Psycho­experten em­pfehlen posi­tives Denken, Sammeln von Glücks­momenten und Zuver­sicht. Philoso­phisches Denken da­gegen ist eher skep­tisch. Wer hat Recht?

Für Descartes stand am Anfang der Philo­sophie der Zweifel. Der Weise nimmt nichts als gewiss hin. Er kann an allem zweifeln – außer der Tatsache, dass er zweifelt. Dieses skeptische Denken ist für ihn der einzig sichere Anfangs­punkt jeder Philosophie.

Die Skeptiker unter den Philosophen überwiegen. Schopen­hauer war unter ihnen der größte Pessimist. Aber auch die übrigen waren meist vorsichtige Denker, sofern es menschliche Glücks­chancen betraf. Ein Weiser erwartet wenig von seiner Umgebung. Er versucht vielmehr eine innere Haltung zu finden, die es erlaubt, selbst im schlimmsten Unglück Gelassenheit zu bewahren.

Zur Zeit Alexander des Großen begründete der Grieche Pyrrhon sogar den Skeptizismus als spezielle Richtung innerhalb der Philosophie. Er bezweifelte, dass wir überhaupt sicheres Wissen haben können. Gibt es irgendeine Tatsache, über die alle Menschen sich einig sind? Findet sich zu jeder Theorie nicht bald eine Gegentheorie? Diesen grundsätzlichen Zweifel pflegt auch heute noch die moderne Wissenschaft. Im Unterschied zur Religion ist sie sich der Möglichkeit bewusst, dass auch ihre besten Erkenntnisse eines Tages widerlegt werden könnten.

Auch im Alltag hat eine skeptische Haltung ihre Vorteile. Wer euphorischen Reden vom wirtschaftliche Aufschwung mit Skepsis begegnet war, dürfte bei der jüngsten Bankenkrise kein Geld verloren haben. Doch Warner und Skeptiker finden nur wenig Glauben, solange die Dinge positiv laufen. Sie machen sich sogar unbeliebt. Man spricht von Kassandra-Rufen – benannt nach der Tochter des Königs von Troja, die den Untergang ihrer Heimatstadt vorhersagte. Falls jemand mal Ihre skeptischen Äußerungen als Kassandra-Rufe abwehrt: Erinnern Sie ihn daran, dass zwar niemand Kassandra geglaubt hat, sie aber am Ende immer Recht behalten hat.

Skeptiker finden erst dann Gehör, wenn ihre düstere Prophezeiung eingetroffen ist. Wenn also die Warnung niemandem mehr nutzt. So erging es zum Beispiel dem Finanzprofessor Max Otte, der ab 2006 in einem Buch warnte „Der Crash kommt“. Er erkannte auch im Voraus, dass der amerikanische Immobilienmarkt die internationalen Geldmärkte zum Einsturz bringen wird. Doch erst als im Oktober 2008 der Crash da war, schoss sein Buch in die Top 10 der Bestsellerliste.

Warum haben es Skeptiker so schwer? Skepsis allein bringt kein positives Wissen hervor. Sie verleitet dazu, sich auf dem Nichtwissen auszuruhen. Wenn ich sowieso nichts Sicheres wissen kann, warum soll ich dann überhaupt meinen Kopf anstrengen? Kant, der selbst zu kritischem Denken neigte, sagte: „Skeptizismus ist ein Ruheplatz, aber kein Wohnplatz der Vernunft.“

Wir Menschen sind neugierig. Wir wollen lernen und verstehen. Wir finden, dass unsicheres Wissen immer noch besser ist als gar kein Wissen. Um uns wohl zu fühlen, sind wir auch bereit, unangenehme Tatsachen zu verdrängen. Wer denkt schon ständig an seinen eigenen Tod? Oder was uns sonst jederzeit an Schlimmem zustoßen könnte? Die wahre philosophische Haltung könnte man als realistischen Optimismus bezeichnen. Hoffnung haben ist durchaus vernünftig. Aber auch, mit dem Scheitern zu rechnen. Die guten Seiten des Lebens genießen und sich von den Alltagskatastrophen nicht unterkriegen lassen.

Unser Lesetipp: Wer bin ich – und wenn ja wie viele?: Eine philosophische Reise von Richard David Precht

Veröffentlicht im November 2008 © by www.berlinx.de

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