Strategien für ein dickes Fell

Ignoranz, Beleidigungen, Spötteleien, gebrochene Versprechen, Gleichgültigkeit … Anlässe für seelische Ohrfeigen gibt es viele. Da tröstet es kaum, daß die andern es wahrscheinlich gar nicht böse gemeint haben. Ego-Net gibt Tips für Mimosen.

Ilona sitzt als einzige mit grämlicher Miene im Kreise ihrer feiernde Kollegen. Eine halbe Stunde geht das schon mit den Witzeleien über ihre neue Frisur. Es war ihr nicht leichtgefallen sich von ihren langen Haaren zu trennen. Sie hatte auf ein wenig Anerkennung gehofft, statt dessen fallen Worte wie „Blumentopf“ oder „Angela Merkel“. Schließlich greift sie nach ihrem Mantel um zu gehen. „Hey, sei doch nicht so empfindlich“, ruft ihr Roswitha hinterher, bis vor einer halben Stunde ihre beste Freundin.

Über den Dingen stehen. Frotzeleien an sich abperlen lassen wie Wassertropfen von einer frisch lackierten Karosserie. Wer möchte schon ein Spaßverderber sein? Was steckt hinter der Über-Empfindlichkeit?

Was uns kränkt, verrät viel über unsere Achillesfersen. Das sind jene Bereiche, in denen unser Selbstwertgefühl nicht gefestigt ist. In denen wir uns unsicher, schwach und verletzlich fühlen. Die Folge: überhöhte Erwartungen. Ich möchte dann, daß meine Mitmenschen meinen wunden Punkt vorsichtig umschiffen. Kein Wunder, daß diese Hoffnung immer wieder enttäuscht wird.

Ein Beispiel: Jana geht wie jeden Freitag zu Reitstall und wartet dort auf ihre Kerstin, um wie üblich gemeinsam auszureiten. Doch Kerstin kommt nicht. Erst am Abend ruft sie kurz an. Und sagt, dass sie sich bei ihrer Schwester „festgequatscht“ hatte. Jana ist tief enttäuscht. Sie hatte geglaubt, Kerstins beste Freundin zu sein. Na warte! Ab nun gehe ich nur noch donnerstags zum Reiten!

Als Kind hatte Jana eine intime Freundin. Doch die Verbindung zerbrach, als die Freundin mit 13 von einem Tag zum andern nur noch Zeit für einen Typen aus der Parallelklasse hatte. Seitdem reagiert Jana sehr sensibel auf jedes Anzeichen von mangelndem Interesse. Kerstin wäre sehr überrascht zu hören, daß sie Jana gekränkt haben soll. Ihre Schwester war zu einem Überraschungsbesuch aufgetaucht. Die konnte sie doch nicht einfach weg schicken. Schließlich sahen sie und Jana sich jede Woche. Schön, sie hätte anrufen können. Aber die beiden Schwestern hatten einander so viel zu erzählen – da hatte sie einfach nicht daran gedacht.

Ilona war als Kind immer wegen ihrer schönen Haare gelobt worden. Kritik an ihrer Frisur war für sie das gleiche wie eine Kritik an ihrer ganzen Person. Daher reagierte sie verschnupft, als die Kollegen anfingen zu witzeln. Das Verhalten von Ilona und Jana verrät uns, wie Sie sich gegen Kränkungen in Zukunft wappnen können.

Selbstbeobachtung. Führen Sie Buch. Welches Verhalten und welche Art von Bemerkungen Ihrer Mitmenschen verletzt Sie? Kaum jemand ist generell überempfindlich. Sondern hat seine spezifischen Problemfelder. Finden Sie sie heraus. Dann überlegen Sie, welche Einstellung Sie dazu haben. Wünschen Sie sich eine stärkere Rücksichtnahme, als Sie realistischerweise erwarten können? Warum? Haben Sie früher Enttäuschungen auf diesem Feld erlebt? Finden Sie zu wenig Beachtung? Was könnten Sie unternehmen, um das zu ändern?

Standpunkt wechseln. Wer sich gekränkt fühlt, unterstellt unwillkürlich, der andere habe ihn mit Absicht kränken wollen. Oder sei zumindest unsensibel und gedankenlos. Treten Sie in Ihrer Phantasie einen Schritt zurück. Sehen Sie die Lage mal mit den Augen der anderen. Wer über Ihre Frisur witzelt, findet Ihre neue Haartracht nicht unbedingt übel. Da war eine Feier, man will sich amüsieren und pickt sich dafür die auffälligste Veränderung der letzten Zeit heraus. Pech, daß es gerade Ihre Frisur war.

Erwartungen ändern. Wer verlangt, daß andere Personen sich in einer bestimmten Weise zu verhalten haben, bietet die ideale Angriffsfläche für Kränkungen. Klar ist es höflich, Verabredungen penibel einzuhalten. Und wenn etwas dazwischen kommt, rechtzeitig Bescheid zu geben. Aber zu hoffen, daß sich jedermann zu 100 Prozent an diese Regel hält – ist das realistisch? Wenn Kerstin diese Regel nur einmal im Jahr verletzt, dann ist sie für Jana immer noch eine zuverlässige Reitgefährtin. Planen Sie ein, daß Ihre Freunde Ihre Ansprüche zu 80 bis 90 Prozent einhalten. Überlegen Sie sich vorher ein Alternativprogramm für die übrigen 10 bis 20 Prozent. Noch besser: schrauben Sie Ihre Erwartungen herunter und öffnen Sie Ihre Seele für die Bereitschaft, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Spontane Änderungen Ihrer Pläne als Chance für neue Erlebnisse zu genießen.

Gespräche. Natürlich können Sie die Kränkung sofort zur Sprache bringen. Kein beleidigtes „Du falsche Schlange“ kein patziges „Dann sieh zu, wo du ohne mich bleibst“. Trotzreaktionen treiben Sie geradewegs in die Einsamkeit. Besser eine klare Ich-Aussage („Ich fühle mich gekränkt“) statt Anklagen in Du-Form („Du hast mich beleidigt“). Wenn die Gefahr besteht, daß die witzelnden Kollegen Sie als Spielverderber abstempeln, verschieben Sie das Gespräch auf den nächsten Tag. Statt lange zu argumentieren, welches Verhalten richtig gewesen wäre, sagen Sie: „Das hart mich gekränkt“ und fragen dann nach den Motiven.

Empfindlichkeit eingestehen. Leicht gekränkt ist, wer sich eigentlich als jemanden sieht, der gern über den Dingen stehen möchte. Gestehen Sie sich Ihre Dünnhäutigkeit ein. Auch gegenüber Ihren Mitmenschen. Sagen Sie: „Ja, ich bin eine Mimose.“ Ihre Freunde werden es sich nun genauer überlegen, ob sie Sie noch einmal als Zielscheibe ihres Spottes auswählen.

Opferrolle ablegen. Wer sich gekränkt fühlt, sieht sich als Opfer. Er gesteht anderen die Macht zu, ihn jederzeit zu verletzen. Gestehen Sie statt dessen Ihre Mittäterschaft ein. Der andere kann eine blöde Bemerkung machen – Sie sind es aber, der sie als Kränkung empfindet. Wenn Sie sich eingestehen, daß Sie es sind, der die Bemerkung als Kränkung interpretiert, haben Sie auch die Chance, diesen Anteil zu verändern. Sie ändern die Interpretation. Statt zu denken „der will mich kränken“ sagen Sie sich „der hat nicht nachgedacht“. Nur wenn Sie sich als machtloses Opfer fremden Verhaltens sehen, sind Sie Kränkungen schutzlos ausgeliefert.

Unsere Leseempfehlungen:

Bärbel Wardetzki: Mich kränkt so schnell keiner! Wie wir lernen, nicht alles persönlich zu nehmen. Kösel Verlag, EUR 14,90. Zu bestellen hier.

Doris Wolf: Ab heute kränkt mich niemand mehr! PAL Verlag, EUR 14,80. Zu bestellen hier.

April 2003 © by www.berlinx.de

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