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Seit es die Ehe gibt, gibt es auch den Ehebruch. Doch wie verbreitet ist der Seitensprung? Tut es jede(r) Vierte, Dritte, Zweite oder noch mehr? Keiner weiß es genau, da alle Zahlenangaben auf Befragungen beruhen und deren Ergebnisse schwanken zwischen 24 und 70 Prozent. Nur in einem stimmen alle Studien überein: erheblich mehr Männer als Frauen gehen fremd.

Die Evolutionsbiologen sind sich sicher: der Mann ist von Natur ein Jäger. Er zieht herum und verstreut dabei seine Erbanlagen so weit wie möglich. Je mehr Frauen Kinder von ihm bekommen, desto stärkeren Anteil gewinnen seine Gene am Gesamterbgut der Menschheit. Ist der Drang zur Polygamie im Erbgut verankert, werden sich seine Söhne genauso verhalten – und im Laufe einiger tausend Generationen siegen die Gene männlicher Polygamie über das Erbgut treuer Männer, die nur mit einer Frau Kinder zeugen und daher im statistischen Mittel weniger Nachkommen und damit Kopien ihrer Gene in die nächste Generation bringen.

Die Frau ist dagegen eine Hüterin von Herd und Heim. Während ein Mann (zumindest theoretisch) Tausende von Kindern zeugen könnte, kann sie es kaum auf mehr als ein bis zwei Dutzend bringen. Wegen des hohen Aufwandes pro Kind (neun Monate Schwangerschaft) liegt ihr Interesse vor allem darin, daß jedes Kind versorgt wird und sich optimal entwickelt, damit es erwachsen wird und ihr Erbgut weiterträgt. Sie wird deshalb anstreben, daß sich der Vater an Aufzucht und Erziehung beteiligt und seine Familie versorgt.

Damit entsteht ein Interessenkonflikt. Sie will den Mann an sich binden im Interesse des Nachwuchses, er dagegen möchte sobald wie möglich zu neuen Ufern aufbrechen. Das Resultat: er neigt zum Fremdgehen, sie zur Treue – und beide können nichts dafür. Der Unterschied liegt in den Genen.

Soziologen, vor allem aus dem feministischen Lager, widersprechen dieser Erklärung. Für sie liegt der Grund für die männliche Neigung zum Seitensprung in der größeren Macht der Männer. Je reicher und mächtiger ein Mann, desto mehr Frauen kann er sich leisten. Das beweisen nicht nur die Harems früherer Sultane, sondern auch die immer noch gültige Tatsache, daß Manager häufiger fremd gehen als Hilfsarbeiter.

In einem sind sich aber alle Forscher einig. Der Mann geht häufiger fremd als Frauen. Aber keiner stellte sich unseres Wissens bisher folgende Frage: Wenn sich beispielsweise 30 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer Seitensprünge leisten – mit wem tun es die überzähligen Männer? Doch wohl mit Frauen? Wenn wir nicht annehmen wollen, daß jeder dritte Mann heimlich bisexuell ist (also mit Männern fremd geht), erhebt sich die Frage: Mit welchen Frauen tun sie es, wenn die anderen Frauen alle treu sind?

Dafür bieten sich zwei mögliche Erklärungen an:

  1. Prostituierte. Also eine kleine Anzahl von Frauen, die sehr viele Männer “versorgen”. Dagegen spricht, daß sehr viele Männer in den Befragungen den Prostituiertenbesuch nicht als Seitensprung zählen. Und: Befragungen in der DDR der siebziger Jahre ergaben ebenfalls einen großen Unterschied in der Treue von Männern und Frauen, obwohl dort der Normalmann keine Chance hatte, Kunde einer der wenigen kontrollierten Staats”hostessen” zu werden.
  2. Verheiratete Männer gehen vorrangig mit ledigen Frauen fremd, während der umgekehrte Fall viel seltener vorkommt. Niemand weiß, ob das tatsächlich so ist. Auf jeden Fall könnte ein solcher Unterschied nur einen kleinen Teil des verschiedenen Seitensprungverhaltens von Männern und Frauen erklären. Denn vor vierzig Jahren, als die übergroße Mehrheit der Erwachsenen verheiratet war (die Anzahl der Singles lag unter 10 Prozent) – als ledige Frauen also selten waren – waren die Unterschiede der Geschlechter in bezug auf Treue und Untreue genauso groß wie heute.

Ein gewiefter Meinungsforscher lüftete in den achtziger Jahren einen Zipfel des Schleiers, als er nach Einsammeln der Fragebogen auf die Idee kam, hinterher die Männer und Frauen unter vier Augen zu fragen, ob sie alle Fragen ehrlich beantwortet hatten. Und da gab es eine große Überraschung. Obwohl der Fragebogen anonym war, gaben viele Männer zu, daß sie die Zahl ihrer Partnerinnen ein wenig übertrieben hatten, während die Frauen gestanden, den einen oder anderen Seitensprung verschwiegen zu haben.

Kurz, für Männer ist es schmeichelhaft, viele Eroberungen gemacht zu haben, während Frauen sich selbst gern als treu sehen möchten und deshalb gern die eine oder andere Affäre als “Versehen” gedanklich verdrängen. Die Anonymität von Befragungen sichert die Aufrichtigkeit nur dann, wenn die Versuchspersonen zu sich selbst ehrlich sind. Und das ist in diesem sensiblen Bereich nicht immer der Fall. Liegt der Unterschied vielleicht nicht in der Häufigkeit der Seitensprüngen, sondern lediglich in der inneren Einstellung beim und nach dem Fremdgehen?

Die moderne Genanalyse lieferte kürzlich ein überraschende Bestätigung. Neuerdings ist es möglich, die Vaterschaft durch einen Gentest sicher zu bestimmen. Und da zeigte sich zur Überraschung aller Verfechter der starken weiblichen Treue: jedes zehnte Kind stammt nicht von dem Mann, der in der Geburtsurkunde als Vater angegeben ist (in der Regel der Ehemann). Gehen die Frauen genauso oft fremd wie Männer – aber verbergen sie es besser?

Viele Evolutionsbiologen haben inzwischen in ihren Erklärungen einen entsprechenden Schwenk vollzogen: Die Frauen holen sich die besten männlichen Erbanlagen von einem jungen, starken Mann, lassen das so gezeugte Kind aber von einem finanziell potenten Workaholic versorgen. Und auch die feministisch orientierte Soziologie kann mit den neuen Befunden leben. Männer beweisen ihre Macht, indem sie mit ihren Eroberungen protzen, und die benachteiligten Frauen unterlaufen das Machosystem, indem sie ihrem Herrn und Meister als Stammhalter ein Kuckucksei – also ein Kind mit fremden Erbanlagen – ins Nest legen.

Veröffentlicht im Juni 2000 © by www.berlinx.de

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