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Wir halten uns für die klüg­sten Lebe­wesen unter der Sonne. Wir nennen uns Homo sapiens – der weise Mensch. Doch schauen wir uns die Ergeb­nisse unseres Denkens und Handelns an, sollten uns ernste Zweifel an unserer Einsichts­fähigkeit kommen. Wie vernünftig sind wir wirklich?

Ein Sonderangebot lockt mit Gratis­zugaben. Wir schlagen freudig zu. Erst nach Tagen sehen wir ein, dass wir das Zeug überhaupt nicht gebrauchen können. Nun steht es nutzlos herum und füllt die Wohnung. Aber es einfach so in den Müll werfen?

Der Bank­berater bietet Ihnen eine Geld­anlage mit einer Traum­rendite von über zehn Prozent. Sie weisen das Angebot schaudernd zurück. Aber wie hätten Sie vor dem großen Finanz­crash vom Herbst 2008 reagiert?

Ein neues Auto ist fällig. Entscheiden Sie sich für den sparsamen Kleinwagen oder für den flotten Spritfresser, der Ihnen ein Gefühl von Stärke und Komfort bietet?

Wir handeln oft unver­nünftig. Diese Einsicht ist uralt. Seit der Antike denken Philo­sophen über die Vernunft nach. Wie viel Vernunft besitzen wir? Und was hindert uns, von ihr Gebrauch zu machen? Die großen Denker unterschieden dabei zwischen dem kühl rechnenden Verstand und der reflek­tierenden Vernunft.

Der Verstand ist der Bereich des Fakten­wissens und der Logik. Er hat in den letzten 200 Jahren große Triumphe in der Wissenschaft gefeiert. Die Vernunft ist die höhere Denkebene. Sie beurteilt die Leistungen des Verstandes kritisch. Sie fragt: Ist es vernünftig, die Wissenschaft so anzuwenden, wie wir es tun? Was sind ihre Risiken und Chancen? Macht uns mehr Technik auch glücklicher?

Wir beobachten ein Auseinanderdriften von Verstand und Vernunft. Einerseits ist der Wohlstand gewachsen. Wir haben Seuchen besiegt, das Einkommen vervielfacht und Aufgaben des rechnenden Verstandes an Computer delegiert. Andererseits scheint die Unvernunft im Weltmaßstab zuzunehmen. Das zeigen die Weltkriege mit Millionen Toten, die Zunahme von Fanatismus und Aberglauben, aber auch unsere Unfähigkeit, globale Risiken (Klima, Rohstoffe, Finanzen) in den Griff zu bekommen.

Auch im Alltag jedes Einzelnen finden wir diesen Widerspruch. Wir sollten uns mehr bewegen, gesünder essen, aufmerksamer zu unseren Mitmenschen sein. Es ist völlig unnötig, auf Zigarettenschachteln zu warnen, dass Rauchen tödlich sein kann. Jeder Raucher kennt das Risiko. Es gehört geradezu zum menschlichen Wesen, die bessere Einsicht zu haben und gleichzeitig gegen sie zu handeln.

Würden wir stets der Vernunft folgen, wäre eine Philosophie der Vernunft überflüssig. Gerade weil wir ihr so selten folgen, denken wir ständig über sie nach. Ein neues Forschungsgebiet – die Verhaltensökonomie – untersucht die Quellen der Unvernunft. Die klassische Ökonomie nimmt an, dass sich alle Marktteilnehmer rational verhalten. Seit der jüngsten Finanzkrise glauben das nur noch wenige. Verhaltensökonomen sagen: Wir glauben nur, rational zu handeln.

Das sind die wichtigsten Antriebe, die uns zu unvernünftigen Entscheidungen verleiten:

Emotionen. Wenn wir uns aufregen, Angst haben oder frustriert sind, ist die Gefahr groß, die Stimme der Vernunft zu überhören. Jeder weiß, dass man schwierige Entscheidungen am besten mit kühlem Kopf trifft. Gefühle bringen uns von langfristigen Zielen ab. Sie verleiten uns, momentanen Empfindungen zu folgen. Wir nutzen manche Chance nicht, weil aktuelle Ängste uns risikoscheu machen. Wir tätigen Frustkäufe statt nachzudenken, ob wir das Objekt der Begierde wirklich nutzen werden. Und wer hat nicht im Zorn schon Dinge gesagt oder getan, die er hinterher bereute?

Zufällige Orientierungsmarken: Woran orientieren Sie sich, wenn Sie eine Entscheidung treffen? Ein beliebter Verkaufstrick der Profis ist folgender. Um einen teuren Fernseher zu verkaufen, stellen sie daneben ins Schaufenster einen noch teureren. Im Vergleich zu diesem erscheint das andere Gerät preiswert. Tests zeigen, dass viele Kunden auf diesen künstlichen und falschen Vergleichsmaßstab hereinfallen. Sie kaufen ein Gerät, dass ihnen sonst zu teuer erschienen wäre. Ob es um Einkäufe, einen lohnenden Job oder den idealen Partner geht: Wir müssen ständig alles vergleichen. Nur selten aber denken wir über den Vergleichsmaßstab nach, den wir anwenden. Doch nur wer den kennt, kann vernünftig handeln und sich vor Manipulation schützen.

Freiheitsdrang: Sich alle Optionen offen halten, ist für uns ein Zeichen von Freiheit. Die jugendliche Singlegesellschaft will sich nicht festlegen. Wer sich für eine Option entscheidet, muss auf andere verzichten. Doch darin lauert ebenfalls ein Falle der Vernunft. Denn der Zwang, sich möglichst viele Optionen offen zu halten, ist ebenfalls die Entscheidung für eine Option. Wer keine Möglichkeit wählt, um alle zu behalten, bekommt am Ende nichts. Er lässt alle Dinge in der Schwebe und kann keine seiner Chancen nutzen. Er ist damit schlechter dran, als diejenigen, die sich für eine Option entscheiden.

Gruppendruck: Die wenigsten Menschen treffen unabhängige Entscheidungen. Meist folgen wir dem Druck einer sozialen Gemeinschaft. Wir übernehmen Normen der Familie, des Teams im Job, von Freunden, aber auch von Menschen, denen wir uns gedanklich zuordnen. Das kann politische Überzeugungen betreffen, aber auch den kulturellen Geschmack. Ein Beispiel: Sie haben sich bei einer Filmklamotte prächtig amüsiert. Doch schon fällt Ihnen ein, dass Ihre Freunde den Film als primitiv aburteilen würden. Je öfter Sie mit ihnen über Filme diskutieren, desto größer Ihre Neigung, Filme in Zukunft mit ihren Augen zu sehen.

Worte statt Taten. Der Mensch nutzt seine Sprache, um vernünftige Überlegungen und unvernünftige Impulse in Übereinstimmung zu bringen. Ich sollte zum Beispiel einen Bericht bis übermorgen fertig stellen – aber ich habe keine Lust. Also erfinde ich wortreiche Ausreden:

  • Ich muss auch mal Zeit für mich finden.
  • Meine Kollegen sind alles faule Säcke, warum soll ich fleißiger sein?
  • Nächstes Wochenende gehe ich mit doppeltem Elan an den Bericht.

Wir neigen dazu, gut gemeinte Absichten zu äußern und als Ersatz für echte Taten zu akzeptieren.

Unser Lesetipp:
Don Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen. Droemer Verlag, München 2008, € 19,95.

veröffentlicht im Januar 2009 © by www.berlinx.de

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