Was tun, wenn uns die Jobs ausgehen?
Mehr Jobs! Seit den siebziger Jahren erklären Politiker aller Parteien neue Arbeitsplätze zu ihrer Hauptaufgabe und scheitern regelmäßig. Angesichts von mehr als viereinhalb Millionen Arbeitslosen beantwortet EGO-Net die Frage: Kann es je wieder Vollbeschäftigung geben? Wie stellt man sich am geschicktesten auf eine Welt ein, in der es an Arbeit mangelt?
Schon Karl Marx wußte: Arbeitslosigkeit gehört zum Kapitalismus wie zur Rose die Dornen. Die Marktmechanismen schaffen eine industrielle Reservearmee. Denn sollte einmal Arbeitskräftemangel herrschen, wie in den fünfziger Jahren, steigen die Lohnkosten für die raren Fachkräfte so hoch, daß es sich für den Unternehmer lohnt, nach Alternativen zu suchen:
- Durch Rationalisierung Arbeitskräfte einsparen
- Billige Arbeiter aus dem Ausland zu holen (Gastarbeiter)
- Abwanderung des Unternehmens in Billiglohnländer.Vollbeschäftigung war immer eine Ausnahmesituation, die der Markt bereinigt hat. Ein Überangebot an Arbeitskräften ist für die Unternehmer vorteilhaft: Sie können sich ihre Arbeiter aussuchen und die Löhne drücken. Seit den siebziger Jahren hat sich dieser Prozeß beschleunigt. Die Arbeit hat ihren Charakter geändert:
- Informationelle Tätigkeiten ersetzen materielle Arbeiten.
- Industriejobs gehen verloren, der Bedarf an Dienstleistungen wächst.
- Ausführende Routinetätigkeiten verschwinden und werden durch selbständige, eigenverantwortliche Berufe ersetzt.
- Die strikte Trennung von Arbeitszeit und Freizeit weicht sich auf.
- Lebenslang den einmal gelernten Beruf ausüben – das war einmal! Mobilität, mehrfache Jobwechsel und lebenslange Weiterqualifikation sind angesagt.
- Arbeit als Fron und Lohnsklaverei nimmt ab. Karriereberufe mit dem positiven Image der Selbstverwirklichung gewinnen an Bedeutung.Maschinen übernehmen die klassische Industriearbeit. In der Dienstleistung entstehen zwar neue Jobs – aber wesentlich weniger als in der Produktion frei werden. Zwischen 1979 und 1994 stieg die Zahl der Arbeitslosen in den 7 führenden Industriestaaten von 13 auf 24 Millionen. Die Arbeit haben, arbeiten immer weniger. Im 19. Jahrhundert lagen die Arbeitsstunden pro Jahr bei 4000 pro Person. (Ein Jahr hat 8760 Stunden.) Heute sinkt die Jahresstundenzahl der Arbeitskräfte unter 1700. Der Bedarf an lebendiger Arbeit geht zurück.Manche Länder lassen Niedriglohnverhältnisse zu (USA, Großbritannien), um ihre Arbeitslosenzahlen zu senken. Doch der Erfolg ist fragwürdig. Der deutsche und der amerikanische Betreiber eines Selbstbedienungsimbiß lassen den Kaffee von einer Maschine kochen. Der Unterschied: der US-Unternehmer stellt eine billige Arbeitskraft daneben, die die Maschine beaufsichtigt, und setzt ihre Kosten von der Steuer ab. Bei uns wäre sein Angestellter arbeitslos. Er finanziert ihn indirekt über Steuern und Sozialabgaben.Auch in Amerika wirkt der Krisenzyklus. In Zeiten des Aufschwungs gehen die Arbeitslosenzahlen zurück, in Krisenzeiten steigen sie – und zwar stärker als sie vorher sanken. Mit jeder Runde pendeln sich die Zahlen auf neuen Höchstständen ein.Arbeitslosigkeit ist nicht nur eine Kostenfrage. Es geht nicht nur um eine wachsende Schere zwischen arm und reich. Arbeit vermittelt Lebenssinn. Mein Gehalt liefert mir nicht nur einen Lebensstandard, sondern auch das Gefühl: Soviel ist meine Leistung wert. Selbst wenn ich mich unterbezahlt fühle – ich kann mich nur deshalb empören, weil ich eine Leistung erbringe, die ich mit anderen (und deren Bezahlung) vergleichen kann.
Keine der Ideen, die die Politik anpreist, kann das Problem lösen. Das bewiesen die vergangenen Jahrzehnte zur Genüge. Wie die folgende Übersicht zeigt:
Teilzeit. Der Gedanke, einen Job auf zwei Personen aufzuteilen, klingt verlockend einfach. In den 90er Jahren als Allheilmittel angepriesen, ist die Idee inzwischen fast in Vergessenheit geraten. Voraussetzung ist, daß beide Teilkräfte auch nur die Hälfte verdienen. Außerdem brauchen Sie jemanden, der die Teilarbeiten zusammenführt. Der Unternehmer, der sich statt dessen einen einzigen Workaholic leistet, fährt günstiger. In der Praxis zeigt sich: Gerade in den hochqualifizierten Medien- und Computerjobs arbeiten die Leute 60 und mehr Stunden pro Woche. Teilzeit gibt es vor allem in niedrig bezahlten Jobs: Kassiererin, Putzfrau usw.
Weiterbildung. Wer besser qualifiziert ist, findet leichter Arbeit, lesen wir oft. Das stimmt aber nur für manche Jobs (Facharbeiter). Wo kämen sonst die vielen Taxi fahrenden Akademiker her? Wahr ist, daß Hilfsarbeiterjobs zunehmend rar werden. Doch selbst wenn die Bildungsoffensive der Bundesregierung gelingt: die Zahl der Arbeitslosen wird sie nicht vermindern. Durch Bildung entstehen keine neuen Jobs (außer für Ausbilder). Sie liefert lediglich besser Qualifizierte für die vorhandenen Jobs und verschärft so die Konkurrenz um die verfügbaren Arbeitsplätze.
ABM. Um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist es ebenfalls still geworden. Wer ABM-Kräfte einstellt, wälzt lediglich seine Arbeitskosten auf die Bundesanstalt für Arbeit ab. Zwar kommt durch ABM ein Teil der Arbeitslosen in feste Beschäftigung. Dafür vernichten andere ABM-Kräfte gute Jobs, weil sie billiger sind als fest Angestellte.
Rückgang der Geburtenrate. Die Alterspyramide ändert sich. Immer weniger Junge, immer mehr Rentner. Erledigt sich das Arbeitslosenproblem bald von allein? Leider nicht: Es verschiebt die Kosten lediglich in Richtung Rentenkassen. Die Gesellschaft finanziert dann weniger junge Arbeitslose, dafür mehr Rentner. Schon heute ist die Hälfte der über 55-jährigen im Vorruhestand. Und da es immer mehr über 55-jährige gibt, werden immer mehr Arbeitslose in der Rentenstatistik versteckt. Sollten die Jungen tatsächlich rar werden, wird man Ältere länger arbeiten lassen müssen. Ob man die Überzähligen unter ihnen als Rentner oder Arbeitslose finanzieren wird, ist lediglich eine Frage der Abrechnung.
Selbständigkeit. Ich-AG, Subunternehmer – das ist der neue Modetrend auf dem Arbeitsmarkt. Ein feiner Trick, um Leute aus der Arbeitslosenstatistik zu entfernen. Gibt es mehr kleine Unternehmer, steigt deswegen nicht automatisch der Bedarf an ihren Produkten und Dienstleistungen. Dafür müßten die Einkommen steigen, damit wir Verbraucher mehr kaufen können. Da das Gegenteil der Fall ist („Konsum- und Lohnzurückhaltung“), steigt nur die Konkurrenz der neuen Unternehmer untereinander. Folge: mehr Bankrotts, mehr Schulden, mehr Anträge auf Sozialhilfe.
Sozialabbau. Die Lohnkosten sind zu hoch. Deshalb sollen die Unternehmer entlastet werden. Die Arbeitnehmer sollen ihre Sozialkosten zunehmend allein tragen. Das bedeutet aber nur eine Umverteilung. Statt die Sozialkosten an den Staat abzuführen, zahlt der Unternehmer sie dem Arbeitnehmer direkt aus, der sie dann seinerseits in Kranken-, Renten- und Sozialkassen einzahlt. Damit wäre nichts gewonnen. Warum dann die ganze Kampagne. Weil man hofft, auf diese Weise die Reallöhne zu senken. Der Schuß würde aber nach hinten los gehen:
- Der Arbeiter, der sich selbst versichert, senkt seinen Lebensstandard, um sich seine Sozialkosten leisten zu können. Das hieße weniger Konsum, sinkende Nachfrage, keine Konjunktur, noch mehr Arbeitslose.
- Oder der Arbeiter, riskiert ohne ausreichenden Versicherungsschutz zu leben. Das tun schon heute viele kleine Unternehmer. Im Krisenfalle müßte der Staat einspringen (Sozialhilfe), also die Allgemeinheit mit ihren Steuern. Ergebnis: dem Staat fehlen Mittel für öffentliche Aufträge, keine Konjunktur, noch mehr Arbeitslose.Im ersten Moment fühlt sich der Unternehmer durch geringere Lohnkosten entlastet. Aber Achtung! Die Entlastung genießt nicht nur er, sondern auch seine Konkurrenten. Der so erzielte Wettbewerbsvorteil ist also schnell wieder dahin.Tätigkeit statt Arbeit. So lautet das Geheimrezept der Experten. Wenn uns die Lohnarbeit ausgeht, müssen wir andere Tätigkeiten – soziales Engagement, Pflege von Angehörigen, soziale Kontakte, aktive Freizeitgestaltung – aufwerten. Nur – wer bezahlt das? Arbeit bringt Geld ein, andere Tätigkeiten kosten Geld. Es ließe sich über den Staat oder Kommunen organisieren, daß nützliche Leistungen für die Allgemeinheit durch Zuschüssen und Umverteilung von Gewinnen bezahlt werden. Nur würde das die Abgabenlast der Unternehmer erhöhen, weil das Geld erst einmal durch Steuern aufgebracht werden muß – wo alle Welt heute händeringend nach Mitteln sucht, die Abgabenlast zu senken.Unser Fazit: Es wird nie wieder Vollbeschäftigung geben. Die Politik versucht bislang, lediglich die Vernichtung der Arbeit abzubremsen oder kosmetisch zu verstecken. Auch wenn EGO-Net keinen ideale Ausweg parat hat – die Fakten verraten uns, in welcher Richtung eine Lösung zu suchen ist:Honorare statt Lohn. Statt Arbeitszeit wird man dazu übergehen, Aufgaben zu vergeben und zu bezahlen. Der klassische Angestellte wird in Zukunft Aufträge übernehmen und eigenverantwortlich ausführen. Bezahlt wird das Ergebnis, nicht die Arbeitszeit.
Markt für Soziales. Soziale Dienste – von der Kinderbetreuung bis zur Alterspflege – werden sich zu marktwirtschaftlichen Unternehmen wandeln. Die Politik wird Bedingungen schaffen, daß Qualitätsdienstleistungen in Form von Gewinnen abgerechnet werden können. Vieles Notwendige, was heute unentgeltlich geleistet oder nach dem Gießkannenprinzip bezahlt wird, muß in Zukunft am Markt teilnehmen. Nur so wird der ewige Geldmangel im Bildungs- und Gesundheitswesen zu beheben sein.
Patchwork-Lebensstil. Alternative Lebensweisen jenseits von Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden an Boden gewinnen. Eine besondere Rolle spielen dabei Patchwork-Einkommen. Man stückelt seinen Lebensunterhalt aus verschiedenen kleinen Geldquellen zusammen: eine Mieteinnahme aus einem ererbten Haus, Verkauf gelegentlicher handwerklicher oder künstlerischer Arbeiten, gelegentliche Zeitjobs usw.
Lebenseinkommen. Da die Lebensarbeitszeit sinkt, ändert sich die Struktur von Einkommen. Ein Monatsgehalt darf nicht länger als Lebensunterhalt für einen Monat gesehen werden. Sondern ich rechne: Im Laufe meines Lebens brauche ich X Euro. In meinem Arbeitsleben werde ich Y Aufträge durchführen. Also muß jeder Auftrag X/Y Euro einbringen. Was ich momentan nicht verbrauche, wird sicher angelegt.
veröffentlicht im März 2003 © by www.berlinx.de
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