Innere Stärke, natürliche Autorität und ein gesundes Selbstwertgefühl, wer möchte das nicht? Der Weg zu diesem Ziel ist steinig und von Selbstzweifeln und Versagensängsten begleitet. Was Selbstbewußtsein ist, wie es entsteht und wie Mängel zustande kommen, erklärt Ihnen EGONet im ersten Teil unseres Beitrags.
Eine Reihe ähnlicher Begriffe bezeichnen jene zentrale Eigenschaft des Charakters, die über die Stärke der Persönlichkeit und den Grad an innerer Freiheit entscheidet:
- Selbstsicherheit oder selbstsicheres Auftreten nennt man eher die äußeren Aspekte, bezieht sich also vorrangig auf das Verhalten. Gegenbegriffe sind selbstunsicheres Verhalten, Schüchternheit und ähnliches.
- Als Selbstvertrauen oder (innere) Souveränität bezeichnet man das subjektive Empfinden, das hinter dem sichtbaren Auftreten steht.
- Charisma oder Aussstrahlung nennt man die Wirkung des Selbstbewußtseins auf andere (siehe dazu unseren Beitrag in der EGONet-Sommerausgabe).
- Selbstbewußtsein heißt schließlich das Ergebnis des eigenen Nachdenkens über die eigene Selbstsicherheit und das dahinter stehende Selbstvertrauen ein.
Selbstbewußtsein heißt nicht, perfekt sein und sich gekonnt inszenieren. Sondern sich mit seinen Stärken und Schwächen so akzeptieren, wie man ist, seine Stärken einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen und seine Schwächen und äußere Schwierigkeiten als Herausforderungen, nicht aber als unübersteigbare Grenzen zu betrachten. Wer ein starkes Selbstbewußtsein hat, wird nur wenig von Selbstzweifeln geplagt, sondern hat eine positive Meinung von sich.
Nur eine Minderheit von etwa zehn Prozent besitzt ein annähernd unerschütterliches Selbstvertrauen. Bei den meisten sind Eigenschaften, die sich an sich akzeptieren, mit Charakterzügen gekoppelt, die sie als ärgerliche Bürde empfinden. Das drückt sich aus in Sätzen wie:
- „Ach, könnte ich nur so diszipliniert essen wie meine Freundin.“
- „Wenn ich mehr Durchhaltevermögen und einen stärkeren Willen hätte!“
- „Ich würde auch gern Klavier spielen können, aber meine Eltern …“
Selbstbewußtsein hat möglicherweise eine angeborene Grundlage. Manche Kinder sind von Natur aktiver in der Erkundung ihrer Umwelt als andere. Das Entscheidende ist jedoch der Erziehungsstil, den man in der frühen Kindheit erlebt. Bis zum siebten Lebensjahr ist meist entschieden, ob ein Kind später selbstbewußt oder eher schüchtern sein wird. Entscheidend dafür ist, wie Eltern und andere Erwachsene auf das Kind einwirken. Bevorzugen Lob und Ermutigung oder Tadel und Verbote?
Jeder weiß, daß Kinder um das dritte Lebensjahr eine „Trotzphase“ durchmachen. Sie beginnen sich von der totalen Abhängigkeit von der Mutter zu lösen und eigene Schritt zu wagen. Mutter und Vater sind stolz, wenn ihr kleiner Liebling die ersten Worte spricht, die ersten Schritte geht und allmählich fähig wird, selbständig aus der Tasse zu trinken und aufs Töpfchen zu gehen. Zum Kummer der Eltern bringt die sich entwickelnde Selbständigkeit der Kleinen auch unangenehme Nebenwirkungen mit sich. Die Kinder wollen unbedingt alles selber tun. Sie widersetzen sich zunehmend den Anordnungen der Eltern. Will die Mutter geradeaus gehen, reißt das Kind sich los und läuft zu der Wiese gegenüber, auf der es etwas Interessantes entdeckt hat. Oder es bleibt einfach stehen, ohne ersichtlichen Grund (für die Mutter). Manche schreien und setzen sich auf den Boden. Manchmal tun sie genau das, was die Mutter ihnen verboten hat – und zwar genau deshalb, weil es ihnen verboten wurde.
Jetzt hängt alles davon ab, wie die Eltern auf diese Bestrebungen reagieren. Viele Erwachsene reagieren allergisch, manchmal auch hilflos, auf den wachsenden Widerstand ihrer Kinder. Da hat man nun monatelang eigene Interessen zurückgestellt, hat auf Kneipen- und Theaterabende verzichtet, im Kino war man schon lange nicht mehr, die Freunde kennt man nur noch von ihrer Telefonstimme her – statt Dankbarkeit zeigen die Kleinen jedoch Unwillen und Trotz. Wie selten sind die Momente, da einem der Sohn oder die Tochter mit leuchtenden Kinderaugen entgegenkommt! Viel häufiger sind Schmollen, Geschrei und stures Unverständnis für die Anordnungen der Eltern, die doch nur das Beste wollen. Tolerante Mütter und Väter trösten sich mit der Feststellung aus Erziehungsratgebern, daß die Kleinen es noch nicht besser wissen können und die Trotzphase vorübergehen wird. Sie hoffen, daß ihre Sprößlinge im Laufe der Zeit „vernünftig werden“. Dennoch mischt sich Neid in ihre Nachsicht, wenn sie bei Freunden „gut erzogene“ Kinder erleben: Kinder, die nur dann das Wort an Erwachsene richten, wenn sie dazu aufgefordert werden; Kinder, die nicht über Tische und Bänke gehen, wenn der Besuch da ist, sondern die ganze Zeit still auf ihren Plätzen sitzen und schweigend geradeaus schauen, während die Erwachsenen ungeniert über die Vorzüge und Schwächen ihrer Kinder reden, als handele es sich um den neuesten CD-Spieler und nicht um kleine Persönlichkeiten; Kinder, die ohne Quengelei brav zu Bett gehen, wenn die Eltern sagen, daß es zwanzig Uhr ist, und dort nicht einmal mehr miteinander flüstern, sondern sofort einschlafen.
Sogar die aufgeklärtesten Eltern bevorzugen „brave“ Kinder. Die Tatsache, daß diejenigen, die schon in den ersten Lebensjahren durch widerspruchslose Folgsamkeit auffallen, sich auch später mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Duckmäusertum und Passivität auszeichnen werden, tritt nur selten ins Bewußtsein. Selbst Eltern, die über diese Zusammenhänge Bescheid wissen, neigen dazu, sie zu verdrängen, denn artige Kinder sind pflegeleicht, bequem und vor allem vorzeigbar. Sie sind ein vorzügliches Mittel, um Freunde und Verwandte neidisch zu machen. Wer folgsame Kinder hat, gilt als fähiger Erzieher und wird von anderen um Rat gefragt. Dabei vergessen wir nur allzu leicht, daß Kindern, die ihren Eltern keinen Widerstand entgegensetzen, eine wichtige soziale Erfahrung fehlt, die sie im späteren Leben dringend benötigen, um sich in unserer Wettbewerbsgesellschaft durchzusetzen. Um unabhängig zu werden, um ihre eigenen Interessen herauszufinden und zu realisieren, müssen sie erst einmal lernen, sich gegen die Personen in ihrer Umgebung zu behaupten. Und das sind zunächst die Eltern, die Geschwister, die Großeltern und eventuell die Erzieher aus der Kindertagesstätte. Soll sich ein Kind später erfolgreich gegen Konkurrenten, den Chef oder auch nur dominante Persönlichkeiten aus dem Freundeskreis zur Wehr setzen können, muß es seine eigene Widerstandsfähigkeit erproben dürfen.
Wenn Kinder erleben, daß Widerspruch, Streit und Geschrei mit Hausarrest, Entzug der elterlichen Gunst oder gar Schlägen bestraft werden, gewöhnen sie sich daran, den offenen Konflikt zu umgehen. Auch als Erwachsene werden sie weiter dazu neigen, Konfrontationen auszuweichen und sich im gleichen Moment zu ärgern, daß sie es nicht wie glücklichere Zeitgenossen schaffen, ihre Wünsche durchzusetzen.
Wir tragen alle solche Bürden aus der eigenen Kindheit. Subjektiv, das heißt in unserem Bewußtsein, zeigen sich die Folgen in mehreren Formen:
- Als Hemmungen. Der eine traut sich nicht, fremde Menschen anzusprechen und in ein Gespräch zu verwickeln. Der andere ist zu höflich, seinem Nachbarn, der ihn zum wiederholten Male bittet, seine Blumen, Haustiere oder Kinder zu beaufsichtigen, ein klares Nein entgegenzusetzen. Der dritte fühlt sich zu einer Person des anderen Geschlechts hingezogen, wagt es aber nicht, ihr seine Gefühle zu gestehen. Kaum einer von ihnen kann sich erinnern, wie die Eltern ihn bestraften, als er sich in ihr Gespräch einmischte oder als er auf einige ihrer Forderungen mit einem trotzigen „Nein“ reagierte. Auch deren abweisende Reaktion auf plötzliche Gefühlsausbrüche ist längst vergessen. Nur in unserem Ausweichen vor vergleichbaren Situationen ist ihr damaliges Verhalten noch gegenwärtig.
- Als Scheu vor dem Risiko. Die wenigsten von uns haben in ihrem Leben die Bekanntschaft wirklicher Gefahren gemacht. Kaum jemand hat tatsächlich einmal sein Leben riskiert. Dennoch rechnen wir mit allen möglichen und unmöglichen Katastrophen und versuchen, Vorkehrungen zu treffen. Eine große Geschäftsbranche, das Versicherungswesen, lebt von unserem Bedürfnis nach Sicherheit. Wenn wir in unserem Haus Alarmanlagen sowie einbruchsichere Fenster und Türen installieren, verringern wir das Risiko, ausgeraubt zu werden, auf ein Minimum. Ob unsere Furcht allerdings berechtigt war, ob ohne diese teuren Anlagen jemals ein Spitzbube durch unser Fenster gestiegen wäre, werden wir nie erfahren. Aber während wir bei der Sicherung unserer Häuser und Autos auf Statistiken und die Bestimmungen der Versicherungsgesellschaften verweisen können, sind wir bei dem Umgang mit anderen Menschen auf Vermutungen angewiesen. Wer sich scheut, seinen Mitmenschen offen die Meinung zu sagen, wird nie erfahren, ob sie zornig, betroffen oder gar dankbar reagieren. Und er wird nie lernen, erfolgreich und fair zugleich zu kämpfen.
- Als Minderwertigkeitskomplexe. Jede Bestrafung ist ein Schlag gegen die Selbstsicherheit des Kindes. Am Anfang tritt das Kind seinen Mitmenschen mit unbefangener Neugier gegenüber. Es stellt viele Fragen und äußert seine Wünsche, ohne sich vorher zu überlegen, ob es ein Recht dazu hat oder nicht. Die Eltern greifen in den Erkundungsdrang der Kinder durch Beschränkungen ein: „Sei nicht so vorlaut!“ – „Das tut man nicht!“ – „Störe Vati nicht!“ Kinder merken an diesen Antworten, daß sie nicht voll akzeptiert werden. Sie verinnerlichen das Gefühl, unzulänglich zu sein. Schon Alfred Adler, einer der prominentesten Schüler Sigmund Freuds, wußte, daß wir Menschen dazu neigen, die entstehenden Selbstzweifel zu kompensieren – entweder indem wir auf einem Spezialgebiet überdurchschnittliche Fähigkeiten erwerben oder durch beruflichen Aufstieg oder eine politische Karriere Unsicherheit in unserem Selbstwertgefühl zu kaschieren suchen. Auch die Flucht in die Neurose kann ein Weg sein, mit Minderwertigkeitskomplexen fertig zu werden.
Wenn es auch möglich ist, Kindern die offene Äußerung von Widerspruch abzuerziehen, so bleiben ihnen viele Wege, ihn indirekt zu artikulieren. Wer schon einmal beobachtet hat, wie Kinder, die sich unbeobachtet glauben, plötzliche Wutanfälle an Puppen oder Plastikautos auslassen, bekommt einen Einblick in die Abgründe, die in der kindlichen Seele lauern. Andere lernen, ihre Wünschen mit Quengelei, Schmollen und Weinerlichkeit durchzusetzen. Auch allgemeine Interesselosigkeit in der Schule oder leichte Anfälligkeit für Krankheiten trotz einer normalen Konstitution können Alarmzeichen sein.
Die Psychologie hat nachgewiesen, daß Kinder, die Verbote und Gebote nicht widerspruchslos hinnehmen, sondern das Risiko des Selbstausprobierens auf sich nehmen, sich auch im späteren Leben erfolgreicher durchsetzen. In einer Untersuchung der Berliner Humboldt-Universität, an der einer unserer Autoren beteiligt warm konnte dieser Zusammenhang anhand der Lebensläufe der befragten Personen bestätigt werden. Wir befragten ehemalige DDR-Bürger, die in ihrem Leben einem hohen Anpassungsdruck an vorgegebene Karrieremuster ausgesetzt waren. Trotz gesellschaftlicher Zwänge hatten von unseren Befragten diejenigen eine bessere Position erreicht und einen verantwortungsvolleren Beruf ausgeübt, die eine konfliktreichere Kindheit erlebt und unorthodoxe Lebensläufe eingeschlagen hatten. Umgekehrt fanden wir: Wer eine durchschnittliche Kindheit ohne Höhen und Tiefen durchlebt hatte, war im späteren Leben in untergeordneten Positionen geblieben und beklagte nicht selten, daß sich seine Lebenspläne nicht verwirklicht hätten.
Trotz der frühkindlichen Prägung ist mangelndes Selbstbewußtsein kein unkorrigierbares Schicksal. Die Ängste und Konfliktvermeidungsstrategien wurden erlernt – und das bedeutet, sie können auch wieder verlernt und durch sicheres Verhalten ersetzt werden. Ein solches Selbstlernprogramm stellen wir in der nächsten Ausgabe vor. Lesen Sie dann:
Ein Lernprogramm für mehr Vertrauen in sich selbst
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