheit hervorragend, in anderen Fällen sind Tierversuche wertlos. Impfungen gegen AIDS gelingen zum Beispiel bei Affen ohne weiteres, beim Menschen versagen sie.

Bislang gingen Mediziner davon aus, dass die Gene der Nahrung im Darm vollständig zerstört werden. Neue Versuche zeigen jedoch, dass zumindest Teile der DNA-Stränge erhalten bleiben. Und eine Erbinformation, die dazu dient, Insekten zu schädigen, könnte ja auch menschliche Zellen angreifen, denn immerhin bauen sich alle Organismen dieser Welt aus denselben zwanzig Aminosäuren auf. Und die wiederum werden vom Virus bis zum Menschen durch dieselben Anordnung von Basenpaaren in den Genen verschlüsselt.

Erste Alarmzeichen gibt es schon. Am 19. April 2004 war eine gentechnisch veränderte Maissorte von der europäischen Lebensmittelsbehörde ESFA für unbedenklich erklärt worden. Und noch in derselben Woche meldete ein französischer Forscher, dass diese Sorte bei Ratten schon nach drei Monaten Fütterung das Blutbild verändert. Weiße Blutkörperchen nehmen zu, rote ab. Dazu kommen Verkleinerungen und Entzündungen der Nieren.

Tests an neuen Lebensmitteln prüfen nur, ob sie die bekannten Vitamine, Mineralien und Nährstoffe enthalten. Produzieren die neuen Gene eine bislang unbekannte Substanz, geht sie den Kontrolleuren durch die Lappen. Optimisten wenden ein: Seit Jahren lässt man schon nützliche Substanzen von gentechnisch veränderten Bakterien produzieren, und es gibt keinen Hinweis, dass dabei bisher etwas schief gegangen sei. Doch dieser Enthusiasmus ist fehl am Platz. Da es bisher keine Kennzeichnungspflicht gab, weiß auch bisher niemand, woran es liegt, wenn jemand eine Allergie gegen eine bestimmte Nahrung entwickelt. Verträgt jemand eine bestimmte Substanz nicht oder liegt an der Art, wie der Nährstoff hergestellt wurde?

Eine andere Gefahr wirkt langfristiger, ist aber viel bedenklicher. Die Schädlinge könnten sich in den nächsten Jahren anpassen. Dann wirkt der gerade erst eingebaute Genschutz in unseren Nutzpflanzen nicht mehr. Dann müssen die Biotechniker neue Abwehrgene konstruieren. Für die Biotechfirmen ein Riesengeschäft. Aber unheilvoll für die Natur. Denn dann käme das gleiche sinnlose Wettrüsten in Gang, das wir schon von den Antibiotika kennen. Sie wirken nicht mehr, weil sich die Krankheitserreger angepasst und ihr Erbgut entsprechend verändert haben.

Was bringt die Kennzeichnungspflicht im Einzelnen?

·      In der Zutatenliste, also im Kleingedruckten, muss ein Hinweis „gentechnisch verändert“ auftauchen.

·      Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch gibt es bei uns noch nicht als Gen Food.

·      Sind die Tiere mit Gen Food gefüttert worden, muss uns das auch mit der neuen Verordnung nicht mitgeteilt werden.

·      Auch wenn Käse mit gentechnisch erzeugten Enzymen reift, werden wir das nicht erfahren.

·      Ebenso wenig, wenn Molkepulver, Zitronensäure und andere Zutaten von gentechnisch veränderten Organismen produziert werden.

·      Nur wenn industrielle gefertigte Nahrung direkt aus Gen-Mais, Gen-Soja, Gen-Raps usw. besteht, wird in Zukunft ein Hinweis auf der Packung stehen. Allerdings nur, wenn der Gen-Food-Anteil 0,9 Prozent oder größer ist. Ein Zugeständnis an die Tatsache, dass schon heute biotechnische von natürlichen Organismen nicht mehr sauber getrennt werden können.

Viele Firmen und Handelsunternehmen haben sich wegen der Ablehnung der Verbraucher verpflichtet, keine solchen Produkte anzubieten.

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