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Was ist der Einzelne wert?

„Die Würde des Menschen ist unan­tastbar“ heißt es im Grund­gesetz. In der Realität wird sie stän­dig verletzt.
Warum stimmen Ideal und Wirk­lichkeit so wenig überein?

Im vergangenen Herbst wurde der siebt­milliardste Mensch geboren. Mathematisch heißt das: Der Anteil jedes Einzelnen an der Menschheit wird immer kleiner. In der Urzeit, als unsere Art noch aus wenigen tausend Individuen bestand, gefährdeten schon wenige zusätzliche Todes­fälle den Bestand der Menschheit. Heute reißen Natur­katastrophen Tausende in den Tod – ohne dass die Bevölkerung aufhört zu wachsen.

Darf man überhaupt so rechnen? Mit jedem von uns stirbt ein Universum an Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen. Das Prinzip „Alle für einen“ ist zumindest in westlichen Staaten offizielle Politik. Gerät einer ihrer Bürger in Geiselhaft, setzt der Staat seine ganze Polizei­maschinerie in Bewegung, um ihn zu befreien. Hohe Lösegelder und persönliches Engagement der Regierungs­spitze gelten als angemessen.

Andererseits schicken die gleichen Regierungen ihre Soldaten in den Tod, um politische Ziele am andern Ende der Welt durch­zusetzen. Soziale Ungleichheit beraubt die Verlierer zahlreicher Lebenschancen und lässt sie im Schnitt sechs Jahre früher sterben.

Angeblich ist jedes Menschen­leben unbezahlbar. Die meisten haben aber am eigenen Leib erfahren, dass wir sehr wohl einen Preis haben – und der ist nicht mal besonders hoch. Was unsere Arbeitskraft wert ist, sehen wir jeden Monat auf dem Gehaltskonto. Wer wissen will, was Gesundheit und Leben wert sind, braucht sich nur anzusehen, was Versicherungen im Schadensfall zahlen. Oder welche Entschädigung für Hinter­bliebene Gerichte für angemessen halten.

Die wissenschaftliche Betrachtungsweise geht von der Masse aus. Der Amerikaner Steven Pinker – bekannt geworden mit seinem Buch über die Ursprünge der Sprache – liefert in seinem jüngsten Buch über Gewalt dafür ein typisches Beispiel. Seine These: Seit Jahrhun­derten nimmt die Gewalt ab, die Menschheit wird immer friedlicher. Zwar sei der zweite Weltkrieg mit 50 Millionen Toten rekord­verdächtig, aber gemessen an der Weltbe­völkerung seien das weit weniger als ein Prozent gewesen. Um die Ausrottungs­raten mittelalterlicher Religions­kriegen zu erreichen, die ganze Landstriche entvölkerten, hätte der zweite Weltkrieg eine Milliarde Opfer kosten müssen.

Auf das einzelne Opfer wirkt so eine Rechnung zynisch. Philosophie und Ethik betonen, dass persönliches Leid nicht dadurch entwertet wird, dass es vielen anderen ebenso geht. Der Mensch ist kein Insekt. Bienen nehmen hohe Verluste durch Fressfeinde in Kauf und gleichen sie durch hohen Nachwuchs­zahlen aus. Sie sterben massenhaft an den Stichen  die sie ihren Feinden versetzen. Bienen kennen keine Revolutionen und keinen Staatsstreich. Menschen dagegen stürzen Regierungen, die sich längere Zeit über das Wohl des Einzelnen hinwegsetzen.

Für uns Menschen ist die Überbe­völkerung keine Überlebens­strategie. Im Gegenteil. Wären wir weniger als eine Milliarde, müssten wir unseren Planeten nicht derart ausplündern. Eine kleine Menschheit wäre eher in der Lage, den Wohlstand und das Glück jedes Einzelnen zu sichern. Wo Wohlstand herrscht, sinken zudem die Kinder­zahlen. Wohlstand für alle wäre heute schon möglich, wenn der Reichtum gleichmäßiger verteilt wäre.

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veröffentlicht im Januar 2012 © by www.berlinx.de

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