Nicht Sex und Liebe, son­dern Geld ist die Haupt­trieb­kraft unse­res Lebens. Das beweist nicht nur die Kri­minal­stati­stik. Schon eine klei­ne Än­derung der Ein­kom­mens­ver­hält­nisse kann eu­pho­rische Freu­den­sprünge oder maß­lose Wut aus­lösen.

Diogenes lebte in einer Tonne und führte seinen reichen Mitbürgern vor, wie man ohne Geld fröhlich leben kann. Statt zu arbeiten und Geld zu verdienen, plagte Sokrates seine Mitbürger mit philoso­phischen Fragen. Seneca lobte das einfache, genügsame Leben, hielt sich aber selbst nicht an seine Regeln. Durch die Jahrhunderte pflegten die Philosophen einen Lebens­stil finan­zieller Genügsamkeit. Schopenhauer meinte sogar, darin unterschieden sich Philosophen von der übrigen Menschheit.

Um schonungslos die Wahrheit aufdecken zu können, sagte Schopenhauer, muss ein Philosoph unabhängig sein. Wer als Universitäts­professor vom Staat bezahlt wird, muss auch die Wahrheit so verbiegen, dass sie dem Staat gefällt. Das war ein Seitenhieb gegen Schopenhauers größten Konkurrenten, Georg-Friedrich Hegel, den Erneuerer der Dialektik. Der hatte ab 1818 eine Professur an der neuge­gründeten Humboldt-Universität zu Berlin inne. Tatsächlich behauptete Hegel seit dieser Zeit, ausgerechnet im preußischen Staat habe sich das vernünftige Endziel der Geschichte verwirklicht.

Die meisten Philosophen von Bedeutung lebten finanziell unabhängig. Teils ernährten sie sich von den Einkünften aus ihren Veröffentlichungen – so die französischen Aufklärer Voltaire und Diderot, später Karl Marx und Jean-Paul Sartre. Andere erbten ein kleines Vermögen, das sie sorgfältig einteilten, damit es bis ans Lebensende reichte. Zu ihnen gehörten Epikur, Schopenhauer und Nietzsche.

Epikur dachte im dritten Jahrhundert vor Christus über das Verhältnis von Geld und Glück nach. Er entdeckte dabei einige Regeln, die psycho­logische Studien inzwischen untermauert haben:

  1. Geld macht tatsächlich glücklich. Aber nur bis zu einem bestimmten Maß. Arme sind unglücklicher als Wohlhabende. Genügen die Mittel jedoch, um die Grund­bedürfnisse zu stillen, steigert noch mehr Geld das Glück nicht weiter.
  2. Was Wohlhabende glücklich macht, ist nicht das Geld selbst, sondern sein Zuwachs. Eine unerwartete Gehaltserhöhung lässt uns vor Freude jauchzen, ebenso ein Lottogewinn. Aber schnell tritt Gewöhnung ein. Lotto­millionäre sind nach einem Jahr wieder so glücklich oder unglücklich wie zuvor. Ein Rückfall in das frühere geringere Einkommen würde sie aber unglücklich machen als vorher.
  3. Wichtiger als das absolute ist das relative Einkommen. Also der Vergleich mit dem, was alle anderen verdienen. Wer 2000 Euro verdient, ist glücklich, wenn die Kollegen nur 1500 bekommen. Wer 3000 Euro verdient, ist unglücklich, wenn die Kollegen 4000 bekommen. Obwohl er sich mit 3000 Euro einen höheren Lebens­standard leisten kann als mit 2000.
  4. Wichtiger als Geld ist das „Zusammen­sein mit Gleich­gesinnten“, sagte Epikur. Man findet Freunde unter Leuten, die ähnlich denken, fühlen und leben wie man selbst. Die meisten Menschen gehören zum Mittelstand. Das durch­schnittliche monatliche Netto­einkommen liegt bei ungefähr 1200 Euro. Menschen mit mittlerem Einkommen haben die größte Auswahl an potentiellen Freunden. Arme leben oft sozial isoliert. Reiche haben zwar viele Kontakte, aber wenig echte Freunde von gleich zu gleich. Immer lauert der Verdacht, andere suchten ihre Nähe nur wegen ihres Geldes.

Unser Gesellschafts­system heißt „Kapitalismus“. Schon der Name verrät, dass Geld seine Wirtschaftsbasis ist. „Kapital“ heißt Geld, wenn es unternehmerisch zu Erzeugung von noch mehr Geld eingesetzt wird. Geld dient bei uns also nicht nur zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse. Sondern es ist ein Statussymbol. Wer Geld hat, hat Erfolg.

Das ist auch die Antwort auf die Frage, warum ein Spitzenmanager nicht mit einem Einkommen von einer halben Million im Jahr zufrieden ist. Der Einwand, dass er wohl kaum eine halbe Million im Jahr für sich und seine Familie ausgibt, ist richtig. Aber er geht am Problem vorbei. Wenn der Chef der Deutschen Bank mehr verdient als sein Kollege bei der Commerzbank, sagt er damit: Ich bin der Erfolgreichere von uns beiden.

Nur so ist zu erklären, warum der fünft­reichste Mann Deutschland, Adolf Merckle, seinen Kopf Anfang Januar 2008 auf die Schienen legte und seinem Leben ein grausames Ende bereitete. Er wäre auch nach den Milliarden­verlusten seines Firmen­imperiums nicht verhungert. Aber den Statusverlust – vom Erfolgs­unternehmer zum Bankrotteur – konnte er nicht verkraften. Zumindest eins ist damit bewiesen: Der Verlust von Geld kann sehr, sehr unglücklich machen.

Wir alle brauchen Geld zum (Über-) Leben. Doch die Philosophie rät, sich an andere Glücksfaktoren zu halten. Insbesondere an solche, die weniger von äußeren Zufällen wie Börsentendenzen und Einkommenschancen abhängen. Das sind Freundschaften, Neugier und Abenteuerlust oder kreative Hobbys. Selbst um Ansehen und Status zu erringen, gibt es Alternativen. Epikur & Co. errangen Ansehen, indem sie eine interessante Philosophie entwickelten. Auch Künstler, Bastler, Weltreisende oder Menschen wie Mutter Theresa und Nelson Mandela leisteten nicht nur viel für andere, sondern auch für ihren eigenen Ruhm.

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veröffentlicht im Februar 2009 © by www.berlinx.de

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