Schon mancher Kleinsparer, aber auch mancher Profi hat Geld mit Aktien verloren, weil im entscheidenden Moment seine Emotionen die Herrschaft über seinen Verstand übernommen haben. Wie Sie sich vor den psychologischen Fallen der Börse hüten und langfristig zu den Gewinnern gehören, verrät Ihnen EGO-Net im zweiten Teil des Grundkurses zur Börsenpsychologie.
Psychofalle 1: Die unvollständige Information.
Eigentlich scheint alles ganz einfach: Entweder der Aktienkurs steigt oder er fällt. Hat man rechtzeitig vor dem Kursanstieg gekauft und auf dem Höhepunkt der Kurse frühzeitig verkauft, lag man richtig. Hat man umgekehrt gehandelt, lag man falsch. Wenn Sie nur nach dem Zufallsprinzip handelten, würden Sie deshalb in der Hälfte der Fälle richtig handeln, in den übrigen Fällen falsch.
Ein vereinfachtes Bild? Nur zum Teil. Denn auch der gewiefteste Profi handelt immer aufgrund unvollständiger Information. So einfach und eindimensional auch die Kurse sind – die Fakten, die sie bestimmen, sind derart vielfältig und in ihren Wechselwirkungen schwer durchschaubar, daß niemand eine sichere Vorhersage treffen kann. Der Mensch will aber aus Gründen seelischer Stabilität meist nicht zugeben – auch vor sich selbst nicht – daß er einfach nur Ratespiele veranstaltet. Um uns sicher zu fühlen, versuchen wir die Welt voraussagbar zu gestalten. Deshalb neigen wir dazu, wie viele Studien belegt haben, auch bloßen Zufällen eine notwendige Ursache zuzuschreiben. Und zu glauben, wir hätten sie erkannt.
Das bedeutet: Wer einmal eine Kurs-Voraussage machte, die dann eintraf – und das ist im Mittel, wie gerade gezeigt, bei jedem zweiten Mal der Fall – glaubt häufig, er verdanke sein Ergebnis nicht dem statistischen Zufall, sondern er habe damit ein Wirkprinzip der Börse durchschaut. Viele Profis tappen in diese Falle. Daraus leiten sie dann Regeln ab wie „Im Frühjahr verkaufen, im Herbst kaufen“ oder „Niedrige Zinsen, steigende Kurse“. Wäre die Börse durch klare Regeln vorhersagbar, dürften dramatische Gewinne und Verluste nicht mehr vorkommen, da sich diese Regeln herumsprechen und bald die Mehrheit sich nach ihnen richtet – wodurch sich Käufe und Verkäufe zu einem mittleren, gleichbleibenden Kurs ausglichen. Da aber die Börsenrealität diese Regeln dauernd über den Haufen wirft, bleibt das unvorhersehbare Auf und Ab – und das Erstaunen der Börsenprofis über die ungeahnte Entwicklung – bestehen.
Unser Tip: Hüten Sie sich vor der Falle der Selbstüberschätzung. Lassen Sie Börsen- und Finanzjournale mit ihren Analysen und Voraussagen links liegen. Die größten Gewinne machen Realisten. Legen Sie Ihr Geld langfristig an. Es zeigt sich, daß diejenigen, die auf Modeaktien mit schnellen Gewinnen setzen, ihre Kurszuwächse genauso schnell wieder verlieren. Langfristig bewährt es sich, Aktien großer, schon länger erfolgreicher Firmen (sogenannte Blue chips) zu kaufen und mindestens drei bis vier Jahre zu behalten, egal, wie die Börse zwischenzeitlich schwankt.
Psychofalle 2: Jagen nach Geheimtips
Kein Geheimtip ist geheim genug, daß nicht sofort Tausende von Nachahmern auf den Zug aufspringen. Durch Kaufempfehlungen steigt der Kurs zunächst, die Voraussage scheint sich zu bestätigen. Doch: wenn eine besonders vorteilhafte Anlage in einem Branchenblatt angepriesen wird, ist sie unter den Insidern längst ein alter Hut. Die Insider haben vorher gekauft und verdienen an der Kurssteigerung, die das nachahmende Verhalten der Leser auslöst. Aber während die Leser noch von weiteren Kurssteigerungen träumen, verkaufen die Insider bereits wieder. Der Kurs bröckelt. Während es für die Nachahmer ein böses Erwachen gibt, streichen die Insider das von ihren Lesern verlorene Geld ein und preisen schon die nächsten Aktie an.
Selbst wenn es sich nicht um verbotene Insidergeschäfte handelt, bei denen der aktienanpreisende Analyst an seiner eigenen Voraussage verdient: Was die Experten veröffentlichen, ist zum Zeitpunkt der Publikation schon überholt. Und zwar um so mehr, je konkreter der Tip ist. Von einer allgemeinen Information wie „Der Biotechnologie gehört die Zukunft“ kann der Laie längere Zeit profitieren. Aber auf eine spezielle Aussage wie „In der Firma X wird demnächst ein neuer Vorstand gewählt, das wird die Aktie nach oben treiben“ haben die Börsenhändler längst reagiert – das heißt, der Fakt ist im aktuellen Kurs schon enthalten.
Unser Tip: Richten Sie Kaufentscheidungen nur nach längerfristigen Trends. Gewinnaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Experten sich uneins sind oder ein sicherer Trend in den Medien nur am Rande erwähnt wird. Noch besser: Streuen Sie Ihre Anlage. Setzen Sie auf mehrere Branchen und Länder. Dann beteiligen Sie sich nicht an den unsicheren Hoffnungen einer hervorgehobenen Branche, sondern am allgemeinen wirtschaftlichen Trend. Und der zeigt seit Jahrzehnten nach oben.
Psychofalle 3: Herdentrieb
Die sicherste Methode sein Geld zu verlieren, ist das zu tun, was alle tun – also kaufen, wenn die Kurse hoch sind und Euphorie herrscht und verkaufen, wenn die Kurse niedrig sind und Katerstimmung sich ausbreitet. Wenn alle Welt von märchenhaften Gewinnen redet, heißt das vor allem, daß die Gewinne schon gemacht worden sind, also in der Vergangenheit liegen. Der Zeitpunkt, wo die Gewinner ihr Geld einsammeln, um es vor Verlusten zu schützen – und damit Kurse fallen werden – steht dann unmittelbar bevor. Umgekehrt: wenn alle über Verluste jammern, heißt das, die Verluste wurden schon gemacht, eine Periode neuer Gewinne steht bevor.
Es fällt psychologisch sehr schwer, genau entgegengesetzt der allgemeinen Stimmung zu handeln. Sind die Aktien unterbewertet, heißt es kaufen, sind sie überbewertet, heißt es verkaufen. Eigentlich eine Banalität. Aber jeder Branchenkenner weiß, daß die Psyche dem Anleger seltsame Streiche spielt. Wenn die Kurse sehr hoch sind, rechnet er nicht mit bevorstehenden Verlusten, sondern sagt sich: „In den letzten Monaten ist es dermaßen gut gelaufen, warum soll es nicht so weiter gehen? Alle sind schließlich optimistisch, nicht nur ich. Wenn ich jetzt aussteige – verpasse ich da nicht weitere glänzende Gewinne?“
Unser Tip: Nerven bewahren. Im Nachhinein zeigt sich immer: so wie schon früher auf ein Hoch ein Tief folgte, so kommt es auch diesmal. Wenn Sie nicht über viele Jahre Ihre Aktien halten, sondern an den Kursschwankungen verdienen wollen: setzen Sie sich selbst eine Kurs-Grenze (ein „limit“), bei der sie kaufen bzw. verkaufen, egal wie euphorisch oder pessimistisch die Börsenstimmung gerade ist.
Psychofalle 4: Angst
Sie haben gekauft in der Hoffnung auf steigende Kurse, aber plötzlich bröckelt der Markt. Sehr viele Laien und die meisten Profis sind „zittrige“ Anleger (ein Begriff von Börsenguru André Kostolany). Das heißt, sie neigen zu Panikverkäufen und nehmen Verluste in Kauf aus Angst vor noch größeren Verlusten. Je mehr die Augen in der Aufwärtsphase geleuchtet haben, um so größer die Panik, wenn es abwärts geht. Wenn Angst und Herdentrieb zusammentreffen, kommt es zu einem Crash: die ersten fangen an zu verkaufen und plötzlich ziehen alle nach.
Unser Tip: Legen Sie nur Geld, das Sie länger als ein Jahr nicht benötigen werden, in Aktien an. Dann können Sie Kurseinbrüche einfach aussitzen, also abwarten bis zur nächsten Aufwärtsphase. Selbst nach dem stärksten Crash steigen die Kurse wieder. Und je tiefer der Crash, um so schneller der Anstieg, weil sehr tiefe Kurse ein Kaufanreiz sind. So billig bekommt man die Aktien nicht so bald wieder. Ein Crash ist überhaupt nicht dramatisch, solange Sie das Geld nicht abheben müssen. Entscheidend ist für Sie der Kurs zu dem Zeitpunkt, an dem Sie verkaufen. Viel schlimmer als ein Crash ist daher eine langanhaltende Flaute, bei dem die Kurse über viele Jahre im unteren Drittel dahindümpeln. Das war in den letzten Jahren nicht der Fall, ist aber im 20. Jahrhundert mehrfach vorgekommen.
Psychofalle 5: Habgier
Mit einem Schlag Millionär werden, wer hat nicht schon einmal davon geträumt? Wenn der Traum aber das realistische Denken außer Kraft setzt, wird es gefährlich. Die Hoffnung auf schnelle Gewinne verwandelt Anleger in Spieler. Sie verleitet dazu, hohe Risiken einzugehen. Das extreme Beispiel sind Daytrader. Leute, die am selben Tag mehrfach kaufen und verkaufen, um von kurzfristigen Gewinnspannen zu profitieren. Einige haben damit ordentliche Gewinne gemacht, doch rund achtzig Prozent verspielen dabei ihre Ersparnisse. Auch der Boom der Internetaktien von Oktober 1999 bis März 2000 weckte viele Hoffnungen auf schnelle Gewinne, die sich für die meisten ebenso schnell wieder zerschlugen (siehe Teil I unseres Beitrages in der vorigen Ausgabe).
Kein Spieler kann immer gewinnen. Er kann bei einer Einzelaktion durchaus mal ungeheures Glück (oder Pech) haben. Je öfter und je länger er spielt, desto mehr nähert sich seine Bilanz dem allgemeinen Durchschnitt an. Letztlich geht es dem echten Spieler auch mehr um den Nervenkitzel als um das erzielte Einkommen. Verluste sind für ihn deshalb weniger schlimm als gar nicht mehr spielen zu können. Oft wird die folgende Geschichte erzählt: Wer 1986 10 000 Mark in Microsoft investiert hätte, wäre heute vielfacher Millionär. Verschwiegen wird: Das klappte nur, weil über 99 Prozent der Profis diese Entwicklung nicht voraussahen. Von den ebenso aussichtsreichen (oder -losen) Konkurrenten, mit denen sie die 10 000 Mark verspielt hätten (und zum Teil auch verspielt haben), spricht heute keiner mehr.
Unser Tip: Machen Sie es wie der Psychologe Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er befragte mit Kollegen mehrere hundert Münchener Passanten, welche Firmennamen sie kennen. Das Ergebnis: Wenn man nach den Nennungen der Befragten Aktiendepots der genannten Firmen zusammenstellt, würden die Passanten mit den geringsten Wirtschaftskenntnissen die höchste Kurssteigerung erzielen. Die zehn meist genannten deutschen und US-Firmen schlugen in ihrer Summe nicht nur den DAX und den Dow-Jones-Index, sondern auch die Aktienfonds mit der höchsten Rendite. Die Ursache ist klar: Je bekannter eine Firma, desto häufiger werden ihre Aktien gekauft. Um so schneller steigt ihr Kurs. Wer dagegen auf kleine, unbekannte Firmen setzt, kann durchaus einen Glückstreffer landen, wenn das Unternehmen mit einer Innovation die etablierte Konkurrenz schlägt. Viel größer ist aber die Wahrscheinlichkeit, daß die Aktie sang- und klanglos untergeht.
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