Männer leben im Schnitt 74, Frauen aber 80 Jahre. Sind in punkto Krankheit und Gesundheit also Frauen das starke Geschlecht? EGO-Net klärt auf.

Männer gelten nicht nur als kurzlebiger, sondern auch als Jammerlappen. Es heißt, sie machen aus dem kleinsten Wehwehchen eine Staatsaffäre, während Frauen die Zähne zusammenbeißen und weiter Haushalt und Beruf schmeißen. Still wie der Indianer, der keinen Schmerz kennt.

Die Statistiken widerlegen dieses Bild. Sie zeigen: Frauen gehen häufiger zum Arzt. Sie nehmen deutlich mehr Medikamente ein. Warum? Weil sie sich öfter krank fühlen, und zwar im Schnitt dreiviertel ihrer Lebenszeit. Dabei achten sie mehr als Männer auf eine gesunde Lebensweise, legen Wert auf ausgewogene Ernährung, trinken weniger Alkohol, rauchen weniger und setzen sich seltener gefährlichen Situationen aus (zum Beispiel im Straßenverkehr).

Vielleicht sind die Statistiken falsch? Vielleicht behandeln die Ärzte einfach Männer und Frauen unterschiedlich?

Da ist in der Tat etwas dran. Die Tatsache, daß bis in jüngste Zeit die meisten Ärzte Männer, die meisten Patienten aber Frauen sind, blieb nicht ohne Folgen. Männliche Patienten werden fast ausschließlich auf körperliche Krankheitsursachen hin behandelt. Seelische Anteile vermuten die Ärzte meist nur bei Frauen. Deswegen werden Beruhigungs- und Schlafmittel viel häufiger Frauen verschrieben.

Nicht ganz zu Unrecht. Frauen erkranken dreimal häufiger an Depressionen. Sie fühlen sich auch häufiger krank, während Männer Alarmzeichen ihres Körpers eher ignorieren und öfter an Krankheiten sterben, die bei Früherkennung heilbar sind.

Körpervorgänge, die mit dem weiblichen Geschlecht zusammenhängen – Menstruation, Schwangerschaft, Gebären und Wechseljahre – gelten in der traditionellen Schulmedizin als eine Art von Krankheit. Sie werden diagnostiziert und mit Geräten und Medikamenten therapiert. Dies hat Folgen: Bis vor etwa zehn Jahren galt die Hysterektomie (die operative Entfernung der Gebärmutter) als wichtigstes Allheilmittel gegen Beschwerden in den Wechseljahren. Heute schätzen Experten, daß vier von fünf derartigen Operationen überflüssig waren.

In anderen Bereichen wurde aber der Geschlechterunterschied vernachlässigt. Zum Beispiel bei der Wirkung von Medikamenten. An den vorgeschriebenen Studien zur Neuzulassung einer Arznei nahmen vorrangig junge Männer (meist Studenten) teil – in der Annahme, daß alles, was sie vertragen, auch für Frauen unbedenklich ist. Dieses Fehlurteil machte in einem Fall Geschichte: das Schlafmittel Contergan, von 1960 bis 1962 als Medikament in der Bundesrepublik zugelassen. Der enthaltene Wirkstoff Thalidomid verursachte schwere Mißbildungen bei den ungeborenen Kindern der werdenden Mütter, die das Mittel einnahmen.

Inzwischen ist vorgeschrieben, daß nach Tierversuchen alle neuen Mittel an Versuchspersonen beiderlei Geschlechts zu testen sind. Dennoch besteht ein Restririko, da laut Gesetz bis 2005 noch Mittel aus den Zulassungsjahren vor 1976 verkauft werden dürfen, die noch keine Neuüberprüfung nach modernen, strengen Kriterien durchlaufen haben.

Die Unterschiede, die das System der Medizin macht, sind aber nicht allein für den Geschlechtsunterschied verantwortlich. Frauen und Männer sind tatsächlich anders gesund. Und anders krank.

Frauen haben in ihrem Erbgut zwei X-Chromosomen, Männer ein Y- und ein X-Chromosom. Erbkrankheiten, die sich nur auf einem X-Chromosom befinden, brechen daher nur bei Männern aus. Bei Frauen wird die Erbinformation in diesem Fall vom gesunden X-Chromosom abgelesen. Dieser Unterschied wird auch für die geringere Lebenserwartung der Männer mit verantwortlich gemacht. Im Alter häufen sich Ablesefehler im Erbmaterial. Bei Frauen wird eine Fehler durch Ablesen des anderen X-Chromosoms ausgeglichen, bei Männer nicht.

Außerdem liegen wichtige Erbfaktoren der Immunabwehr auf dem X-Chromosom. Das weibliche körpereigene Abwehrsystem reagiert deshalb wachsamer und stärker auf Krankheitskeime, eine Anpassung an die urzeitliche Bedingungen der Fortpflanzung, als die Todesrate infolge Schwangerschaft und Geburt sehr hoch war. Dies schützt Frauen einerseits besser vor Viren und Bakterien. Andererseits häufen sich Krankheiten, bei denen das überempfindliche Immunsystem irrtümlich körpereigene Zellen angreift (Autoimmunerkrankungen). 75 Prozent aller Rheumapatienten sind daher weiblich.

Männer leben gefährlicher. Sie verursachen mehr Sport- und Verkehrsunfälle. Selbstmorde werden zwar insgesamt häufiger von Frauen unternommen. „Erfolgreich“ vollendete Versuche gehen jedoch zu drei Vierteln auf das Konto von Männern. Vorzeitige Todesfälle (vor dem 65. Lebensjahr) kommen folglich zum überwiegenden Teil bei Männern vor. Außer erhöhtem Risiko sind noch zwei weitere Faktoren dafür verantwortlich.

  • Erstens sind Personen, die sich mit extrem ungesunder Lebensweise zugrunde richten (zum Beispiel Alkoholismus) in der Mehrzahl Männer. Vor dem Rentenalter erkranken Männer fünfmal häufiger an Bronchial- oder Lungenkrebs und viermal häufiger als Herzinfarkt. Frauen holen aber auf. Der Anteil der Alkoholikerinnen und Raucherinnen wächst und damit auch ihr Anteil an den genannten Folgekrankheiten.
  • Zum zweiten sind Frauen durch ihr Geschlechtshormon Östrogen vor Herzinfarkten geschützt. Es beugt Kalkablagerungen in den Gefäßen vor – zumindest bis zu den Wechseljahren. Danach ist aber auch bei ihnen der Herzinfarkt Todesursache Nummer Eins.

Zwar sind weniger Frauen als Männer von Alkohol und Nikotin abhängig. Aber wenn, sind die Frauen stärker gefährdet als Männer. Der weibliche Organismus stellt das Enzym Äthanoldehydrogenase nur in geringen Mengen zur Verfügung und baut deshalb Alkohol viel langsamer ab. Deshalb sollten Frauen die Empfehlung „Ein Glas Wein am Tag ist gesund“ wörtlich nehmen. Bei Männern dürfen es zwei bis drei Gläser sein. Ähnlich ist die Lage bei Zigaretten. Der weibliche Körper reagiert empfindlicher auf die im Rauch enthaltenen Teerteilchen. Das Risiko, eines Tages Lungenkrebs zu bekommen, ist bei gleichem Tabakkonsum über die Hälfte höher als bei Männern. Vor zehn Jahren rauchte jede zehnte Frau, inzwischen ist es jede Dritte. In der jüngeren Altersgruppe (bis 55 Jahre) ist die Veränderung schon zu spüren. Die Häufigkeit von Lungenkrebs stieg bei Frauen diesen Alters um 140 Prozent!

Frauen werden im Schnitt zwar sechs Jahre älter als Männer. Die wenigen Männer, die entgegen dem statistischen Durchschnitt sehr als werden, sind aber meist rüstiger als Frauen der gleichen Altersstufe. Bei den 70jährigen ist der Anteil geistig reger Frauen größer als der Anteil geistig reger Männer. Bei den über 80jährigen ist die Lage genau umgekehrt. Ganz extrem wird es bei der kleinen Minderheit, die 100 Jahre und älter wird. Bei den 100jährigen sind nur 20 Prozent Männer. Bei den 105jährigen beträgt der Anteil der Männer dagegen 40 Prozent!

Bei Paaren ist die Gesundheit des Mannes vom Verhalten seiner Frau abhängig, wie eine Studie der Universität Chicago kürzlich bewies, in der 3000 Paare über längere Zeit beobachtet wurden. Das Ergebnis: Engagieren sich die Frauen stark im Beruf (40 oder mehr Arbeitsstunden pro Woche), wirkt sich das nachteilig auf den Gesundheitszustand ihrer Männer aus. Sie ernähren sich ungesünder, treiben weniger Sport, gehen seltener zum Arzt und büßen nach und nach ihre soziale Kontakte ein. Vergleicht man Paare mit Alleinlebenden, profitieren im Schnitt beide Geschlechter gesundheitlich von der Beziehung – jedoch die Männer stärker als die Frauen.

Veröffentlicht im März 2001 © by www.berlinx.de

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