Warum wir beim Öffnen von Tetra Pack & Co. so oft scheitern
Die Plastikfolie ist nur mit Gewalt zu öffnen. Getränkekartons vergießen den ersten Schwall auf Hände und Fußboden. Das Marmeladenglas kriegt nur ein Body Builder auf. Wer ist hier unfähig – der Verbraucher oder die Verpackungsindustrie?
Alex hat sich zum Geburtstag die neueste CD seiner Lieblingsband gewünscht. Nun liegt sie vor ihm – original verpackt und in Plastikfolie eingeschweißt. Irgendwo muss doch ein dünnes Farbband sein! Wenn man das abzieht … einmal rund um die CD-Hülle … aber wo ist die Anfangsstelle, an der man mit Zeigefinger und Daumen zugreifen kann? Nach fünf Minuten fruchtlosem Suchen greift Alex zur Nagelschere und sticht ein Loch in die Folie. Mist, schon ist ein Kratzer auf der neuen Hülle. Noch bevor er die CD das erste Mal gehört hat. Na wartet! Die nächste CD lädt er sich direkt aus dem Internet auf seinen mp3-Player! Und ob er dafür was bezahlt, wird er sich noch gut überlegen.
Das Argument der Hersteller lautet: Hartplastik und Einschweißen in Folie sind die einzig sichere Vorkehrung gegen Diebstahl. Die CD selbst kann nicht markiert werden, um die Alarmsysteme der Läden auszulösen. Das gleiche Problem besteht auch bei anderen Produkten der Elektronik, zum Beispiel bei eingeschweißten Speicherkarten. Auch hier kommt der Kunde oft nur mit Messer und Schere an sein ehrlich erworbenes Produkt.
Doch was ist mit Milch- und Saftkartons? Keines der üblichen Öffnungssysteme funktioniert einwandfrei. Die älteste und zugleich einfachste Variante besteht in der Anweisung, an einer geriffelten Linie eine schräge Öffnung herauszuschneiden. Gerät sie zu klein, tröpfelt das Getränk am Karton herunter. Ist sie zu groß, landet der erste Guss auf dem Tisch. Seit einigen Jahren liefert der Handel Plastik-Öffnungen. Manchmal ist eine Alufolie abzuziehen. Sie klebt oft so fest, dass der Kunde am Ende doch mit der Schere nachhelfen muss. Aber auch hier bleibt der Kleckerangriff die übliche Verteidigung des Kartons gegen seine Entleerung. Warum?
Der Grund ist Materialersparnis. Die Kartons wurden so berechnet, dass der Hersteller mit möglichst wenig Material auskommt. Sie werden maschinell gefüllt und sind randvoll. Daher fehlt ein ausreichend großer Luftraum für den Druckausgleich. Bei ersten Ausgießen strömt so Flüssigkeit hinaus und gleichzeitig relativ viel Luft hinein. Dadurch kleckert der Inhalt ungleichförmig heraus. Erst wenn ein größerer Anteil entnommen wurde, fließt der Strom kontinuierlich. Aber die Kartons wurden nicht nur kleiner, sondern auch dünner. Daher sind sie nicht grifffest. Die Hand drückt den Karton zusammen und den übervollen Inhalt hinaus. Einziger Trost: Der Kunde hat mit dem Kauf eines solchen Kartons etwas für die Umwelt getan –Verpackungsmaterial gespart.
Aber warum bereiten sogar Gläser Ärger? Etwa Ketchup? Wer hat nicht schon wieder und wieder auf den Flaschenboden geschlagen, um die rote Soße auf seine Pommes zu bekommen? Hier trägt nicht die Verpackung, sondern der Inhalt die Schuld. Ketchup ist nicht nur dicker als Tomatensaft – er ist überhaupt keine echte Flüssigkeit. Die Fachleute sprechen von einem thixotropischen Fluid. Das erste Wort kommt aus dem Altgriechischen. Thixis bedeutet Berühren, tropos Ändern oder Wenden. Fluid ist Latein und bedeutet Fließen. Es ist also eine Substanz, die beim Rühren ihre Eigenschaften ändert. Bei solchen Stoffen sind im Ruhezustand die Moleküle eng miteinander verflochten – der Ketchup ist zäh wie Teig. Rührt man ihn jedoch um, lösen sich nach und nach die Moleküle voneinander. Er wird dünnflüssig. Nun lässt sich der Ketchup wie Saft ausgießen. Stellt man danach die Ketchupflasche wieder ins Regal, nimmt im Ruhezustand die Klebrigkeit wieder zu. Wer also an seinen Ketchup will, muss ihn jedes Mal vorher eine Weile schütteln oder umrühren.
Und Gläser mit Marmelade, eingekochtem Obst oder Gemüse? Warum erfordert es einen Kraftakt, sie zu öffnen? Hier schlagen die Hygienevorschriften zu. Sitzt der Deckel zu locker auf dem Glas, drohen Bakterien- und Schimmelbefall. Da könnten auf die Firmen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe zukommen. Also geht man auf Nummer Sicher und stellt bei den Maschinen einen höheren Verschraubwert ein, bei dem Schädlinge garantiert keine Chance haben. Und untrainierte Kunden auch nicht.
Eingekochte Produkte (wie Marmelade) werden zudem heiß abgefüllt. Wenn sie im verschlossenen Glas abkühlen, entsteht ein Unterdruck. Der zieht von innen wie ein Magnet den Deckel auf das Glas. Einziges Gegenmittel, wenn keine äußere Kraft mehr hilft: Ein kleines Loch in den Deckel bohren. Dann dringt Luft ein und gleicht den Druck aus. Nun lässt sich der Verschluss leicht aufdrehen. Die gleiche Methode hilft auch bei Getränkekartons. Einfach an der gegenüberliegenden Seite der Ausgießöffnung ein kleines Loch in den Karton bohren, und schon fließt der Inhalt vorn störungsfrei heraus.
Warum sind Tüten mit Chips oft dick mit Luft gefüllt? Das Gewicht verrät ja doch, das die Verpackung mehr Inhalt verspricht als drin ist. Die Chips sind sehr zerbrechlich. Die Luft soll verhindern, dass sie während der wechselnden Transportwege unterwegs zerbröseln.
Forscher haben für Verpackungsprobleme durchaus elegante Lösungen entwickelt. Dazu gehören raffinierte Diebstahlsicherungen und kleckerfreie Ausgießsysteme. Sie kommen nur nicht zum Einsatz. Schuld sind die Kosten. Gerade bei Discountern herrscht ein erbarmungsloser Preiskampf. Wer seine Milch bei Lidl und Co. verkaufen will, muss Dumpingpreise bieten. Die Unterschiede liegen oft bei unter einem Cent, die sich erst bei hohen Stückzahlen rechnen. Da bleibt der Verpackungskomfort auf der Strecke. Überlegen Sie selbst: Wenn Sie im Supermarkt einen Apfelsaft kaufen: Achten Sie in erster Linie auf den Preis oder auf die Qualität der Verpackung? Solange die Schnäppchenjagd das Kaufverhalten dominiert, werden explodierende Milchtüten und bockige Plastikhüllen die Freude am neuen Produkt schmälern.
Seit dem 11. April 2009 kann die Industrie noch auf anderem Weg mithilfe der Verpackung Kosten sparen. Vorher durften nur amtlich genormte Mengen verpackt werden, zum Beispiel ein halber, ein dreiviertel oder ein ganzer Liter. Jetzt sind beliebige Mengen erlaubt. Das aufgeweichte Gesetz hat versteckten Preiserhöhungen Tür und Tor geöffnet. Ein bekannter Frischkäse lag früher als 200g-Becher in den Supermärkten. Ab Sommer 2009 wog er – zum gleichen Preis – nur noch 175g. Das sind mehr als zehn Prozent Preissteigerung auf einen Schlag! Wenn Sie also ein Produkt in einer besonders eleganten neuartigen Verpackung entdecken: Vergleichen Sie Abfüllmenge und Preis!
veröffentlicht im Oktober 2009 © by www.berlinx.de
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