Wie Sie Widerstand in Zustimmung umwandeln

Sie haben die besten Argumente, aber ihr Gesprächs­partner lässt sich einfach nicht überzeugen. Je schwerer die Geschütze, die Sie auffahren, um so hartnäckiger beharrt er auf seiner Meinung. Egonet erklärt, wie Sie diese Hürde überwinden.

Anja und Peter streiten sich seit Stunden. Es fing mit seinen herum­liegenden Socken und ihrer mürrischen Laune an. Am Ende landeten sie bei Grund­sätzlichem – seinem chaotischen Charakter und ihrer hysterischen Persön­lichkeit. Statt ihre Probleme zu klären, ist alles noch schlimmer geworden. Beiden stehen der Ärger und die Hilflosigkeit ins Gesicht geschrieben. Ist ihre Liebe am Ende?

Nach einigen Tagen Abstand fragen sich die beiden: Lohnte es sich, wegen ein paar Socken und einem Anflug schlechter Laune so einen Aufstand zu machen? Leider fällt es während eines Streits schwer, zu dieser vernünftigen Einsicht zu gelangen. Je mehr der Partner uns kritisiert, desto weniger sind wir bereit, ihm entgegen zu kommen. Ich soll die Socken wegräumen? Jetzt lasse ich sie erst recht liegen. Ich lächle gern, aber wehe, er fordert mich auf: „Ich verlange, dass du lächelst, wenn ich nach Hause komme!“

Eine Kritik anhören ohne sich zu verteidigen? Schließlich gilt es, das Gesicht zu wahren! Bestenfalls sind wir zu einem „Ja, aber …“ bereit. Das „Aber“ wird der Kritiker mit einem Gegen-„Aber“ beantworten. Schon ist die Streit­spirale in Gang gekommen

Diese voraus­sehbaren Ablauf können Sie sich zunutze machen. Steigen Sie aus dem Spiel von Argument und Gegen­argument aus. Statt zu widersprechen, übertreiben Sie das Argument Ihres Gegenüber bis ins Extrem und stimmen zu. So extrem hat er es aber nicht gemeint. Nun ist er auf einmal gezwungen, seinem ursprüng­lichen Stand­punkt zu wider­sprechen. So erlangen Sie am Ende doch noch die Zustimmung, die Sie auf direktem Weg nicht erreichten.

Wir stellen Ihnen drei Varianten dieses Gesprächs­taktik vor:

Zuspitzen. Peter sagt gerade: „Wegen ein paar Socken! Am Wochen­ende räume ich auf.“ Statt zu erwidern, dass die Socken schon über drei Wochen dort liegen, antwortet Anja: „Was hältst du davon, wenn wir beide ab heute überhaupt nichts mehr aufräumen?“
Peter: „Was soll das jetzt?“
Anja: „Wir räumen die Sachen mühsam in den Schrank und müssen sie doch demnächst wieder herausholen. Wenn wir alles draußen liegen lassen, sparen wir uns viel Arbeit und sehen immer gleich, wo sich unsere Sachen befinden. Erinnere dich, als Studenten haben wir es oft so gemacht.“
Peter: „Ich bin doch kein Chaot! Meine Mutter würde in Ohnmacht fallen, wenn Sie das nächste Mal zu Besuch kommt.“
Anja: „Hier ist nicht der Haushalt deiner Mutter. Hauptsache, wir fühlen uns wohl, oder?
Peter: „Eben. Würdest du dich wohl fühlen, wenn unsere Klamotten den Teppich blockieren?“
Anja: „Sieh mal, wenn ich zu deinen Socken jetzt noch meine dazu lege …“

Je mehr Anja Peters Position einnimmt und zwar zu 150 Prozent, desto mehr rudert Peter zurück. Am Schluss verteidigt er Anjas ursprüng­lichen Stand­punkt. Jetzt braucht sie nur noch mit einem „Na schön, wenn du meinst“ zustimmen, und er hat das Gefühl, die Auseinander­setzung gewonnen zu haben.

Wörtlich verstehen. In der Hitze des Gefechts neigen wir dazu, Grund­sätzliches in Frage zu stellen. Zum Beispiel, ob die Beziehung am Ende ist. Das tun wir, weil wir davon ausgehen, dass der Partner erschrickt und einlenkt. Wir testen damit auch, wie viel dem anderen eine Einigung mit uns wert ist. Überraschen Sie ihn. Denken Sie laut über seinen Vorschlag nach, indem Sie ihn wörtlich nehmen.
Peter sagt gerade: „Wenn dir das nicht passt, suche ich mir am besten eine eigene Wohnung.“ Statt zu jammern „Du liebst mich nicht“, antwortet Anja: „Wenn ich dich richtig verstehe, möchtest du deinen Socken ein eigenes Heim einrichten.“
Peter: „Quatsch. Aber wenn ich nach Hause komme, möchte ich in ein freundliches Gesicht schauen.“
Anja: „Dann hätte ich eine Wohnung, in der mein Gesichts­ausdruck niemanden stört. Da ich in meinen Job schon den ganzen Tag Kunden anlächeln muss, egal, wie unverschämt sie mir kommen.“
Peter: „Ich bin also auch nur irgendein Kunde für dich.“
Anja: „Im Gegenteil. Ich möchte, dass du dich wohl fühlst. Bei einem Kunden wäre mir das egal. Doch du fühlst dich besser, wenn du mich abends nicht sehen musst.“
Peter: „Das stimmt doch gar nicht …“

Wieder ist der Punkt erreicht, wo Peter seinem ursprün­lichen Argument widerspricht. Jetzt kann sie wieder vorschlagen, ihre eigenen Strümpfe dazuzulegen – bis Peter einsieht, dass Ordnung durchaus ihre guten Seiten hat.

Überraschung! Die meisten Auseinander­setzungen haben einen vorher­sehbaren Ablauf. Er behauptet etwas. Sie wider­spricht mit einem Gegen­argument. Er bekräftigt seinen Standpunkt. Sie widerspricht noch nachdrücklicher. So schaukelt sich der Streit hoch. Steigen Sie aus, indem Sie das Gegenteil des Erwarteten tun. Zum Beispiel, indem Sie zustimmen, aber dabei schrecklich übertreiben.

Peter sagte gerade wie in Fall 1: „Wegen ein paar Socken! Am Wochenende räume ich auf.“ Anja antwortet diesmal: „Du hast recht. Ich bin eine schreckliche Pedantin.“
Peter: „Na ja, manchmal schon.“
Anja: „Ich werde mich bessern. Als erstes werfe ich meine ganzen Klamotten dazu.“ Sie tut es. „So bleibt es, bis ich gelernt habe, mich darin wohl zu fühlen.“
Peter: „Jetzt übertreibst du aber …“

Und wieder ist es nun an Peter zu zeigen, dass ein Mindest­maß an Ordnung durchaus seine guten Seiten hat.

Was geschieht, wenn Peter Anjas Provokation freude­strahlend akzeptiert? Wenn er sich zwischen Kleidungs­haufen auf dem Fußboden wohlfühlt?

In diesem Fall hätte Anja eine lang verborgene Seite ihres Liebsten kennen­gelernt. Sie weiß jetzt, woran sie mit ihm ist und kann nun prüfen, ob Sie sich in einer derart „lockeren“ Beziehung auf Dauer wohl fühlen wird. Das ist immer noch besser, als wenn Peter seine dunkle Seite über Jahre verborgen hält und irgend­wann ausbricht, weil sein Freiheits­bedürfnis über­mächtig wird.

veröffentlicht im März 2015 © by www.berlinx.de

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