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Über Midlifekrise und Andropause

Frauen kommen ins Klimakterium, Männer in die Midlifekrise. Das galt mehr als zwanzig Jahre als selbstverständlich. Jetzt haben Mediziner und Psychologen auch beim Mann die Wechseljahre entdeckt. Was ist dran am Gerücht vom erschlaffenden Mann?

Nicht nur Frauen, auch die meisten Männer wissen mehr über Menarche, Monatszyklus und Menopause der Frau als über die biologischen Grundlagen ihres eigenen Geschlechts. Eine Studie ergab vor einigen Jahren, daß Männer mehr Auskünfte über das prämenstruelle Syndrom oder Brustkrebs geben können als über die Prostata oder Hodenkrebs. Eine Reihe von Männern machen sich zwar viel Gedanken über drohende Impotenz und unterschiedliche Penislängen, ihre Ängste und Hoffnungen beruhen jedoch häufiger auf Legenden und Gerüchten als auf Sachkenntnis.

 
Dies trifft insbesondere auf das Phänomen der Wechseljahre zu. Beiden Geschlechtern ist wohlbekannt, daß Frauen zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig eine hormonelle Umstellung, das sogenannte Klimakterium, durchlaufen. Die Bildung der Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron läßt nach, die Monatsblutungen treten unregelmäßiger und schwächer auf und bleiben schließlich ganz aus. Diese inneren Veränderungen werden äußerlich von Hitzewallungen, aber auch psychischen Verstimmungen, Schlafstörungen, Schwindel und Kopfschmerzen begleitet. Trotz der Beschwerden handelt es sich um keine Krankheit, sondern um eine normale, vorübergehende Lebensphase.
 
Und Männer? Gibt es bei ihnen etwas Vergleichbares? Fragen Sie Ihre Bekannten, und Sie werden feststellen, daß die Meinungen geteilt sind – von bedingungsloser Zustimmung bis zu entschiedener Ablehnung. Andere reagieren vielleicht mit einem ratlosen Schulterzucken. Auch unter Fachmedizinern ist diese Frage vor noch nicht allzu langer Zeit heftig diskutiert worden. Die Gegner verwiesen auf zahlreiche prominente Männer wie Charlie Chaplin oder Anthony Quinn, die noch jenseits der sechzig Kinder zeugten.
 
Die Befürworter wiesen nach, daß zahlreiche Männer jenseits der sechzig praktisch sämtliche sexuelle Aktivität und Interessen verloren haben.
 
Inzwischen hat die Forschung Klarheit in die Frage nach der Lebenskrise bei Männern zwischen 40 und 55 gebracht. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse:
Die meisten Männer erleben jenseits der vierzig einen inneren Umstellungsprozeß – nicht nur auf seelischer, sondern auch auf körperlicher Ebene. Wie stark die körperlichen Auswirkungen sind, variiert allerdings viel stärker von Mann und Mann, als es bei Frauen im Klimakterium der Fall ist.
 
Jenseits der vierzig läßt die Produktion des Hormons Testosteron nach (siehe Tabelle). Die meisten spüren, daß der Drang nach Sex nachläßt. Die einen fürchten sich, damit an männlicher Ausstrahlung zu verlieren, andere begrüßen den gewonnenen inneren Abstand.
 
Bei 25 Prozent der Männer fällt der Testosteronspiegel in diesem Alter stärker ab als normal. Sinkt der Wert auf unter vier Nanogramm pro Milliliter Blut (das ist bei 5 bis 10 Prozent der Männer der Fall), wird er als krankhaft betrachtet, d. h. es empfiehlt sich eine Therapie. Die Symptome können sein: Erschöpfungszustände, deutlicher Verlust an Ausdauer und Muskelkraft, unerklärliche Gewichtszunahme, starker Haarausfall, Taubheitsgefühle in Armen und Beinen, Nervosität, Hitzewallungen, Probleme mit den Augen, Prostatavergrößerung, gänzlicher Verlust der Potenz.
 
Dieser starke Hormonausfall wird als Andropause bezeichnet, als Gegenbegriff zur weiblichen Menopause. Der Hormonausfall läßt sich durch künstliche Hormongaben behandeln. Üblich sind 200 mg Testosteron alle drei Wochen – meist in einer Form, die nur nach und nach vom Blut aufgenommen wird. Verschiedene andere medizinische Therapieverfahren sind in der Erprobung.
 
Der Hormonverlust wirkt sich in diesem Alter deshalb stark auf das Wohlbefinden aus, weil die Männer zugleich eine seelische Krise, die berühmte Midlifekrise durchlaufen. Egal, wie äußerlich erfolgreich der Mann sein mag: in dieser Phase neigt er dazu, sich als Versager zu sehen. Er sieht seine Verluste an Jugend und die Dinge, die er nicht erreicht hat, übersieht aber seine Errungenschaften und die Chancen, die Reife und Abgeklärtheit bieten. Die Symptome sind bekannt:
  • Ausbruch aus langjährigen Ehen und Erneuerungsversuche mit jugendlichen Freundinnen
  • Aufs Spiel setzen erfolgreicher Berufskarrieren
  • Ersatzbefriedigungen (viel Essen, Alkohol, große Sportwagen).
 
Manchmal ist der Ausbruch von Erfolg gekrönt. Paul Gauguin war 43, als er seine Familie verließ und seine erfolgreiche Finanzlaufbahn aufgab, um nach Tahiti zu ziehen und dort seine berühmten Bilder zu malen. Die meisten finden aber nach einiger Zeit der Selbsterprobung gereift in ihre bisherige Welt zurück.

Alter
Testosteronspiegel
(in Nanogramm je Milliliter Blut)
20 – 39 6, 83
40 – 59 5, 99
60 – 69 5, 75
70 – 79 4, 28
80 – 89 4, 34
90 – 100 3, 91
 
Unser Lese-Tip:
Jed Diamond: Der Feuerzeichen-Mann. Wenn Männer in die Wechseljahre kommen. Verlag C. H. Beck. DM 19,90.

Mai 1999 © by www.berlinx.de

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