Wir alle haben Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut – was wir aber mit diesen Sinnen für Informationen aufnehmen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob wir Mann oder Frau sind. So mancher Verhaltensunterschied erklärt sich daraus, daß wir die Welt mit unterschiedlichen Augen betrachten.
Stellen Sie sich vor, Sie schenken zu Weihnachten einem Vorschulkind Holzbausteine, um ein Haus zu errichten – einmal einem Jungen, ein andermal einem Mädchen. Sind die Kinder im richtigen Alter, werden beide anfangen, das gewünschte Bauwerk zu errichten. Doch beobachten Sie, was dann geschieht. Der Junge wird versuchen, sein Haus immer perfekter und höher zu bauen, es mit anderen Bausteinen zu kombinieren oder eine Stadt herum zu konstruieren. Das Mädchen holt dagegen Puppen und Stofftiere heran, um das Haus mit Leben zu bevölkern.
Lange Zeit glaubten die Wissenschaftler, das sei allein eine Folge der Erziehung. Jungen würden an Technik und Mädchen an Puppen herangeführt. Das stimmt zwar, aber nur weil Mädchen von Natur sensibler für Zwischenmenschliches sind, Jungen dafür aber ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen besitzen.
Sehen: der optische Sinn ist beim Menschen der wichtigste. Rund 80 Prozent der Sinnesdaten, die unser Gehirn verarbeitet, erreichen uns über die Augen. Der Unterschied der Geschlechter kann nicht in der Schärfe der Augen liegen, denn Brillenträger gibt es überall. Aber aus den Millionen von optischen Daten, die jede Minute unsere Netzhaut erreichen, werden nur wenige Prozent über den Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet, die übrigen fallen einer Vorauswahl zum Opfer – und in dieser Vorauswahl liegt der Unterschied.
Da die Erbinformationen für die Farbrezeptoren im Auge auf dem X-Chromosom liegen und Frauen zwei davon haben, nehmen Frauen Farben im allgemeinen differenzierter auf. Wegen dieses Erbunterschieds kommt zum Beispiel die Rot-Grün-Farbblindheit fast nur bei Männern vor. Doch auch gesunde Männer haben Schwierigkeiten Unterschiede von Orange und Rosa oder Abgrenzungen (z.B. von Grün – Türkis – Blau) einigermaßen sicher zu erkennen.
Männer sind dagegen in der räumlichen Orientierung überlegen. Daß Frauen die größeren Probleme mit dem Rückwärts-Einparken haben, wurde schon oft beschrieben. Männer prägen sich Wege ein, indem sie sich Richtungen merken. Frauen haben dagegen mit Landkarten Probleme – vor allem, wenn sie nicht nach Norden fahren, also so, wie die Karte gezeichnet ist – erkennen Wege aber wieder, wenn sie sich konkrete Orientierungspunkte gemerkt haben. Was Frauen besser können: verschiedene räumliche Tätigkeiten miteinander koordinieren, zum Beispiel mit einer Hand die Zähne putzen, mit der anderen einen Spiegel sauberrubbeln. Der Grund: im weiblichen Gehirn ist der Corpus callosum (der Balkenkörper, der rechte und linke Hirnhälfte verbindet) bis zu 30 Prozent dicker.
Ein weiterer Unterschied: Männer haben eine bessere Tiefensicht, also eine bessere Wahrnehmung der dritten Dimension. Frauen haben hingegen den besseren Blick für Einzelheiten im Nahfeld. Das ist auch die Quelle der berühmten weiblichen Intuition. An Nuancen der Körpersprache erkennen Frauen die Befindlichkeit ihrer Mitmenschen und entlarven Schwindeleien eher als Männer. Bekanntlich können Männer ihre Affären viel schwerer verheimlichen als Frauen. Der mangelnde Blick für Details, gekoppelt mit männlichem Wagemut ist schuld daran, daß Männer viel öfter verunglücken als Frauen. Schon bei Kindern geraten die Mädchen nur halb so oft unter Autos, wenn sie die Straße überqueren. Bei den Erwachsenen setzt sich die stärkere männliche Gefährdung fort. Eine neue Studie der Universität von Michigan zeigt, daß besonders in Städten lebende Männer ein bis zu 62 Prozent höheres Todesrisiko haben.
Hören: Von frühester Kindheit an sind Mädchen den Jungen sprachlich überlegen. Das zeigt sich nicht nur im Wortverständnis, sondern auch im Gehör für Tonfall und Lautstärke. Weibliche Babys reagieren doppelt so empfindlich auf laute Geräusche als kleine Jungen. Später findet man auf Heavy-metal-Konzerten hauptsächliche männliche Fans, den meisten Mädchen ist die Musik zu laut und zu wenig differenziert.
Der einzige Hörbereich, wo Männer besser abschneiden, ist das Erkennen der Richtung, aus der ein Geräusch eintrifft. Ansonsten ist Hören keine männliche Domäne. Daß Männer nicht zuhören, ist schon fast zum Klischee geworden. Das hat nicht nur mit mangelndem Interessen an Beziehungen zu tun. Akustische Informationen haben für sie keinen hohen Stellenwert. Im Kino stellen Männer in Actionfilmen, die von aufregenden Bildern leben, die Mehrheit der Zuschauer. Dialoge gibt es kaum, die meisten Töne stammen von Explosionen und Zusammenstößen. Frauen sind in der Überzahl in Filmen, in denen optisch weniger passiert und die Spannung in den sprachlich ausgetragenen Konflikten der Haupthelden liegt.
Geruch: Frauen lieben Blütenduft und Parfüms. Ihr Geruchssinn ist empfindlicher als der der Männer und ist stärker mit ihrer Gefühlswelt verbunden. Einige Geruchswahrnehmungen sind spezifisch. Besonders in der Zeit um den Eisprung sind Frauen sensibel für Pheromone und andere männliche Substanzen, die sie wahrnehmen ohne einen beschreibbaren Geruch zu erkennen. Das heißt, sie finden einen Mann, dessen Eigengeruch auf ein passendes Immunsystem hinweist, sympathisch. Gefragt, was sie gerochen haben, antworten sie jedoch: „Nichts.“
Geschmack: Männer reagieren stärker auf salzig und bitter, Frauen stärker auf Süßes. Diese Unterschiede sind jedoch nicht sehr ausgeprägt, erklären aber vielleicht, warum Männer eher auf Bier und herzhaftes Steak, Frauen eher auf Wein, Likör und Schokolade ansprechen.
Berührungen: Die weibliche Haut ist dünner und deshalb im Tastsinn empfindlicher. Schon wenige Tage nach der Geburt reagieren Mädchen nachweisbar sensibler auf Berührungen. Das Mädchen von den Müttern mehr gestreichelt werden, ist eine Folge der Tatsache, daß bei ihnen Berührungen eine stärkere positive Reaktion zeigen. Der Unterschied hat aber auch eine hormonelle Komponente. Das Hormon Oxytocin, das Berührungs- und Bindungsbedürfnisse auslöst, wird in erster Linie bei Frauen gebildet, da es beim Stillen eine wichtige Funktion hat.
Lesetip:
Allan & Barbara Pease: Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Ullstein Taschenbuch, München 2000, DM 16,90.
Veröffentlicht im Oktober 2000 © by www.berlinx.de
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