Warum gibt es so wenig Spender gibt
Seit der Südafrikaner Christiaan Barnard 1967 das erste Herz verpflanzte, ist das Leben mit einem fremden Organ medizinischer Alltag geworden. Doch die Zahl der Spender sinkt.
Wegen Skandalen?
Wegen ethischer Bedenken?
Die Gründe liegen ganz woanders.
Rund 12 000 Menschen stehen in Deutschland auf Wartelisten für ein lebensrettendes Organ. Dem standen 2012 nur 829 Spender gegenüber, acht Prozent weniger als im Jahr davor. 2004 waren es noch 1081 Spender. Als Gründe für dieses Missverhältnis werden diskutiert:
Die Skandale um manipulierte Vergabekriterien. Einige Ärzte übertrieben die Lebensgefahr ihrer Patienten, um für sie einen Platz weiter oben auf den Wartelisten zu ergattern. Tatsächlich ging die Spendenbereitschaft zurück. Gäbe es zehn Prozent mehr Spender, so hätten rund achtzig weitere Schwerkranke gerettet werden können. Wichtig für jeden, der das Glück hat, ein Organ zu erhalten, aber angesichts der Masse nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Apparatemedizin. Wer sich als Spender zur Verfügung stellt, unterwirft sich dem anonymen Medizinbetrieb. Einem Ausschlachten des Körpers nach bloßer Nützlichkeit. Mediziner verdienen damit Geld und Renommee. Kassen und Kliniken verwalten den Toten. Der einst ganzheitliche Mensch zerfällt in Teile, von denen einige als nützlich, die meisten aber als wertlos betrachtet werden.
Abwehr gegen künstliche Lebensverlängerung. Die Aufklärung in den Medien hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen eine Patientenverfügung verfassen, um sich im Fall schwerer Krankheit gegen eine sinnlose Lebensverlängerung im Koma zu schützen. Wer sich darin gegen Lebenserhaltung durch Apparate wehrt, schließt sich auch als Organspender aus. Denn um die Organe lebensfähig zu halten, muss der Spenderkörper bis zur Entnahme künstlich beatmet und ernährt werden.
Spender werden nicht gemeldet. Offenbar melden Kliniken nicht alle infrage kommenden Spender. Ärzte haben oftmals Scheu mit verzweifelten Angehörigen über solch „herzlose“ Themen zu sprechen. Welcher Arzt will schon als kaltherziger Medizintechniker in Verruf geraten? Kliniken sind zwar verpflichtet, jeden möglichen Spender zu melden, aber wie oft das wirklich geschieht, ist nicht genau bekannt.
Fehlende Bereitschaftserklärungen. Bei uns kommt nur als Spender infrage, wer vorher seine Spendenbereitschaft erklärt hat. Oder wo die Angehörigen es tun, im Fall der Fälle. Manche Länder wie Österreich sind den umgekehrten Weg gegangen. Jeder ist automatisch Spender, es sei denn, er hat vorher ausdrücklich seine Weigerung erklärt. Dort ist die Zahl der Spender höher. In Deutschland gibt es etwa 13 Spender pro eine Million Einwohner. Die meisten Spender gibt es in Spanien, ungefähr 35 pro eine Million. Wären es so viele bei uns, hätten wir 2700 Spender im Jahr – bei 12 000 dringend Wartenden.
Ethische Bedenken. Niemand will auf seinen Körper reduziert werden. Genau das geschieht aber in der Organspende. Der Mensch wird zum Ersatzteillager. Damit stehen zwei moralische Regeln im Konflikt zueinander. Einerseits die Würde des Individuums, das mehr sein will als ein Stück teures Fleisch. Andererseits die innere Verpflichtung, anderen zu helfen und Leben zu retten.
Ängste. Es gibt unter Ärzten traditionell eine Kultur des Schweigens gegenüber den Patienten. Halbgott in Weiß kann nur sein, wer ein überlegenen Wissen hütet. Dazu gehört, Diagnosen in unverständlichen Zahlen zu verschlüsseln, und Patienten nicht die Wahrheit über ihren Zustand zu sagen, um sie zu schonen. Wo die Wahrheit verschwiegen wird, bilden sich diffuse Ängste. Wird man mich nicht heimlich töten, um rascher und sicher an meine Organe zu kommen? Da die Organe leben müssen – werde ich vielleicht ausgeschlachtet, wenn ich noch gar nicht tot bin? Zwar schließt das tatsächliche Verfahren solchen Horror aus. Der klinische Tod muss genauso von zwei Ärzten festgestellt werden wie bei jedem anderen Toten. Dennoch gehen verängstigte Menschen auf Nummer Sicher und füllen lieber keinen Organspendeausweis aus.
Die deutsche Regierung hat versucht, dem Organmangel mit einer Aufklärungskampagne abzuhelfen. Die Krankenkassen verschickten Informationsmaterial und einen Vordruck für einen Organspendeausweis. Doch die Mehrheit hat weiterhin keine Lust, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Der Hauptgrund, warum es zu wenige Spender gibt, liegt jedoch woanders. Auch ohne alle Probleme, die wir aufgezählt haben, würde die Schere zwischen Wartenden und Spendern immer weiter auseinander gehen:
1. Der Hauptfeind der Organspende sind weder Ängste noch Moral, sondern – der Sicherheitsgurt. 1976 zunächst nur auf Autovordersitzen zur Pflicht erklärt, ließ der Gurt die Zahl der Unfalltoten drastisch sinken. Seit damals hat sich die Zahl der gefahrenen Kilometer verdoppelt, die Zahl der Verkehrstoten ist auf ein Drittel gesunken. Immer weitere Sicherheitsmaßnahmen – Anschnallpflicht auch auf den Hintersitzen, Airbag, Knautschzone, Computertechnik an Bord – senkt die Zahl der Unfalltoten weiter. Vor vierzig Jahren sahen wir zudem viel mehr rasende Motorradfahrer im Straßenbild, mit hoher Unfallquote. Mit beiden Gruppen hat sich die Hauptquelle der Organspender stark verkleinert.
2. Die moderne Medizin lässt uns immer älter werden. Sie hält mehr Menschen mit schweren Organschäden am Leben – durch Dialyse, Insulin oder Herzschrittmacher – und lässt einstige Todeskandidaten auf Wartelisten rutschen. So erfreulich diese Entwicklung für die Betroffenen ist – es wächst die Zahl der Schwerkranken, die über Jahre zwischen Hoffnung und Verzweiflung bangen müssen.
Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Die Ärzte kommen besser mit den Abstoßungsreaktionen gegen das fremde Immunsystem zurecht. Dass gespendete Organe gleich verloren gehen – also alles umsonst war – kommt immer seltener vor. Doch die Organspende wird den steigenden Bedarf niemals decken können. Die Medizin wird andere Wege finden müssen:
Künstliche Organe. Herzschrittmacher sind bereits Alltag. Komplette Herzen aus Kunststoff werden seit den 1980er Jahren erfolgreich verpflanzt. Allerdings überleben Patienten bis jetzt maximal fünf Jahre. Die Forscher hoffen, die Probleme – Blutverklumpung, Infektionsgefahr und begrenzte Batterielaufzeiten – nach und nach lösen zu können. Immer kleinere Motoren, Batterien und Computer werden eines Tages vielleicht auch künstliche Leber und Niere möglich machen.
Geklonte Organe. Aus eigenen Stammzellen das eigene Organ nachzüchten – das hieße, es gäbe nie wieder Abstoßungsreaktionen des Immunsystems. Bis jetzt reine Zukunftsmusik.
Tierische Organe. Schweine sind uns genetisch ähnlich. Ob eines Tages ein Schweineherz das menschliche Herz ersetzen kann, ist noch nicht klar. Aber Versuche laufen bereits. Man muss dafür spezielle Schweine züchten, deren Immunsystem dem unseren stärker ähnelt als bei den üblichen Haustierrassen.
veröffentlicht im März 2014 © by www.berlinx.de
Hinterlasse einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar schreiben zu können.