Nichtstun will gelernt sein
Einfach die Beine lang machen und guten Gewissens einen Tag lang gar nichts tun! Was sich einfach anhört, bereitet den meisten von uns mächtige Probleme. Dabei tut Faulenzen Körper und Seele gut. Doch viele haben verlernt, nach anstrengender Arbeit auf gelöstes Ausruhen umzuschalten.
Entgegen den Klagen der Politik gibt nur wenige echte Faulenzer, dafür aber Millionen von Workaholics. Sich krank zu arbeiten gilt als Tugend. Sich entspannen, faul sein, in den Tag hinein träumen – das klingt eher wie die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies. Wie ein Märchen. Und wir alle wissen, Märchen werden selten wahr. Doch seit die Wirtschaft in der Krise ist, findet ein Umdenken statt. Immer mehr fragen sich: Wozu soll ich 12 bis 14 Stunden malochen, wenn am Ende doch die Pleite steht? Wer nun aber versucht, das Ruder herumzureißen, muß verblüfft feststellen: Ich habe das Faulenzen nicht gelernt.
Wer es nicht gewohnt ist, aus der Tretmühle auszusteigen, macht bei seinem ersten Versuch, nichts zu tun, ein verblüffende Entdeckung. Auch in der Hängematte stellt der Kopf das Grübeln nicht ein. Habe ich nicht etwas Wichtiges vergessen? Der Körper will nicht ruhig liegen bleiben. Unruhe breitet sich aus. Die Hände wollen etwas tun, die Füße sich bewegen. Nach spätestens fünf Minuten fällt dem Gehirn eine wichtige Sache ein, die unbedingt noch schnell erledigt werden sollte. Und dann, ja dann ist endlich das Faulenzen dran. Glaubt man.
Findige Firmen und Buchautoren bieten Kurse im Faulenzen an. Nicht umsonst spricht man von Lebenskunst – gut zu leben ist eine Kunst und nicht nur vom materiellen Wohlstand abhängig. Wem es schwerfällt, auf Entspannung umzuschalten, muß die Fähigkeit zum Nichtstun trainieren. Wir verraten Ihnen die wichtigsten Punkte.
Selbstbeschränkung. Die meisten Menschen laden sich viel zu viele Pflichten auf. Würden Sie nur erledigen, was Job und Privatleben unbedingt erfordern, hätten sie keine Probleme. Aber um einen guten Eindruck zu machen und sich selbst ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen, übernehmen sie Zusatzaufgaben, die sie an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit treiben. Selbst wenn sie mal ein paar Stunden frei haben, meldet sich das schlechte Gewissen. Müßte ich die Zeit nicht nutzen, um noch mehr für die Karriere, die Kinder, meine Freunde da zu sein? Denken Sie um! Sie leben jetzt! Erfolge sind nur etwas wert, wenn sie ihre Ergebnisse auch genießen können. Beschränken Sie – wenn Sie wollen, probeweise für vier Wochen – Ihre Aktivitäten auf das Minimum. Die übrige Zeit gehört Ihnen.
Herunterschalten. Fühlen Sie oft erschöpft und ausgepowert? Schalten Sie einen Gang zurück. Fassen Sie den Vorsatz: Von nun an verbreite ich keine Hektik mehr und lasse mich von fremder Hektik nicht anstecken. Sobald Sie merken, daß Sie die Eile überkommt, lassen Sie vor Ihrem inneren Auge einen Tacho auftauchen, dessen Zeiger 100 km/h anzeigt. Lassen Sie den Zeigen sinken: auf 80, 50, 30. Verlangsamen Sie im selben Maße das Tempo Ihrer Bewegungen. Bremsen Sie Ihre Schritte, Ihre Hände, Ihre Gedanken. Gaaaanz ruuuhig! Machen Sie alles, was Sie tun, in den nächsten fünf Minuten höchstens noch mit halber Geschwindigkeit. Sie werden merken, wie Herz und Atem sich beruhigen und die Anspannung sich löst.
Vereinfachen. Der Bestseller „Simplify Your Life“ enthält eine Menge Tips, sich von überflüssigen, hektischen Aktivitäten zu befreien. Fangen Sie mit einige Selbstverständlichkeiten an. Zum Beispiel: Tun Sie alles Schritt für Schritt und lassen Sie nichts mehr halberledigt liegen. Das bedeutet, Wenn Sie etwas benutzen, räumen Sie es anschließend gleich wieder weg. Wenn etwas kaputt geht, kümmern Sie sich gleich um Reparatur oder Ersatz. Befreien Sie sich von den Konsumgütern, die Sie mal angeschafft haben, um sich gut zu fühlen, aber eigentlich nie benutzen.
Rituale. Optimal für das Wohlbefinden ist ein Wechsel von Anspannung und Entspannung. Um das im Alltag hinzukriegen, bauen Sie alle zwei Stunden ein Entspannungsritual in Ihren Alltag ein. Auf das Sie auch dann nicht verzichten, wenn es hoch hergeht. Laufen Sie nicht in die Dringlichkeitsfalle. Aufgaben, die dringlich sind, sind selten so wichtig, das die Welt zusammenbräche, wenn Sie sie nicht erledigen. Statt dessen legen Sie eine Pause ein, laufen ein paar Schritte, atmen am offenen Fenster tief ein usw. Viele Raucher kommen nur deshalb von Ihrem Laster nicht los, weil es Ihre Raucherpausen rechtfertigt. Suchen Sie sich gesündere Rituale. Auch zu Hause: ein wohliges Bad, oder eine Selbstmassage. Sagen Sie nie: In dieser Zeit könnte ich Nützliches tun. Was ist nützlicher als Ihr Wohlbefinden?
Entspannung und Fitness. Sind Sie eher ein behäbiger, passiver Typ lernen Sie Entspannungsübungen wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Meditation oder Yoga. Sind Sie eher aktiv, beweglich und fällt es Ihnen schwer, längere Zeit still zu sitzen, suchen Sie sich einen Ausgleichssport: Joggen, Radfahren, Skaten, Walken. Oder besuchen dreimal in der Woche ein Fitness-Studio. Neben dem körperlichen Training üben Sie auf diese Weise auch den Wechsel von Anspannung und Erholungsphasen ein.
Seelenballast entsorgen. Den meisten gelingt das Ausruhen nicht, weil das Gehirn nicht abschaltet. Es ist selbs in der Hängematte noch mit ungelösten Aufgaben und Problemen befaßt. Ob Konflikt mit dem Partner, Schulsorgen der Kinder oder Ungewißheit über die berufliche Zukunft – schaffen Sie Ordnung! Ziehen Sie in einer stillen Stunde Bilanz. Welche Probleme sind ungelöst? Welche Alternativen habe ich? Wen könnte ich um Rat fragen, wessen Unterstützung brauche ich? Wenn ich ein Problem nicht lösen kann – auf welche Weise könnte ich mich mit ihm arrangieren. Was Sie auch beschließen, jede Lösung hat Vor- und Nachteile. Egal. Treffen Sie Entscheidungen. Sie befreien Ihre Seele und geben Ihnen innere Ruhe zurück. Sollte sich eine Entscheidung als falsch herausstellen: Sie haben immer die Möglichkeit, sie durch eine neue Entscheidung zu korrigieren.
Auszeit schaffen. Wenn Sie diese Schritte zu mehr innerer Freiheit gegangen sind, wird es Zeit, die Probe aufs Exempel zu machen. Gönnen Sie sich mindestens einen Tag Faulheit. Einen kompletten Tag, an dem Sie keine einzige Pflicht erledigen. Alle notwendigen Aufgaben bewältigen Sie am Tag vorher. Am Tag der Faulheit lassen Sie Ihre Armbanduhr im Schubfach. Leben Sie nur nach Ihrem eigenen Rhythmus. Sie müssen nicht in der Hängematte liegen, wenn Ihnen das nicht behagt. Sie können spazieren gehen, am besten in der Stille der Natur. Hauptsache, Sie lassen sich treiben statt stramm eine bestimmte Kilometerzahl abzumarschieren. Leeren Sie den Kopf an diesem Tag von allen Grübeleien. Versenken Sie sich in den Augenblick. Betrachten Sie die Bäume, den Himmel, die Blumen: Riechen Sie an den Gräsern. Konzentrieren Sie sich auf diese sinnlichen Eindrücke immer dann, wenn Sie merken, daß Sie anfangen nachzudenken, was gestern war und was morgen auf Sie zukommen wird.
Literaturtips:
Baur, Eva Gesine: Der Luxus des einfachen Lebens. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1999.
Hofman, Inge: Lebe faul, lebe länger. Warum sich Müßiggang lohnt. Mosaik Verlag, München 2002.
Juli 2003 © by www.berlinx.de
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