Gibt es ein ange­borenes Talent, nie ernst­haft zu erkranken?

Warum sind manche ständig von Weh­wehchen geplagt, andere aber be­nei­dens­wert gesund? Machen ihre Gene den Unter­schied, Ernährung und Sport, oder einfach das Glück? Eine neue Studie bringt Über­raschen­des ans Licht.

Wer möchte nicht gern dauerhaft gesund sein? Bei den wichtigsten Werten der Mittel­europäer steht „Gesundheit“ in den Umfragen immer auf Platz 1. Weit vor Liebe, Erfolg oder Reichtum. Wovon aber hängt es ab, ob wir gesund durchs Leben kommen? Da sind die Meinungen weit weniger einheitlich. Die Medien erwecken oft den Eindruck, es sei ganz einfach: Gesunde Ernährung, Ausdauer­training und regelmäßige Vorsorge beim Hausarzt genügen.

Jeder von uns kennt jedoch Beispiele, die dieses einfache Rezept infrage stellen. Da ist die Nachbarin, die jung schon an Multipler Sklerose erkrankte. Andere hatten als Kind schon eine schwere Allergie oder Diabetes, trotz schlanker Figur. Zahlreiche Erkrankungen hängen von den Genen ab. Da aber weder eine gesunde Lebensweise noch die Weisheit der Ärzte daran bislang etwas ändern kann, berichten die Medien darüber eher selten. Meist nur dann, wenn es um neue Verfahren zur Früherkennung geht. Doch auch sie kann genetische Krankheiten kaum verhindern. Meist geht es nur darum, früher mit der Behandlung der Folgesymptome zu beginnen.

Auf der anderen Seite stehen Menschen, die gesund sind trotz Übergewicht, Rauchen, Stress oder Bewegungsmangel. Wer kennt nicht die Geschichte vom kettenrauchenden Großvater, der immer kerngesund war und den mit 92 Jahren ein beneidenswert schneller Herzanfall dahinraffte? Weltbekannt wurde die Französin Jeanne Calment. Sie starb 1997 im Alter von 122 Jahren, als bislang älteste Frau der Welt. Sie gewöhnte sich erst mit 118 Jahren das Rauchen ab. Nicht wegen der Gesundheitsschäden, sondern weil sie nicht mehr imstand war, sich allein ihre Zigaretten anzuzünden. Mit 80 erlernte sie das Fechten, mit 100 fuhr sie noch Fahrrad, bis zum 110. Jahr versorgte sie sich selbst. Erst dann ging sie in ein Heim. Am Ende ihres Lebens war sie blind und fast taub. Sie fuhr im Rollstuhl, blieb aber bis zuletzt temperamentvoll, beherzt und geistig wach.

Nehmen wir die Bevölkerung als Ganzes zum Ausgangspunkt, so könnte man für jeden von uns einen Gesundheitsquotienten aufstellen. Er wäre genauso zu errechnen wie der Intelligenzquotient. Die mittlere Gesundheit der Bevölkerung erhält den Wert 100. Der Gesundheitsquotient jedes einzelnen liegt dann entweder darüber oder darunter. 90 Prozent von uns würden einen Wert zwischen 90 und 110 erreichen. Wenige Benachteiligte erzielen weniger als 90 Punkt. Und einige Glückskinder kommen auf Werte von 120, 130 und mehr, was ihnen ein langes Leben bei fester Gesundheit verspricht.

Leider gibt es noch kein Verfahren, diesen Quotienten zu messen. Es sind bei weitem nicht alle Faktoren bekannt, die in die Berechnung einfließen müssten. Außer Ernährung, Sport, Vorsorge und Genen sind unbedingt zu berücksichtigen:

Geld. Reiche sind im Schnitt gesünder. Sie können sich bessere medizinische Versorgung leisten (Privatpatienten!). Sie haben einen höheren Status, was gut für ihr Glücksgefühl ist. Und sie können sich zahlreichen krankmachenden Faktoren entziehen. Sie müssen nicht an lauten Straßen leben, können ungesunde Umgebungen meiden und können mehr Geld (und oft auch Zeit) in eine gesunde Lebensweise investieren.

Bildung. Abiturienten leben länger als Hauptschüler. Zum einen hat das mit dem Geld zu tun. Wer einen höheren Abschluss hat, verdient später in der Regel auch mehr Geld. Doch es kommen weitere Faktoren hinzu. Gebildete sind neugierig, aufgeschlossen und trainieren ihre geistige Fitness, da sie lebenslang dazu lernen. Außerdem haben sie das größere Gesundheitswissen. Sie erkennen frühe Krankheitssymptome, nehmen Warnsignale des Körpers ernst. Im Schnitt missbrauchen Gebildete weniger Nikotin und Alkohol. Auch Übergewicht ist in den Unterschichten häufiger.

Kontakte. Studien zeigten, dass ein großer Freundeskreis genauso förderlich für die Gesundheit ist wie regelmäßiges Fitnesstraining. Kontakte bringen Abwechslung bis ins hohe Alter. Klatsch und Tratsch halten das Gehirn fit. Das Gefühl, gebraucht und umworben zu werden, schützt wie ein zusätzliches Immunsystem.

Tätigkeit. Sinnvolle Tätigkeit, auch nach der Rente, gibt einen mächtigen Gesundheitsschub. Arbeitslose sind öfter krank und haben die geringere Lebenserwartung. Wer nach der Pensionierung noch weiter aktiv bleibt, verlängert sein Leben und schiebt das Eintreten chronischer Alterskrankheiten weit hinaus. Körper und Geist werden noch gebraucht und so am Abbau gehindert.

Das sind wahrscheinlich noch nicht alle Faktoren. Klima, Stresspegel, kulturelle Sitten und vieles mehr haben einen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Es gibt zahlreiche Tests, um die eigene Lebenserwartung zu berechnen. Aber diese Tests haben einen entscheidenden Nachteil. Sie zeigen nur den statistischen Mittelwert für alle Personen mit der gleichen Lebensweise. Sie können also nicht garantieren, dass Sie tatsächlich so alt werden. Und sie sagen nur wenig über Ihre künftigen Krankheiten aus. Das liegt unter anderem daran, dass die Gendiagnose – also Tests für Ihr persönliches angeborenes Krankheitsrisiko – erst in den Anfängen steckt.

Zumindest steht aber inzwischen fest, dass es so etwas wie einen individuellen Gesundheits­quotienten tatsächlich gibt. Das zeigte die britische Psychologin Rosalind Arden vom King’s College in London in einer aktuellen Studie. Sie analysierte Daten von 3600 Vietnamveteranen. Ihr wichtigstes Ergebnis: Gesundheit ist nicht einfach eine Summe einzelner körperlicher Zustände, die voneinander unabhängig sind. Im Gegenteil: Gesundheit ist etwas Ganzheitliches, was Körper und Geist vereint.

Jeder von uns besitzt ein subjektives Gesundheitsgefühl. Das ist nur teilweise von körperlichen Gebrechen abhängig. So kann jemand, der öfter Kopfschmerzen hat, sich gesund fühlen, während sein Nachbar mit dem gleichen Problem sich als ständig krank bezeichnet. Rosalind Arden und ihre Mitarbeiter fanden heraus, dass wir im Laufe des Lebens zahlreiche Gesundheitsentscheidungen treffen. Ob wir das Rauchen nach der Teenagerzeit sein lassen oder lebenslang dabei bleiben. Ob wir uns vitaminreich ernähren, zu Vitaminpillen greifen oder konsequent nur von Fastfood leben. Ob wir Aktivität oder Bequemlichkeit vorziehen.

Ein praktisch nutzbares Ergebnis lautet: Es gibt verschiedene Arten, gesund zu bleiben. Der eine schafft es mit Joggen, ein anderer hält sich fit mit lebenslanger Neugier und zahlreichen Freunden. Ein dritter genießt seinen kreativen Beruf. Ein vierter vertraut ganz seinem erfahrenen Hausarzt, der alle gesundheitlichen Probleme erkennt und behebt, solange sie noch klein sind.

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veröffentlicht im Juni 2009 © by www.berlinx.de

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