Frauen wollen Nähe, Intimität und Geborgenheit, Männer lieben ihre Freiheit. Kommt ihnen eine Frau zu nah, dann gehen Sie auf Abstand. Wie viel Wahrheit enthalten die alten Klischees?
Vor fünfzig Jahren bewiesen Verhaltensforscher, daß unser Bedürfnis nach Körperkontakt angeboren ist. Die Sehnsucht nach Bindung und körperlicher Verschmelzung gehört zu den mächtigsten und urtümlichsten Instinkten, die wir Menschen kennen. Neugeborene Babys entspannen und beruhigen sich, wenn sie den Geruch und die Wärme der Mutter spüren. Die Wissenschaftler konnten zeigen,
- daß Säuglinge sogar auf Tonbänder, die den Herzschlag der Mutter vorspielen, positiv reagieren,
- daß sie bei der Wahl zwischen der bloßen Anwesenheit der Mutter und einer Nahrungsquelle die mütterliche Nähe bevorzugen,
- daß Kinder, die ohne Berührungen aufwachsen, schwere seelische Schäden wie Aggressivität, Lernstörungen, Ängstlichkeit und sogar körperliche Entwicklungsrückstände davontragen.
Doch neben dem Bedürfnis nach Bindung zeigt der Säugling, sobald er krabbeln und laufen kann, den entgegengesetzten Hang, sich von der Mutter zu entfernen. Kaum gerät ein neuer Gegenstand in sein Blickfeld, der vielleicht sogar noch farbig blinkt, tutet und sich bewegt – schon krabbelt er los, um ihn anzufassen, in den Mund zu nehmen, wenn möglich, zu zerbeißen oder zu zerschlagen. Wer genau hinschaut, erkennt freilich, daß das Kind sich immer mit einem halben Auge überzeugt, ob seine Mutter noch in der Nähe ist. Sollte sie während seiner Erkundungen den Raum verlassen, verliert das neue Spielzeug sofort all seine Faszination. Das Kind beginnt nach seiner Mutter zu suchen. Seine Entdeckerlaune verfliegt im Nu. Es fängt an zu wimmern und zu schreien und beruhigt sich erst, wenn Mama erscheint und es in den Arm nimmt. Eine Weile liegt es friedlich an ihrer Schulter, bis der Freiheitsdrang von Neuem erwacht und es anfängt zu quengeln, weil es hinunter will, um einen anderen Teil des Zimmers zu erkunden.
Die Eltern behandeln Mädchen und Jungen jedoch nicht gleich. Mädchen werden mehr geherzt. Jungen gestattet man größere Freiräume. Sie gelten als weniger zerbrechlich und robuster, müssen weniger beschützt werden. Obwohl medizinisch gesehen das Gegenteil der Fall ist. Die Krankheitsanfälligkeit und Todesrate ist bei den kleinen Jungen höher. Auch das elterliche Vorbild spielt eine Rolle. Sobald die Kinder sich bewußt als Junge bzw Mädchen wahrnehmen, beginnen sie, sich in ihrem Verhalten und ihren Lebenszielen an den Erwachsenen des eigenen Geschlechts zu orientieren.
Deshalb beobachten wir in den letzten Jahren deutliche Veränderungen. Nur noch eine Minderheit von Frauen beschränkt ihren Lebenskreis auf die Familie Die jüngste Jugendstudie zeigt, daß Mädchen zunehmend Karriereziele anstreben. Wenn es um die Wahl zwischen Familie und beruflichem Fortkommen geht, würde nur noch eine Minderheit den Beruf für die Familie aufgeben wollen. Sie ziehen die Freiheit gegenüber der Bindung vor.
Die meisten Männer erwarten freilich noch immer, daß sie sich um die Kinder kümmert und ihre Karriere eher als eine Art Hobby betrachtet. Das sie nur dann betreibt, wenn in der Familie kein Engpaß herrscht. Da sie sich im beruflichen Aufstieg aber mit Männern messen muß, die wie ihr eigener Gatte alle privaten Verpflichtungen auf ihre Frau abschieben, bedeutet das Pausieren häufig auch das Aus auf dem Weg an die Spitze. Die Folge: viele Partnerschaften zerbrechen, weil ihr Mann sie nicht unterstützt, sondern sie in ihren beruflichen Zielen behindert.
Andere führen ihre Beziehung weiter, aber die Intimität leidet. Jede sechste Ehe ist inzwischen eine Fernehe. Paare, deren Zusammensein ein freundschaftliches Arrangement darstellt, waren noch nie so zahlreich wie heute. Man nutzt die steuerlichen Vorteile des Ehegattensplitting und hat jemanden im Hintergrund, der einem in Stresszeiten mal unter die Arme greifen kann. Bei dem man sich auch mal ausheulen kann. Die Karriere beider hat Vorrang. Aber auch diese Paare scheitern meist. Entweder an Untreue oder weil man sich schließlich weit auseinander lebt.
Sexualforscher wissen schon länger, daß die Intimität der modernen Paare auf einen historischen Tiefpunkt gesunken ist. Selbst im prüden 19. Jahrhundert gab es mehr Sex. Wenn zwei Individualisten ein eigenes Berufsleben, eigene Hobbys und eigene Freundeskreise pflegen, ist die Distanz recht groß – auch wenn sie einander noch so mögen. Wie jedes Verhalten wird auch Nähe durch Gewohnheit gefördert. Sie erzeugt Vertrauen. Längere Distanz kann zwar das Prickeln steigern, weil Distanz reizt, durch Verführung die Schranken niederzureißen. Das klappt aber nur bei Personen, die einander fremd sind. Wenn es Geheimnisse zu entdecken gilt. Wenn durch Eroberung Selbstbestätigung zu erlangen ist. Für langjährige Paare trifft diese Voraussetzung meistens nicht zu. Sie kennen einander. Der andere wirkt wie ein vertrautes Möbelstück, das man nur selten öffnet. Wie ein Relikt aus einem früheren Leben, das man aufhebt in der Hoffnung, man könne es doch noch einmal brauchen.
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