Seit Europa vermehrt das Ziel von Flüchtlingen ist, dominieren sie die Tagesnachrichten. Wir laden Sie ein, sich mit uns für die Hintergründe und langfristigen Trends zu interessieren.
Wir Menschen sind erstaunlich sesshaft. Bindung an die Heimat gehört zu den stabilsten Grundeigenschaften des Menschen. Obwohl unser Vorfahren bis vor 5000 Jahren meist als Nomaden herumzogen, bewegten sie sich innerhalb eines bevorzugten Territoriums. Es dauerte einige zehntausend Jahre, bis sich die Menschen von Afrika über den Erdball ausbreiteten. Jede Generation zog nur wenige Kilometer weiter. Auch heute leben und sterben die meisten Menschen dort, wo sie aufwuchsen. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung – das sind rund 230 Millionen – leben nach UN-Angaben außerhalb ihres Heimatlandes.
Die meisten von ihnen sind keine Flüchtlinge, sondern nach reiflicher Überlegung und freiwillig ausgewandert. Die UN-Flüchtlingshilfe meldete zuletzt 57 Millionen Flüchtende weltweit, davon 38 Millionen Binnenflüchtlinge – Vertriebene innerhalb des eigenen Landes. Von den übrigen flüchteten 90 Prozent in ein Nachbarland. Lediglich etwas mehr als zwei Millionen riskieren den Marsch in die Ferne. Das sind weniger als 0,03 Prozent der Weltbevölkerung.
2015 wird sich die Zahl der Einwanderer nach Europa verdoppeln. Weltweit ändern sich die Zahlen kaum.
Fünf Gründe lassen Menschen ihre Heimatliebe überwinden und ihr Heil in der Fremde suchen:
Katastrophen. Dazu gehören Überschwemmungen ebenso wie Hungersnöte. Sie können durch Erdbeben, Klimaextreme (Überschwemmungen, Dürre), aber auch Bürgerkriege verursacht sein. Sie stellen die zahlenmäßig größte Gruppe der Migranten. Drei Millionen flohen 2014 aus Syrien, die meisten davon in die Nachbarländer Libanon, Jordanien und Türkei. Es folgten Afghanistan mit 2,7 Millionen Flüchtlingen und Somalia mit 1,1 Millionen.
Wirtschaftliche Not. Wenn selbst größte Anstrengungen nicht genügen, um in der Heimat ein Überleben zu sichern, wandern die Hoffnungslosen schließlich aus. Politiker begegnen „Wirtschaftsflüchtlingen“ mit Ablehnung. Doch eine scharfe Trennung zwischen Armut und Verfolgung ist kaum möglich. Wo extreme Armut herrscht, finden wir auch politische Unterdrückung – und umgekehrt. Die meisten Auswanderer aus wirtschaftlichen Gründen kommen übrigens aus der EU selbst.
Sozialer Aufstieg. Das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ vermengt Notleidende mit Menschen, denen es gut geht, die aber ihren Status verbessern wollen. Doch letztere brauchen das Asylrecht gar nicht. Sie wandern aus, wenn sie einen Arbeitsplatz finden. Wenn nicht, kehren sie zurück oder ziehen weiter.
Politische und religiöse Verfolgung. Diesen Menschen billigen wir am ehesten ein Asylrecht zu. Dieses Asylrecht finden wir zum ersten Mal im zweiten Jahrtausend vor Christus bei den Hethitern als Schutz vor Verhaftung in Tempelbezirken. Es betraf lange Zeit nur Einzelpersonen. Erst seit dem sechzehnten Jahrhundert genießen auch Gruppen Asyl. Preußen nahm zum Beispiel die in Frankreich verfolgten Protestanten (Hugenotten) auf, was uns eine wirtschaftliche Blüte bescherte. Flüchtlinge aufnehmen, bedeutet nur kurzfristig eine Belastung. Langfristig wirken sie wie ein Konjunkturprogramm. Als Konsumenten schaffen sie neuen Bedarf und damit Arbeitsplätze für die Einheimischen. Auf dem Arbeitsmarkt drängen sie in freie Jobs – eine Chance, billig an Fachkräfte zu kommen. Mit dem Asylrecht wurde auch immer Politik gemacht. Man brüstet sich mit den Wohltaten gegenüber Verfolgten aus gegnerischen Staaten. Wer vor einem politischen Bündnispartner flieht, hat es schwerer.
Fernweh. Schließlich gibt es eine kleine Gruppe von Auswanderern, die Exotik und Abenteuer suchen. Darunter sind häufig Künstler und Wissenschaftler. Paul Bowles in Tanger, Gauguin auf Tahiti und Hemingway auf Kuba waren berühmte Beispiele. Auch Steuerflucht oder leichtere Unternehmensgründung in anderen Ländern sind bekannte Motive. Vergessen wir nicht: Deutschland ist nicht nur ein Einwandererland. 1,2 Millionen Einwanderern (Immigranten) im Jahre 2013 standen 0,8 Millionen Auswanderer (Emigranten) gegenüber.
veröffentlicht im Oktober 2015 © by www.berlinx.de
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