Warum Großprojekte und persönliche Pläne so oft scheitern
Alle schütteln den Kopf über den Berliner Großflughafen, der nicht fertig wird. Aber sind wir beim individuellen Planen besser?
„Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehen tun sie beide nicht“, reimte Bertolt Brecht 1928 in seiner Dreigroschenoper. Ein knappes Jahrhundert später sind seine Verse immer noch aktuell. Der neue Flughafen Berlin Brandenburg ist das bekannteste Beispiel für eine gigantische Fehlplanung. 2004 waren 1,7 Milliarden Euro für seinen Bau eingeplant, 2014 waren es bereits 5,1 Milliarden. Inzwischen werden weitere Milliarden beantragt. Einen Eröffnungstermin gibt es nicht. Klar ist nur, dass jeder Monat weitere 35 bis 40 Millionen Euro kostet.
Eine besondere Unfähigkeit der Berliner? Keineswegs. Andere Millionengräber sind die Hamburger Elbphilharmonie (die Kosten stiegen von ursprünglich 77 Millionen auf mehr als das Zehnfache), der Bahnhof Stuttgart 21, Stromtrassen, Autobahnen und zahlreiche weitere Baustellen in der gesamten Republik. Wie kann es sein, dass gut ausgebildete Architekten, Ingenieure und Ökonomen dermaßen versagen?
Der erste Grund ist Schlamperei. Einer der Ingenieure des Flughafens war gar keiner, sondern ein hochstapelnder technischer Zeichner. Bauakten landen in öffentlichen Containern. Wer Mist baut, wird schlimmstenfalls entlassen und kann woanders weiter schlampen. Überall, wo mehr als hundert Menschen arbeiten, finden sich immer einige Versager, die Sand ins Getriebe streuen. Sie können Projekte verzögern, aber nicht verhindern – solange die Mehrheit aus zuverlässigen Mitarbeitern besteht.
Eine weitere Hürde liegt in dem Verfahren, das die Aufträge an Firmen vergibt. Der schnellste und billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Er ist nicht wirklich der günstigste. Er behauptet es nur in seinen Planungspapieren. Wenn man die Firmen zwingen könnte, realistische Angaben zu machen – wären dann alle Probleme vom Tisch?
Leider nein. Auch dort, wo kein Wettbewerb um den besten Bieter stattfindet, klaffen Plan und Wirklichkeit meilenweit auseinander. Der US-Autor Nassim Nicholas Taleb zitiert in seinem Buch Der Schwarze Schwan folgende Studie: Forscher fragten Studenten, wie lange sie wohl bis zum Abschluss ihrer Projekte brauchen würden. Die Optimisten unter ihnen rechneten mit 26 Tagen, die Pessimisten mit 47. Die Zeit, die sie wirklich brauchten, lag bei 56 Tagen. Selbst die pessimistischsten Schätzungen waren noch zu optimistisch gewesen!
Stellen Sie sich vor, Sie wollten Ihre Zweiraumwohnung renovieren. Sie planen, die Aktion an einem Wochenende hinter sich zu bringen. Sie kaufen alles Nötige rechtzeitig ein und probieren schon mal aus, wie viele Minuten Sie pro Tapetenbahn brauchen. Sie starten die Stoppuhr, messen, schneiden, kleistern und drücken die Tapete an die Wand. Am Ende kommen Sie auf knappe fünf Minuten. Da Sie insgesamt etwa 120 Tapetenbahnen anzubringen haben, veranschlagen Sie fünf Stunden. Davor müssen Sie Möbel umräumen. Außerdem brauchen Sie vorher vier bis fünf Stunden, um die alten Tapeten zu entfernen. Wenn Sie sich ranhalten, könnten Sie also Sonntag Mittag fertig sein.
Leider liegt der Teufel im Detail. Das Entfernen der Tapete dauert länger, weil einige hartnäckige Reste in den Ecken sich Ihrem Spachtel widersetzen. Einige neue Tapetenbahnen halten nicht richtig und müssen nachgearbeitet werden. Zwischendurch stellen Sie fest, dass Ihr Bleistift nichts taugt. Sie müssen noch mal los, einen neuen kaufen. Zum Glück haben die Geschäfte samstags bis 20 Uhr geöffnet. Außerdem vergaßen Sie für weitere Kleinigkeiten Zeit einzuplanen:
- Neuen Kleister anrühren müssen.
- Störende Anrufe.
- Essen, trinken, Toilette.
Immer nur wenige Minuten, aber die addierten sich zu Stunden. Es wird Sonntag Abend, und Sie sind noch nicht fertig.
Warum gelingt es uns nicht, realistisch zu planen? Wir denken: Nur nicht zuviel Zeit veranschlagen! Das könnte mich verleiten zu trödeln. Weil ich zügig ans Ziel gelangen will, setze ich mir ein anspruchsvolles Ziel. Also setze ich mich selbst unter Druck. Mein Plan soll nicht nur berechnen, wie viel Stunden und wie viel Geld ich brauche. Er soll mich auch motivieren.
Was in der Freizeit nur ärgerlich ist, kann im Berufsleben die Existenz bedrohen. Selbständige, die von Honoraren leben, kalkulieren mit knappem Zeitbudget. Je schneller sie arbeiten, desto höher ihr Stundenlohn. Wer als Autor für ein Buch schlappe 6000 Euro Vorschuss erhält, möchte nicht länger als drei, vier Monate damit zubringen. Die Verlage rechnen von vornherein damit, dass die Autoren ihre Abgabetermine nicht einhalten. Sie tolerieren ein Vierteljahr Terminüberschreitung. Doch selbst diese Frist wird meist nicht eingehalten. Der Verlag hat dann das Recht, vom Vertrag zurückzutreten. Es könnte ja sein, dass in einem Jahr das Thema des Autors nicht mehr aktuell ist.
Es gibt einen Trick, wie Sie die Planungshürde umgehen. Machen Sie zwei Pläne, einen privat für sich, den anderen offiziell für Ihren Auftraggeber. Nennen Sie Ihrem Auftraggeber sechs Monate, wenn Sie hoffen, in drei Monaten fertig zu werden. Dann können Sie Ihren offiziellen Termin locker einhalten.
Bei den häufigen kurzfristigen Terminen, die Sie Tag für Tag einhalten müssen, planen Sie Reservezeit ein. Gerade dann, wenn Sie unter Stress stehen und eigentlich jede Minute exakt verplanen müssten. Wenn Sie Ihren Plan zu dicht stricken, wirft das erste unerwartete Ereignis – ein Stau, eine verspätete Bahn – Ihren ganzen Tag über den Haufen. Sie werden nur noch Ihren Terminen hinterher hasten. Planen Sie dagegen über den Tag verteilt hundert Minuten Reservezeit ein, werden Sie gerade so zurechtkommen.
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Veröffentlicht im Juli 2014 © by www.berlinx.de
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