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Brau­chen wir neue Eliten, die uns aus der Krise führen? Oder haben Eliten uns erst hinein­geritten? Sind Eliten gut oder schlecht und wie kön­nen Sie deren Mit­glied werden? Ist es über­haupt er­stre­bens­wert, eine/r von ihnen zu sein?

Mark ist 25, trägt Anzüge von Armani und arbeitet bei einer bekannten Beraterfirma. Er hat in Schottland und Amerika studiert. Er spricht englisch fließend und kann sich auf französisch und spanisch verständigen. Über sein Jahresgehalt redet er nicht. Dass er zur Elite gehört, ist für ihn selbstverständlich.

Das Wort „Elite“ kommt vom französischen „élire“, was „auserwählen“ bedeutet. Vor der Revolution von 1789 nannte man dort nur Weine oder edle Stoffe auserlesen. Erst im 19. Jahrhundert sprach das Bürgertum von einer Elite der Tüchtigen. Es distanzierte sich damit vom Adel und seinen ererbten Privilegien.

Die Bezeichnung „Elite“ trennt die Auserwählten von der übrigen Masse. Sie nimmt eine wertende Zweiteilung der Menschheit vor. Das ist der Grund, warum das Wort soviel Unbehagen auslöst. Eliten haben als Erfinder und Ärzte nach 1800 einiges für die Menschheit geleistet, aber als Klassen- und Rasseneliten im 20. Jahrhundert auch viel Unheil angerichtet.

Heute spricht man lieber von „Leistungseliten“. Sie sollen im globalen Wettbewerb unser Land an der Weltspitze halten. Elite-Unis und –schulen sollen die Besten fördern.

Die Wahrheit sieht anders aus. Gerade in Deutschland entscheidet vor allem die soziale Herkunft, wer an die Spitze kommt. Von den Vorstandsvorsitzenden der 100 größten deutschen Unternehmen stammen 85 aus der Oberschicht. Eine Gruppe, die sonst nur 3,5 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Das zeigte der Soziologe Michael Hartmann in einer großangelegten Studie. Wir dürfen daher bezweifeln, dass die „Leistungs“-Elite allein durch ihre Leistung ihre Machtposition erobert hat.

Die Ursache für das Missverhältnis finden wir, wenn wir einen Blick auf die Leistungseliten der Vergangenheit werfen. Leonardo da Vinci, Bach, Beethoven, Goethe und Thomas Mann gehörten zweifellos zur kulturellen Elite. Werner Siemens, Thomas Edison und Gottlieb Daimler waren als Erfinder und Unternehmensgründer Teil einer neuen Wirtschaftselite. Napoleon, Adenauer und Willy Brandt erwarben Ruhm als Vorreiter einer neuen politischen Elite. Keiner von ihnen durchlief eine spezielle Eliteförderung. Sondern sie kämpften sich unter widrigen Bedingungen an die Spitze.

Eliteförderung zäumt das Pferd vom Schwanz auf. Kinder werden zur Elite erklärt, bevor sie irgendetwas geleistet haben. Sie erhalten mehr Geld, bessere Lehrer und hervorragende Lernmittel. Unter solchen Bedingungen können auch mittelmäßig Begabte mehr erreichen als Könner, die in einem Unterschicht-Ghetto aufwachsen. Eliteförderung wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Eltern, die es sich leisten können, geben viel Geld aus, damit ihr Kind das Label „Elite“ aufgeklebt bekommt.

Eine Investition, die sich lohnt. In dem goldenen Käfig lernen ihre Sprösslinge zwar nicht, wie man sich unter ungünstigen Bedingungen an die Spitze vorkämpft. Aber sie erhalten beim Schwimmen mit dem Strom einen Startplatz in der ersten Reihe.

Die Eliteförderung erzeugt das Gegenteil von Elite – gestresste Anpasser. Um Weltspitze zu sein, sind unbequeme Quertreiber gefragt. Originelle Denker, die Autoritäten anzweifeln, neue Wege einschlagen, das System verändern wollen. Karrieresüchtige Ja-Sager halten sich an das Bewährte der Vergangenheit. Wenn Sie also auf kein Elite-Internat gegangen sind – das könnte sich für Sie als Glücksfall erweisen. Sie haben sich vielleicht einen unvoreingenommen Blick bewahren können.

Die Elite von heute wird in zwanzig Jahren die Elite von gestern sein. Ihre Stars wie Bill Gates oder Woody Allen begannen einst als Studienabbrecher. Die Elite von morgen sind ideenreiche Jugendliche mit Wagemut und Durchsetzungsvermögen von heute. Die meisten werden nicht aus der planwirtschaftlich organisierten Eliteförderung kommen, sondern unkonventionelle Wege einschlagen. Schon ihr Bildungsgang verrät Originalität.

Es führen viele Pfade an die Spitze. Sich mit 14-Stunden-Tagen in der Hierarchie nach oben zu buckeln, ist nur einer und sicher nicht der beste. Andere Wege sind:

  • Quereinsteiger mit Praxiserfahrungen – die jenen Zöglingen fehlen, die in die Welt der Eliteinternate eingesperrt waren.
  • Eigene Ideen in unabhängigem Kleinunternehmen vermarkten und die Etablierten außen herum überholen.
  • Ins Ausland gehen und mit dem Exotenbonus dort in etablierte Netzwerke einsteigen.
  • Sich bei alternativen Eliten (Kunst, Journalismus, Umweltbewegung) einen Namen machen.

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Unsere Buchtipps:
Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen. Hoffmann & Campe 2008, € 17,95 (ab 1.5.2009 als Heyne Taschenbuch für € 7,95)
Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Campus 2004, € 19,90

veröffentlicht im April 2009 © by www.berlinx.de

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