Warum makel­lose Schön­heit so selten ist

ABB-SCHN[fusion_builder_container hundred_percent=Wer möchte nicht hundert­prozentig schön sein? Doch warum ist so gut wie jeder von uns aus schönen und häss­lichen Merk­malen gemischt? Egonet erklärt, warum die Welt die Häss­lich­keit braucht.

Schön sein bringt viele Vorteile. Schöne ernten mehr Sympathien, haben mehr Freunde, mehr Erfolg im Leben, sie fühlen sich glücklicher und haben meist sogar den liebens­werteren Charakter. Das belegten Hunderten von Studien. Zugleich ist nicht nur die Schönheit, sondern auch die Fähigkeit, Schöne von Hässlichen zu unterscheiden, angeboren. Denn Säuglinge, die nur wenige Wochen alt sind, bevorzugen bereits schöne Gesichter. Lange, bevor ihre Eltern sie zu irgendwelchen Schönheitsnormen erziehen können.

Doch wenn sich in der Evolution durchsetzt, was Vorteile bringt – warum ist dann nicht jeder schön? Warum sind nicht sämtliche hässlichen Merkmale als nachteilige Mutationen ausgestorben? Da Schöne eher Partner finden und mehr Sex haben – was durch Studien belegt ist – müsste ihr Anteil in der Bevölkerung ständig wachsen. Bis die Hässlichen komplett verschwunden sind.

Schon in der Antike haben Philosophen über diese Frage nachgedacht. Für Platon im alten Athen waren nur Ideen makellos schön. Materielle Objekte und Lebewesen waren für ihn nur ein unvollkommener Abklatsch des reinen geistigen Schönen. 2000 Jahre später definierteImmanuel Kant Schönheit als „interesseloses Wohlgefallen“. Doch leider begnügen wir uns nicht damit, etwas Schönes nur zu bewundern. Wir begehren es, wollen es besitzen. Unser Habenwollen zerstört die Ausgewogenheit des Schönen. Wir geben bestimmten Eigenschaften, die unser Begehren anstacheln, den Vorzug, und vernachlässigen andere.

Die moderne Antwort der Biologen lautet: Wenn Hässlichkeit bestehen bleibt, muss auch sie Vorteile bringen. Welche sind das?

Der Kontrast-Faktor. Wären wir alle schön, wüssten wir gar nicht, dass wir schön sind. Makellosigkeit ist nur erkennbar, wenn wir wissen, was ein Makel ist. Wir brauchen das Bild des Hässlichen als Kontrast. Das bedeutet auch: Wir sind im Laufe der Jahrhunderte schöner geworden. Im Mittelalter waren zahlreiche Menschen durch schwere Arbeitsunfälle, verkrüppelte Glieder, krumme Rücken sowie Pocken- und andere Seuchennarben entstellt. Wer sich heute bei uns aufgrund kleinerer Makel – z.B. einer großen Nase – für hässlich hält, hätte vor 500 Jahren wegen seines makellosen Wuchs und seiner narbenfreien Haut als Schönheit gegolten.

Der Individualitäts-Faktor. Blättern Sie einen beliebigen Bekleidungskatalog durch. Die Models sehen irgendwie gleich aus. Jung, lächelnd, schlank, gerade und hoch gewachsen. Nur die Hässlichen sind alle verschieden. Schöne sind attraktiv, aber besitzen wenig individuelle Merkmale. Ihre Gesichter und Figuren sind nur schwer im Gedächtnis zu behalten. Wer dagegen eine auffällige Nase, eine charakteristische Narbe oder ein schiefes Gesicht besitzt, wird daran sofort wiedererkannt. Wer hässlich ist, bleibt in der Erinnerung seiner Mitmenschen haften.

Der Charakter-Effekt. Betrachten Sie einmal Dutzende von Fotos fremder Menschen. Die Schönen wirken freundlich, glatt und harmlos. Die eher Hässlichen dagegen erscheinen als Menschen mit Ecken und Kanten. Makelhafte Gesichter besitzen Charakter. Stärken, Schwächen, gefährliche und nachdenkliche Züge sind in ihnen gemischt. Deswegen sind auch Monster so beliebt. Vampir Dracula ist nicht nur leicht wiederzuerkennen – lange Eckzähne und ein schwarzer Umhang genügen – sondern er fasziniert auch durch seine typische Mischung von Verführung und Gefahr.

Ohne unsere hässlichen Seiten wäre die Menschheit ärmer. Schönheit ist das Ideal, Hässlichkeit der Gegenentwurf, der Stachel im Fleisch der Angepassten. Das haben auch vor hundert Jahren viele Künstler erkannt. Als die Industriegesellschaft vor dem ersten Weltkrieg in ihre Wertekrise geriet, kriselte es auch in den „schönen“ Künsten. Die Darstellung des Hässlichen kam in Mode. Expressionisten und andere „Moderne“ setzten auf den Schockeffekt.

Das zeigt aber auch, dass beide Seiten einander brauchen. Wir erkennen Schönheit nur, weil wir die Gegenseite des Hässlichen kennen. Und Hässlichkeit erkennen wir, weil wir ein Schönheitsideal besitzen. An ihm messen wir die weniger schöne Wirklichkeit.

In Deutschland gibt es inzwischen mehr als eine Million Schönheitsoperationen im Jahr. Was wäre, wenn es gelänge, alle hässlichen Merkmale wegzuoperieren? Würde damit die Hässlichkeit aus der Welt verschwinden? Keineswegs. Unsere Maßstäbe würden sich lediglich verschieben. Unter den 100 Prozent Schönen würde eine neue Unterscheidung einsetzen. Die am wenigsten Schönen der Schönen wären dann die neuen Hässlichen.

Seien wir also den Hässlichen dankbar. Sie machen die Welt bunt und vielfältig. Und sie tragen dazu bei, dass wir das Vergnügen am Schönen weiterhin genießen können.

Unser Buchtipp:
Regina und Harald Gasper: Herrlich hässlich! Warum die Welt nicht den Schönen gehört. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005, € 16,95

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veröffentlicht im September 2009 © by www.berlinx.de

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