Zwischen Verhütung und Abtreibung
1999 berichtete Egonet über die damals neu eingeführte „Abtreibungspille“ RU 486, auf Rezept unter dem Namen „Mifegyne“ erhältlich. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Pille danach. Über sie berichtet Egonet heute.
Gestern ein traumhaft schöner Abend voll Leidenschaft. Heute mit Bangen zum Frauenarzt. Ein Abenteuer zwischen Sex und Angst danach, das über eine Viertelmillion Mädchen und Frauen jedes Jahr in Deutschland erleben. Natürlich ist es klüger, vorsorglich zu verhüten. Aber wo heiße Gefühle im Spiel sind, hat kühle Überlegung oft das Nachsehen. Mit der Pille danach gibt es Hilfe im Notfall.
Sex macht nicht sofort schwanger. Zuerst muss der Samen das Ei erreichen und mit diesem verschmelzen. Dann muss das befruchtete Ei in die Gebärmutter wandern und sich dort einnisten. Erst dann beginnt die Schwangerschaft. Das dauert seine Zeit, mindestens drei Tage. Solange kann die Pille danach das Kind noch aus dem Brunnen holen – und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinn. Sie verhindert bis maximal 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr die Einnistung eines befruchteten Eis in die Gebärmutter. Sie greift also ein, bevor eine Schwangerschaft entsteht. Sie ist daher keine Abtreibungspille.
Früher bestand die Pille danach aus einer Kombination der weiblichen Hormone Östrogen und Gestagen. Damit waren Nebenwirkungen wie Übelkeit und Kopfschmerzen verbunden. Inzwischen besteht sie nur noch aus einem künstlichen Gestagen (Gelbkörperhormon) namens Levonorgestrel. Anfangs hat man die nötige Dosis in zwei Pillen aufgeteilt. Heute besteht die Pille danach nur aus einer einmaligen Dosis von 1,5 Milligramm.
Allerdings heißt es schnell handeln. Am besten wirkt diese Pille 12 bis 24 Stunden danach. Das Problem: In Deutschland ist sie verschreibungspflichtig. Nach dem sexuellen „Ausrutscher“ muss die Betroffene möglichst sofort zu einem ärztlichen Notdienst, um sich das Präparat verschreiben zu lassen. Sie kann auch ein Krankenhaus, einen Frauenarzt oder eine Beratungsstelle von pro familia aufsuchen. Auch sie stellen Rezepte aus. Eine ärztliche Untersuchung oder ein Schwangerschaftstest sind nicht nötig.
Wozu dann überhaupt die Rezeptpflicht? Wenn keine Untersuchung notwendig ist? Es gibt ein Beratungsgespräch. Die offizielle Begründung lautet: Viele Frauen wüssten nicht, wann diese Pille sinnvoll ist und wann überhaupt ein Schwangerschaftsrisiko besteht. Zudem eignet sich die Pille danach nicht als ständige Verhütungsmethode. Öfter angewendet, kann es zu Zyklusstörungen und anderen Komplikationen kommen.
Ist diese ärztliche Argumentation berechtigt oder nur ein Zeichen für typisch deutschen Kontrollwahn? Denn in 18 europäischen Ländern ist die Pille danach rezeptfrei. Dazu gehören unter anderem unsere Nachbarländer Niederlande, Belgien, Frankreich, Dänemark und die anderen skandinavischen Staaten, Großbritannien und Luxemburg. In den USA ist sie rezeptfrei ab 18.
In Österreich besteht Rezeptpflicht. Allerdings liegt es im Ermessen des Apothekers, ob er die Pille danach im Notfall ohne Rezept verkauft.
In der Schweiz besteht keine Rezeptpflicht. Es ist jedoch ein ausführliches Beratungsgespräch des Apothekers vorgeschrieben. Danach darf er eine einzelne Pille für den einmaligen Notfall verkaufen.
Bei uns setzt sich unter anderem pro familia für die Aufhebung der Rezeptpflicht ein. Aus den Staaten ohne Rezeptpflicht gibt es keine negativen Meldungen über irgendwelche Formen von Missbrauch oder Gesundheitsrisiken durch unsachgemäße Anwendung. Im Gegenteil. In diesen Ländern ist die Zahl ungewollter Schwangerschaften und Abtreibungen gesunken. Bei einem Preis von rund 20 Euro pro Pille besteht wohl auch kaum die Gefahr, diese Methode öfter als im Ausnahmefall einzusetzen.
Die kluge Frau sorgt vor. Bei der nächsten Urlaubsreise in eines unserer Nachbarländer – übrigens ist auch in den Urlaubsländern Portugal und Griechenland die Pille danach rezeptfrei – bringt sie sich zwei, drei Pillen mit. Und wenn sie selbst nie in die Notlage kommt? Dann hat sie bestimmt eine dankbare Freundin, die froh ist, wenn ihr im Notfall den Gang durch die Institutionen erspart bleibt.
Veröffentlicht im Februar 2009 © by www.berlinx.de
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