Die seelischen Barrieren beim Abnehmen
„Ich habe alle Diäten ausprobiert und dabei insgesamt mehr als 2000 Kilo abgespeckt“, klagte neulich eine Endvierzigerin mit 140 Kilo Schwergewicht in einem Dokumentarfilm über Übergewichtige. Kein Wunder: der Schlüssel zu dauerhaftem Schlanksein liegt nicht im Kalorienzählen, sondern in der Psyche.
Kaliumdiät, Toastdiät, Trenndiät, Eiweißdiät – keine Woche vergeht ohne neue Diätprogramme, die versprechen, daß Sie ohne Mühe, ohne Hungern und mit leckeren Rezepten in zehn Tagen mindestens zehn Pfund abnehmen werden: Und zwar garantiert! Wie gut für die Verfasser, daß diese Versprechen juristisch nicht eingeklagt werden können. Denn nur fünf Prozent aller begonnenen Diäten erzielen das erwartete Ergebnis. In mehr als zehn Prozent der Fälle wiegen die Leute hinterher mehr als vorher.Liegt das nur an mangelnder Disziplin? Da es immer einige Glückliche gibt, die es schaffen, neigen die Versager dazu, sich selbst zu beschuldigen statt die Diäterfinder. Ihr einziger Fehler liegt aber in der Leichtgläubigkeit. Diäten finden deshalb so viele Anhänger, weil sie nicht nur ein begehrtes Gut versprechen – Schlanksein auf Dauer – sondern in aller Regel auch schnelle Anfangserfolge erzielen. Jeder, der anfängt, weniger zu essen, oder radikal seinen Speiseplan umstellt, wird zunächst einige Pfund abnehmen. Überschüssiges Wasser der Zellen und Nährstoffreserven im Blut und den Muskeln werden verbraucht. Außerdem entleert sich in diesen Anfangstagen der Darm stärker als daß verdaute Nahrung zugeführt wird. Das bringt (je nach Gesamtgewicht) zwei bis fünf Kilo weniger. An der festen Körpersubstanz hat sich jedoch überhaupt nichts verändert. Nach einigen Tagen, wenn der Körper sich auf die veränderte Nahrungszufuhr umgestellt hat, werden die Zucker- und Wasservorräte der Zellen wieder aufgefüllt und das Körpergewicht erhöht sich wieder. Bevor der Körper tatsächlich anfängt, seine Fettdepots abzubauen, versucht er erst einmal, die Diätnahrung besser auszunutzen. Folge: der berühmte Jo-jo-Effekt.Jeder Diäterfinder kann Kunden zitieren, die mit seinem System erfolgreich ihr Gewicht reduziert haben. Doch jeder müßte, wenn er ehrlich ist, zugeben, daß er mindestens zehn mal soviel Versager in seine Spur gelockt hat – die wohlweislich verschwiegen werden. Die unausweichliche Schlußfolgerung lautet: Wenn einige erfolgreich abnehmen, dann nicht wegen, sondern trotz der Diät. Sie waren der Auslöser, um von alten Ernährungssünden Abschied zu nehmen.Diäten sind im günstigsten Fall harmlos. Oft ziehen sie aber auch Fehlernährung (häufigster Fall: Mangel an bestimmten Mineralien) oder gar erhöhten Hunger nach sich. Letzteres ist zum Beispiel bei Flüssigdiäten der Fall. Die Übergewichtige sollen kalorienarme Getränke zu sich nehmen, und das viele Wasser soll dem Magen eine Sättigung vortäuschen. Zwischen der Mahlzeit und dem Eintritt der Sättigung vergehen bekanntlich etwa zwanzig Minuten. Wasser – das ja nicht verdaut werden muß – hat in dieser Zeit zum großen Teil den Magen schon wieder verlassen, die Sättigung bleibt aus. Statt dessen ist der Magen aber in Tätigkeit versetzt worden. Die Folge: ein nagendes Hungergefühl stellt sich ein.Diäten müssen versagen, weil sie nicht das Grundproblem angehen: Unser heutiges Eßverhalten paßt nicht mehr zu einer Verdauung, die einst in Anpassung an urzeitliche Verhältnisse entstand. Wer auf Dauer schlank sein will, muß seine Nahrungszufuhr seinem tatsächlichen Energiebedarf angleichen. Das bedeutet:· nur soviel essen, daß der reale, körperliche Hunger gestillt wird,· weitgehender Verzicht auf künstliche Nahrung mit hoher Energiedichte,· viel körperliche Bewegung. Nur zu dem zweiten Punkt können Diätrezepte einen gewissen Beitrag leisten, indem sie den Anteil von Obst und Gemüse am Essen erhöhen sowie Süßigkeiten und andere Kalorienbomben aus dem Speiseplan verdammen. Das allein reicht aber in aller Regel nicht aus. Die übrigen Hindernisse sind vorwiegend seelischer Natur. Erst wenn sie gemeistert werden, werden Sie mit dem Abnehmen erfolgreich sein.Wenn Sie nicht aus Hunger essen, sondern weil es der einfachste Weg ist, sich über Frustrationen hinweg zu trösten und sich einen schnellen Genuß zu verschaffen – dann geschieht, was die meisten Diätfreaks genau kennen: Sie essen zwar, was die Diätrezepte vorschreiben – leben aber zwischen den Mahlzeiten nicht kalorienabstinent, sondern greifen immer wieder mal zu einem leckeren Riegel, Keksen oder einem Doppel-Whopper.Wenn Sie sich einfach zu wenig körperlich anstrengen, senken sie möglicherweise Ihre Kalorienzufuhr, nehmen aber trotzdem nicht ab. Ihr Körper verbraucht nicht genug Energie, um seine Fettreserven angreifen zu müssen. Sie erreichen nur, daß sie nicht weiter oder nicht so stark wie früher zunehmen.Wer schlank werden will – das ist lange bekannt – muß seine Gewohnheiten umstellen, und zwar nicht nur für einige Wochen, sondern für immer. Das bedeutet:Wenn Sie sich eine Belohnung oder einfach einen Genuß gönnen wollen: verschaffen Sie sich dieses angenehme Erlebnis niemals durch Essen. Lesen Sie ein schönes Buch, gehen Sie ins Kino oder einfach nur spazieren. Auch Langeweile sollte nicht in Restaurants oder am Kühlschrank überbrückt werden. Wenn Sie essen, sollten Sie es natürlich mit Genuß tun. Das ist bekömmlicher als i Hinunterschlingen. Aber Sie wissen auch: Dingen, an denen man Genuß findet, gibt man sich häufiger, ausgiebiger und in größeren Mengen hin.Richten Sie Ihre Willenskraft nicht nur aufs Nicht-Essen. Das führt am Ende dazu, daß Sie nur noch über Essen und Nicht-Essen nachdenken, ein häufiger Grund, sich nach Tagen der Entbehrung aus Verzweiflung über die lang entbehrte Lieblingsspeise herzumachen. So manche Bulimie hat so begonnen. Suchen Sie sich rechtzeitig Hobbys, denen Sie statt dessen nachgehen. Aus psychologischen Gründen fällt es dem Menschen viel leichter, sich etwas Neues anzugewöhnen als auf eine alte Gewohnheit ersatzlos zu verzichten. Wenn Sie sich nachmittags an Kaffee und Kuchen gewöhnt haben, meiden Sie in Zukunft die Kantine, wo Sie beides zu sich nahmen und spazieren statt dessen eine Runde ums Haus. Gegen den Hunger essen Sie einen großen Apfel. Nach zwei Wochen werden Sie sich so daran gewöhnt haben, daß die neue Gewohnheit nicht mehr als Verzicht erscheint.Stellen Sie Ihre Ernährungsgewohnheiten allmählich, aber dauerhaft um. Die einfachste Methode: Halbieren Sie Ihre Mittags- und Abendmahlzeiten, essen Sie aber eine halbe Stunde vorher zwei Stück Obst oder Gemüse. Dann haben Sie zum Zeitpunkt des Essens keinen Heißhunger mehr und werden durch das kleinere Mahl satt. Sorgen Sie nach und nach dafür, daß Ihre Mahlzeiten zu mehr als der Hälfte aus Obst, Gemüse, leichten Milch- und Vollkornprodukten bestehen.Mäßig, aber regelmäßig Sport treiben. Selbst wenn Sie schon als Kind kein sportliches Geschickt hatten – ein paar Minuten Joggen kann jeder Untrainierte. Aufs Tempo kommt es nicht an. Jeder, der läuft, egal wie schnell, verbraucht 600-700 kcal pro Stunde. Das klingt zunächst nicht viel, wenn man bedenkt, daß Sie 7725 kcal verbrauchen müssen, um ein Kilo Körpergewicht zu verlieren. Sie müßten knapp zwölf Stunden laufen für ein Kilo weniger. Bei zwei Stunden Sport die Woche – lockeres Traben oder flottes Radfahren genügen – könnten Sie aber in einem Jahr zehn Kilo abnehmen, ohne Ihre Nahrungsgewohnheiten zu verändern. Wenn Sie vom Joggen nichts halten: Radfahren, Inline-Skaten, Schwimmen oder Traning im Fitness-Studio tun es auch. Vorteil für Übergewichtige: Je schwerer Sie sind, desto mehr nehmen Sie ab.Überprüfen Sie alle Beschäftigungen, die zum Nebenbei-Naschen verleiten. Am häufigsten verführt das Fernsehen zum Knabbern von Nüssen, Schokolade und Gebäck. Wenn Sie absolut nicht fernsehen können, ohne etwas nebenbei zu tun: Versuchen Sie es mal mit stricken oder basteln statt naschen. Noch besser: die Kiste ausschalten und ein gutes Buch lesen. Oder im Internet surfen.Verkünden Sie Ihren Mitmenschen, wieviel Sie in welcher Zeit abnehmen wollen und wie Sie das erreichen wollen. Indem Sie sich der Beobachtung aussetzen, erhöhen Sie Ihren Durchhaltewillen.Wenn Konflikte, Enttäuschungen, Frustrationen oder andere seelische Probleme Sie verleiten, Trost in schmackhaftem Essen zu suchen, sprechen Sie sich aus, am besten bei einer guten Freundin, die bereit ist, Ihnen ein, zwei Stunden zuzuhören. Wenn das nicht genügt, suchen Sie professionelle Hilfe. Das wird am Ende billiger und sinnvoller sein als die vergeblichen, teuren Diäten.
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