Mobilität – jederzeit flexibel einsetzbar sein – ist der positive Mythos in den Zeiten der Globalisierung. Jede sechste Ehe Berufstätiger ist eine Teilzeitbeziehung. Doch wie geht es den betroffenen Frauen und Männern wirklich? Genießen Sie den ständigen Wechsel zwischen Partnerschaft und Singledasein? Oder leiden sie unter der räumlichen Trennung von Familie und Beruf?
Wenn sich in den letzten Jahrzehnten in Liebe und Ehe wirklich etwas verändert hat – außer den gestiegenen Scheidungszahlen – dann ist es das rasante Wachstum der Teilzeitbeziehungen. Vor fünfzig Jahren war die Wochenendehe etwas Außergewöhnliches. Sie kennzeichnete eine Berufsgruppe: die Vertreter. Auch Soldaten, Bauarbeiter auf Montage und einige Führungskräfte nahmen die Trennung auf Zeit in Kauf.
Inzwischen hat sich das Bild grundsätzlich gewandelt. Nicht mehr die speziellen Anforderungen des Jobs lassen die Partner an verschiedene Orte ziehen. Sondern gute Jobs werden knapp und zwingen Arbeitnehmer dorthin zu ziehen, wo sie eine lukrative Stelle finden. Die Art der Tätigkeit spielt kaum ein Rolle.
Solange der Mann als Alleinverdiener die Familie ernährte, trat der Konflikt nicht auf. Frau und Kinder folgten ihm an den Standort seines Arbeitgebers. Eine Studie von Wissenschaftlern der Universitäten in Mainz und Bamberg zeigte, daß Familien, die gemeinsam in eine neue Stadt ziehen, von der Veränderung profitieren. Die neuen Eindrücke, neue Kontakte, der Zwang, sich auf neue Umstände einzustellen – das alles erweitert den Horizont und fördert die seelische Beweglichkeit. Sie trainiert das Anpassungsvermögen.
Die Mehrheit der Paare müssen jedoch für die Mobilität Opfer bringen. Am meisten fühlen sich die Fernpendler belastet – also alle, die täglich mehr als zwei Stunden bis zum Arbeitsplatz unterwegs sind. Wer acht Stunden arbeitet und außerdem je zwei Stunden Anfahrt und Abfahrt in Kauf nimmt, hat in Wahrheit einen Arbeitstag von zwölf und mehr Stunden. Sie leiden nicht so sehr unter dem Zeitmangel, sondern unter der Erschöpfung. Abschalten und die Freizeit dem Partner und den Kindern widmen, ist kaum möglich. Da sie die wenigen Stunden ganz der Familie widmen wollen, können sie kaum Hobbys pflegen oder Kontakte zu Freunden unterhalten.
Ähnlich sind die Verhältnisse, wenn einer woanders arbeitet und dort ein Zimmer mietet. Der außerhalb Wohnende hat keinen echten Lebensmittelpunkt. Wo er wohnt und sich zu Haus fühlt, hält er sich nur kurze Zeit auf. Wo er die meisten Zeit lebt und arbeitet, fühlt er sich unterwegs. Nach einer neuen Studie des amerikanischen Wissenschaftlers Lennart Dimberg leiden die daheim bleibenden Ehepartner unter häufigen, kurzen Trennungen stärker als unter selteneren, längeren Geschäftsreisen des Partners – auch wenn die Zahl der Abwesenheitstage in beiden Fällen gleich ist.
Ursache sind die häufigen Unterbrechungen: Wer zu Hause zurückbleibt, hat keine Möglichkeit, eine feste Struktur in seinen Alltag zu bringen. Die Heimkehrenden würde sich sonst vom Familienleben ausgeschlossen fühlen, was jedoch der zu Hause gebliebene Partner vermeiden möchte. Der Umgang mit diesen Problemen bedeutet Stress für beide. Ergebnis: eine doppelt hohe Rate an psychischen Erkrankungen. Und auch die allgemeine Krankheitsrate ist 16 Prozent erhöht.
Wesentlich besser fühlen sich Paare, bei denen jeder eine eigene Wohnung besitzt. Die beiden besuchen sich abwechselnd. Man sollte denken, daß sie unter einem Mangel an Nähe leiden, da sie keine gemeinsame Wohnung haben. Das ist aber nicht der Fall. Jeder fühlt sich an seinem Wohnort, wo er zugleich lebt und arbeitet, zu Hause. Und freut sich, wenn ihn der/die Geliebte besucht.
Sind Kinder vorhanden, ergibt sich die klassische Rollenverteilung, auch wenn Frau und Mann dagegen angehen. Aber da die Kinder fast in jedem Fall bei ihr wohnen, muß sie die Erziehungs- und Hausarbeit allein leisten. Auch dann, wenn die Männer es gern ändern würden. Was soll er tun, wenn ihm sein Sprößling zu verstehen gibt, daß der Vater ja nur gelegentlich zu Besuch komme und ihm deswegen nichts zu sagen habe? Normen kann nur durchsetzen, wer ihre Einhaltung auch überwachen kann. Dafür ist tägliche Anwesenheit die erste Voraussetzung.
Kein Wunder, daß männliche Pendler oft Familien haben, weibliche Auswärtsarbeiterinnen dagegen nur selten. Dreiviertel der mobilen Frauen bleiben kinderlos. Oft war das Pendeln nur als vorübergehende Lösung gedacht, bis sich was Besseres findet. Doch der ideale Job am idealen Ort fand sich nie. Auch der erhoffte finanzielle Gewinn durch die Karriere fällt meist geringer aus als erwartet. Mindestens 500 Euro im Monat zusätzlich verschlingen die Kosten für das getrennte Wohnen.
Die Befragungen zeigen, daß Fernbeziehungen meist nur in der Zeit des Kennenlernens einen Gewinn darstellen. Als Dauereinrichtung sind sie ein Kompromiß zwischen beruflichem Fortkommen und Partnerschaft. Kompromiß heißt: es müssen Abstriche in Kauf genommen werden. Vier von fünf würden ihr Fernliebe eher heute als morgen in eine Nahbeziehung umwandeln.
Aber sind solche Beziehungen nicht stabiler als Nahehen, die unter zuviel Beieinanderhocken ersticken? Wo derjenige von beiden, der sich stärker eingeengt fühlt, bald den Ausbruch probt? Die Langzeitbeobachtung von Paaren zeigt, daß Fernpaare unter dem Mangel an Intimität leiden. Man trifft sich am Wochenende unter hohem Erwartungsdruck. Alles soll nachgeholt werden, was die Trennung während der Woche verhinderte. Aber daß tagelang Getrennte sofort leidenschaftlich übereinander herfallen, ist ein Hollywoodmythos. Da beide in der Woche unterschiedliche Eindrücke und Stimmungen erlebt haben, begegnen sie einander zunächst mit einer gewissen Fremdheit, die erst abgebaut werden muß. Besonders Paare, die sich seltener als alle drei Wochen treffen, entfremden sich mit der Zeit. Und irgendwann läßt einer von beiden sich an seinem Arbeitsort auf eine neue Liebe ein.
Erstaunlich viele Paare halten an ihren Jobs in verschiedenen Städten fest – obwohl die Beziehung darunter leidet. Oftmals sind die Jobs gar nicht so lukrativ, daß das Opfer sich lohnt. Doch in unserer Zeit ist der eigene Beruf geradezu zum Aushängeschild für Selbständigkeit und Unabhängigkeit geworden. Single zu sein, ist kein Makel mehr. Wohl aber, keinen oder einen unterqualifizierten Job zu haben. Kein Wunder, daß für immer mehr Männer und Frauen der Job vor der Partnerschaft rangiert. Die rasant steigende Zahl der Fernbeziehungen ist ein sichtbarer Hinweis auf diese Entwicklung. Wer weiß – vielleicht werden Paare, die zusammenwohnen und sich Tag für Tag sehen, bald als antiquiert und hoffnungslos spießig gelten.
Veröffentlicht im Mai 2002 © by www.berlinx.de
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