Stimmt das wirklich?

Wissenschaftliche Studien gelten in vielen Artikeln und Büchern als höchster Wahrheitsbeweis. Höchste Zeit, mal zu fragen, was dran ist an ihrer Autorität.

„Forscher aus den USA haben in einer aufwändigen Studie bewiesen“ – solche Formu­lierungen gehören in der Bericht­erstattung über neue Erkenntnisse zum Standard. Ein Joghurt fördert die Darm­flora, ein Shampoo beugt Haar­ausfall vor, dreimal Sport pro Woche verlängert das Leben … Egal, worum es geht – längst verlassen wir uns nicht mehr auf Omas Erfahrung oder den gesunden Menschen­verstand.

Eigentlich ist unser Vertrauen in die Forschung erstaunlich. Denn andererseits wecken sterile Labors und Chemie­cocktails auch Misstrauen. Unser Verhältnis zur modernen Wissenschaft ist nicht ungetrübt. Was leisten also Studien und was nicht?

Studien sind verall­gemeinerte Erfahrung. Ein Forscher fragt nicht nur, wie sein bester Kumpel das neue Medikament vertragen hat. Er fragt einige hundert Personen, die er nicht persönlich kennt. Zugleich beobachtet er ebenso viele Personen, die das Medikament nicht genommen haben. Dann vergleicht er beide Gruppen. Nur wenn es der ersten Gruppe mit dem Medikament besser geht als der zweiten ohne, gilt es als wirksam.

Studien versuchen, Zufälle auszuschließen. Denn wenn sich Ihr Freund nach einem Medikament gesünder fühlt, kann es an vielen anderen Dingen liegen, zum Beispiel:

  • Die Krankheit war sowieso im Abklingen
  • Ihm hat etwas anderes geholfen: Bettruhe, Obst essen, Tee trinken …
  • Ihre fürsorgliche Zuwendung war entscheidend

Um bei Studien zu zuverlässigen Ergebnissen zu kommen, nutzen Forscher eine Reihe von Tricks:

Zufallsauswahl: Die Patienten- und die Kontrollgruppe sollen den gleichen Durchschnitt der späteren Anwender eines Medikaments repräsentieren. Der Fachbegriff lautet: „randomisiert“ (random = engl. Zufall).

Placebokontrolliert: Eine Gruppe erhält das neue Medikament, eine andere eine Mischung aus Mehl und Zucker ohne Wirkstoff. Von Aussehen und Geschmack sind beide gleich. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass auch das Schein­medikament bei etwa 30 Prozent der Teilnehmer eine Wirkung zeigt. Das Ritual der Einnahme und die Aufmerksamkeit der Ärzte lösen eine Heilerwartung aus. Die meisten neuen Wirkstoffe, die hoffnungsvolle Forscher testen, erreichen leider auch nur die 30 Prozent Wirkung der Placebos. Das echte Medikament muss diese Placebo­wirkung deutlich übertreffen. Nur dann hat es eine Chance.

Doppelblind: Weder Arzt noch Patient wissen, ob sie das echte oder ein Schein­medikament anwenden. Damit wird vermieden, dass der Arzt durch unbewusste Signale dem Patienten mitteilt, ob er eine echte Behandlung erhält. So werden psychologische Einflüsse ausgeschlossen. Das ist allerdings nicht immer möglich. Wenn Ärzte zum Beispiel eine scheinbare Knie­spiegelung durchführen, weiß der Operateur natürlich Bescheid. Solche Studien heißen „einfach blind“.

Metastudien: Ob und wie Bewegung der Gesundheit nützt, darüber gibt es inzwischen Hunderte von Studien. Mit statistischen Berechnungen ist es nun möglich, diese Studien zu vergleichen und ihre Ergebnisse zusammen­zufassen. Mit einer solchen „Meta­analyse“ (meta = altgriechisch über, oberhalb) erhält man Resultate über Tausenden von Studien­teilnehmern und kann Zufalls­effekte weiter minimieren. Meta­studien gelten als besonders zuverlässig.

Wie im wahren Leben wird auch in der Wissenschaft geschummelt, geschludert oder einfach Fehler gemacht. Forscher sind keine Übermenschen. Wenn also eine neue Studie eine interessante Erkenntnis verkündet – wie weit dürfen wir ihr vertrauen?

Belegt, nicht bewiesen: Studienergebnisse sind keine Beweise. Echte Beweise gibt es nur in der Mathematik und in der Logik. Im realen Leben müssen wir immer mit Irrtümern rechnen. Eine Studie kann bestenfalls ein Argument mit systematischer Erfahrung über kleine Gruppe von untersuchten Menschen unterstützen. Es gilt immer: „Wahrscheinlich wahr – bis zum Beweis (oder Beleg) des Gegenteils.“

Korrektur möglich: Menschen neigen dazu, ihre Lieblings­überzeugungen ein Leben lang zu verteidigen. Auch wenn andere längst zu besseren Einsichten gekommen sind. Das gilt auch für Forscher. Doch die Wissenschaft ist ein Viele-Leute-Unternehmen. Der einzelne Forscher mag vorein­genommen und seine Studie fehlerhaft sein. Doch bald werden andere Forscher kommen und sein Ergebnis überprüfen. Wissenschaft ist ein System, das sich laufend selbst korrigiert. Fälscher werden entlarvt, Irrtümer berichtigt. Prüfen Sie deshalb:

  • Gibt es zum Thema nur eine Studie? Dann ist das Ergebnis neu, es ist leicht möglich, dass es demnächst widerlegt wird.
  • Gibt es einander wider­sprechende Studien? Dann wird das Thema noch diskutiert, es liegen keine verlässlichen End­resultate vor.
  • Widerspricht das Ergebnis allgemein üblichen Überzeugungen? Dann hat der Forscher entweder einen Fehler gemacht oder es sind tatsächlich neue Erkenntnisse zu erwarten, die unser bisherigen Wissen verändern werden.

Am verlässlichsten sind Erkenntnisse, die schon längere Zeit durch neue Studien immer wieder bestätigt werden. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Bewegung nützt der Gesundheit.
  • Rauchen, Alkohol, starkes Übergewicht schaden.
  • Das Risiko von Krebs, Diabetes und Infarkten und die generelle Lebenserwartung werden nur zu einem geringen Teil von den Genen bestimmt. Entscheidend ist die Lebensweise.

Andere einfache Wahrheiten sind in letzter Zeit durch Studien teilweise in Frage gestellt worden:

  • Nicht jeder Bluthochdruck muss behandelt werden. Bei Werten unter 160/100 bringen Blutdruck­senker kaum Nutzen, sofern keine andere Risiko­faktoren bestehen.
  • Leichtes Übergewicht kann gesünder sein, als Normal- oder leichtes Untergewicht.
  • Auf Alkohol möglichst verzichten? Vor zwanzig Jahren hieß es plötzlich, ein Glas Rotwein am Tag sei gesünder als völlige Abstinenz. Inzwischen wird vor der Entwarnung wieder gewarnt. Es könnte sein, dass unter den untersuchten Abstinenzlern trockene Alkoholiker und kränkliche Personen waren, die keinen Alkohol vertragen. Ihre Todesraten verfälschen die Statistik der Gesunden.

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veröffentlicht im Oktober 2015 © by www.berlinx.de

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