Über­all neben der Endung „–er“ auch das weib­liche „–in“ zu  nennen, das war eine Zentral­forderung der femini­stischen Bewe­gung. 2001 wurde sie für amt­liche Schre­iben im Gleich­stellungs­gesetz ver­ankert. Was hat der Sieg den Frauen gebracht?

Vater und Sohn fahren gemein­sam im Auto und verun­glücken schwer. Der Vater stirbt noch am Unfall­ort. Der Sohn landet schwer ver­letzt in der Unfall­chirurgie. Eilig wird alles für die lebens­rettende Not­operation vor­bereitet. Aus der Bereit­schaft wird ein Chirurg herbei­gerufen. Nach einem Blick auf den Patienten der erschrockene Aufschrei: „Das ist ja mein Sohn!“

Wie ist diese Geschichte möglich, nachdem der Vater gerade am Unfallort gestorben war? Haben Sie sofort erkannt, dass „der“ Chirurg seine Mutter ist? Wenn nicht, sind Sie ein Beweis für die Notwendigkeit einer weiblichen Sprachreform. Neben den Chirurg tritt gleichberechtigt die Chirurgin, neben den Arzt die Ärztin.

Der Sprachalltag hat allerdings seine Schwierigkeiten mit dieser Forderung. Das lehrt ein Blick in entsprechende Texte: „Der Abteilungsleiter/die Abteilungsleiterin ist über alle Beschwerden der Kollegen/Kolleginnen, Außen­mitarbeiter/Außen­mitarbeiterinnen bzw. Kunden/Kundinnen zu informieren.“ Ein unerschöpfliches Material für Satiriker – und –innen! Außer der durch Schrägstrich getrennten Nennung beider Geschlechter sind in erster Linie folgende Formen ausprobiert worden:

  • Nur beide Endungen durch Schrägstrich trennen: „Jäger/-in“
  • Eingeklammerte Form: „sein(e) Mitarbeiter(in)“
  • Großbuchstabe in Wortmitte: „BürgermeisterIn“
  • Nichtnennung durch Passivkonstruktion: „Es wurde geschrieben, dass …“ (statt: „Ein Schüler oder eine Schülerin schrieb, dass …“)
  • Entschuldigung für traditionellen Sprachgebrauch. Am Anfang des Textes steht eine Generalentlastung der Autoren: „Wegen der besseren Lesbarkeit haben wir durchgängig die männliche Sprachform verwendet. Doch es sind immer Frauen und Männer gemeint.“

 

Außerhalb von amtlichen Texten sind daher die Autoren – und ebenso die Autorinnen – wieder von der doppelten Geschlechter­nennung abgekommen. Verständnistests mit Frauen und Männern an Texten zeigen, dass das Problem unseres Ausgangsbeispiels sich nicht geändert hat. Beide Geschlechter neigen dazu, bei einer Berufsbezeichnung wie „der Chirurg“ in erster Linie an einen Mann zu denken. Was aber ist Ursache, was Wirkung?

Für Feministinnen ist die Sache klar. Ein frauendiskriminierender Sprachgebrauch trägt die Schuld. Wolfgang Klein, Leiter des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik, argumentiert in einem Beitrag der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ umgekehrt. Die Doppelnennung habe den Sexismus verschärft. Früher schloss die Berufsbezeichnung automatisch beide Geschlechter ein. Heute, wo Frauen ausdrücklich genannt werden sollen, erwarten wir erst recht, dass ein „Professor“ ein Mann ist, da ein weiblicher Professor „Professorin“ heißen muss.

Doch wie berechtigt ist der Vorwurf überhaupt? Wie frauen­feindlich ist die deutsche Sprache? Die Grammatik kennt ein so genanntes generisches Maskulinum. Das sind Wörter wie „ (der) Gast“ oder „(das) Mitglied“, die keine gesonderte weibliche Form kennen. Am bekanntesten ist die Endung –er. Sie dient ursprünglich dazu, soziale Rollen zu bezeichnen. Das gilt für den Gärtner oder den Vater, aber auch für Schwester und Mutter – also auch für weibliche Rollen. Während man aus dem anderen Geschlecht im Falle des Gärtners leicht eine Gärtnerin machen kann, ist das bei der Krankenschwester nicht so einfach. Der männliche Beruf ist kein Krankenbruder, sondern ein Krankenpfleger.

Die weibliche Endung (–in) kam erst in der Neuzeit auf. Die englische Sprache hat diesen Umschwung nicht mitgemacht. Dort ist es nicht üblich, den „doctor“ oder „teacher“ sprachlich zu verweiblichen. Nur einige Ausnahmen erlauben dort eine Differenzierung nach französischem Sprachmuster. „Mister“ und „mistress“ sind üblich. Andere sind möglich, aber selten gebraucht: Zu „hunter“ (Jäger) kann die weibliche Form „huntress“ gebildet werden. Aber in ihrem Song über eine Jägerin singt die Gruppe Jethro Tull lieber von einem „hunting girl“.

Kein Wunder, dass dabei gelegentlich Nonsens herauskommt. Zum Beispiel durch die Doppelbedeutung von „man“, was „Mann“, aber auch „Mensch“ bedeuten kann. Ein typischer Beispielsatz, den englische Feministinnen gern ins Feld führen: „The man ist an animal that suckles his children.“ Zu deutsch: „Der Mensch ist Tier, das seine Kinder säugt.“ Wird „man“ mit „Mann“ übersetzt, wird der Satz absurd.

Auch im Französischen gibt es diese Doppelbedeutung: „Homme“ steht für „Mann“ oder „Mensch“. Dort dient die Art der weiblichen Bezeichnung sogar der Feinabstimmung innerhalb der Hierarchie. Eine Direktorin heißt „direktrice“ – wenn sie Chefin auf einer mittleren Ebene ist. Die oberste Chefin würde sich eine solche Titulierung verbitten. Sie lässt sich mit „Madame le Directeur“ anreden, „Frau Direktor“.

Das Fazit lautet: Das Problem männlicher Bevorzugung in der Sprache besteht. Über viele Jahrhunderte war Deutschland eine patriarchalisch organisierte Gesellschaft, und das spiegelt sich auch in der Sprache. Aber das lässt sich nicht durch eine verordnete Sprachreform beheben. Die Gesellschaft muss sich ändern. Dann ändert sich mit ihr das Verständnis der Sprachformen. Das zeigt auch unsere Sprache. Die weibliche Endung –in ersetzt ja nicht das –er, sondern wird hinzugefügt. Sie nennt sich „Meisterin“, nicht „Meistin“. Damit wirkt das Weibliche wie eine angehängte Zusatzqualifikation. Die Gesellschaft entscheidet, ob sie diese weiblichen Qualitäten als Zusatzgewinn oder –makel bewertet. Denn was nutzt es, dass ein weiblicher Chef ausdrücklich „Chefin“ genannt wird, solange diese Chefin als weniger durchsetzungsstark betrachtet wird, weil sie eine Frau ist?

Bis dahin können die Autoren (Autor und Autorin) nur auf behutsamen Sprachgebrauch achten. Nicht alle geschlechtsneutralen Wörter sind männlich. Einige sind sächlich (Mitglied), einige aber auch weiblich, zum Beispiel „Koryphäe“, „Person“ oder Persönlichkeit. Wenn „die bedeutende Persönlichkeit“ ein Er ist, tritt – sprachlich gesehen – der Mann in die zweite Reihe.

Mehr Infos in:
Gisela Klann-Delius: Sprache und Geschlecht – eine Einführung. Metzler Verlag Stuttgart/Weimar 2005, 14,95 Euro.

Veröffentlicht im Mai 2008 © by www.berlinx.de

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