Billy Crystal und Meg Ryan überzeugten uns vor 12 Jahren als Harry und Sally: Männer und Frauen können sich noch sehr bemühen, bloße Freunde zu bleiben – am Ende werfen Liebe und Sex alle guten Vorsätze über den Haufen. In Umfragen zeigt sich: fast alle Männer stimmen der Botschaft des Filmes zu, während Frauen Freundschaft mit Männern eher für möglich halten.

Noch vor 100 Jahren gingen Jungen und Mädchen in getrennte Schulen, lernten – wenn überhaupt – unterschiedliche Berufe, verbrachten ihre Freizeit an verschiedenen Plätzen (Frauen im Haushalt und mit Freundinnen, Männer im Job, auf Fußballplätzen und in Kneipen) und trafen einander in der Öffentlichkeit oft nur zum Zwecke der Eheanbahnung oder später in Begleitung der Gatten. Kreise, in denen Männer und Frauen als Gleichberechtigte aufeinander trafen, um gemeinsame Interessen zu pflegen (etwa unter Künstlern) galten als anrüchig. Unter diesen Bedingungen kam die Frage, ob Männer und Frauen Freunde sein können, gar nicht auf.

Inzwischen hat sich die Lage grundsätzlich gewandelt. Jungen und Mädchen sitzen in denselben Klassen und arbeiten als Erwachsene Seite an Seite an denselben Projekten. Beste Voraussetzungen für Freundschaften also. Dennoch scheint es nicht so einfach zu sein. Wie sonst wäre der große Erfolg des Filmes „Harry und Sally“ zu erklären? Was verursacht Komplikationen? Drei Punkte sind hervorzuheben:

Die sexuelle Attraktion. Es mag eine(r) noch sehr betonen, daß er/sie für ihn nur ein guter Kumpel sei – selbst wenn sie aussieht wie Witwe Bolte und er nur als kleiner dicker Langweiler herüberkommt – unbewußt verhalten wir uns Angehörigen des andern Geschlechts gegenüber wachsamer als zu Personen aus dem eigenen Lager. Wir achten mehr auf unsere Ausstrahlung. Wir setzen uns in Positur und versuchen ihn/sie zu beeindrucken. Aber nicht nur Jagdinstinkte kommen uns in die Quere. Unbewußt verstehen wir ein Duo aus Mann und Frau als sich ergänzende, komplementäre Einheit. Ist sie redselig, versucht er nicht sie mit Worten zu übertrumpfen, sondern im Handeln die Führung zu übernehmen. Wird er vertraulich, übt sie sich in Zurückhaltung. Freunde bilden dagegen eine symmetrische Einheit. Sie reden und handeln etwa gleichviel.

Die unterschiedlichen Gesprächsstile. Wer unsere Serie von Anfang verfolgte, weiß daß Frauen und Männer unterschiedliche Denk- und Gefühlswelten besitzen. Sie sind nicht so weit entfernt, daß wir einander überhaupt nicht verstehen könnten – aber es fällt schwer, den Gleichklang herzustellen, der zwischen guten Freunden üblich ist. Eine vertraute Freundin erkennt am Telefon schon am Tonfall des ersten Satzes, wie ihre Kumpeline heute drauf ist. Zwischen Männern und Frauen stellt sich ein solch unbewußtes Einvernehmen nur selten her.

Die Reaktion der Umwelt. Ein Mann und eine Frau mögen sich völlig einig sein, daß sie „nur“ gute Freunde sind – ihren gemeinsamen Bekannte und Kollegen ist ihre Vertrautheit auf jeden Fall verdächtig. So oft, wie sie miteinander reden, da muß mehr dahinter stecken. Schon, daß die beiden immer wieder dieses „nur“ betonen müssen, zwingt sie, über ihr Verhältnis zueinander ständig neu nachzudenken. Wenn sie Singles sind, spüren sie zumindest gelegentlich die Versuchung, die Prophezeiungen ihrer Bekannten in die Tat umzusetzen. Ist einer oder sind beide fest gebunden, hindert sie die Rücksicht auf die Liebespartner – vielleicht auch deren Eifersucht – ihre Freundschaft unbefangen zu genießen. Sie spüren den Druck, sich rechtfertigen zu müssen.

Die zunehmende Angleichung der Geschlechter fördert dennoch Freundschaften zwischen Männern und Frauen. Gleiche Interessen und Lebensbedingungen begünstigen Kontakte und kommunikativen Austausch, trotz der genannten Komplikationen. Allerdings ist zu beobachten:

  • der allerbeste Freund oder die allerbeste Freundin entstammt weiterhin meist dem eigenen Geschlecht
  • Männer und Frauen sind viel häufiger gute Bekannte als wirklich tief verbundene Freunde
  • Männer vertrauen ihrer besten Freundin eher emotionale Schwächen an als ihrem besten Freund
  • Frauen empfinden Freundschaften zu Männern oft als emotional erholsam, weil ihre Männerfreunde weniger fordernd sind, was Trost, Beistand und Mitgefühl betrifft.

Solche Freundschaften ermöglichen, das andere Geschlecht außerhalb romantischer Bindungen genauer kennenzulernen. Manche Rücksicht, die man dem/der Geliebten gegenüber walten läßt, braucht man hier nicht zu beachten, und manches Verhalten, daß man in der Liebe niemals tolerieren würde, ist unter Freunden durchaus erlaubt. Das kommt indirekt unseren Fähigkeiten als Liebhaber(in) zugute. Wenn eine Frau Probleme in ihrer Beziehung hat, kann ein befreundeter Mann ihr besser die Sicht des Mannes erklären, als ihre beste Freundin das könnte. (Umgekehrt gilt natürlich das gleiche.)

Freundschaften zwischen Männern und Frauen sind ein historisch neues Phänomen. Für reine Männer- und Frauenbünde gibt es seit der Antike Vorbilder und bewährte Normen. Für die zwischengeschlechtliche Kameradschaft müssen sie erst gefunden werden. Wer sich auf dieses Feld wagt, betritt Neuland. Sprechen Sie miteinander offen darüber, was in Ihrer Freundschaft anders ist als bei Ihren gleichgeschlechtlichen Freunden. Reden Sie auch über die sexuelle Anziehung zwischen Ihnen. Freundschaften sind auch bei erotischer Attraktion möglich, sofern Sie damit ohne Scham, mit Offenheit und Verständnis umgehen können.

Veröffentlicht im Dezember 2001 © by www.berlinx.de

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