Unsere Serie „Typisch Mann-Typisch Frau“: Teil 2
Biologisches, Psychisches und Soziales in den Geschlechterrollen
Gleich oder verschieden? Keine andere Frage hat der Emanzipationsbewegung soviel Nachdruck verliehen, wie die Suche nach einer neuen Antwort auf diese Frage. Bedeutet aber Gleichberechtigung, daß Männer und Frauen tatsächlich gleich sind. Und wenn es Unterschiede gibt: begründen Sie eine Überlegenheit eines Geschlechtes über das andere?
Laut biblischer Überlieferung schuf Gott zuerst den Mann Adam und dann erst das Weib Eva aus seiner Rippe. In Wirklichkeit war es eher umgekehrt. Die Genetiker Bruce Lahn und David Page von der Universität Chicago konnten durch moderne Gen-Analyse nachweisen, daß das weibliche X-Chromosom älter ist als das männliche Y-Chromosom. Die Kirche reagierte sofort und ließ durch den Informationsbeauftragten der Schweizer Bischofskonferenz erklären, es spiele keine Rolle, wer zuerst da war, Mann und Frau seien beide von Gott gewollt.
Damit bestätigen die biologischen Ahnenforscher, was wir über die Embryonalentwicklung menschlicher Individuen schon lange wissen. Genetisch ist der Mensch grundsätzlich als Frau angelegt. Nur wenn die Geninformation aus dem Y-Chromosom hinzukommt, entsteht ein Junge. Sind ein X- und ein Y-Chromosom vorhanden, erweist sich das Y-Chromosom jedoch als defekt, entwickelt sich ein Mädchen. Umgekehrt würde aber ein heiles Y-Chromosom allein nicht ausreichen, um einen gesunden Jungen zu bilden. Das männliche Geschlecht benötigt die Erbinformation beider Chromosomen. Aus diesem Grunde ist das männliche das störanfälligere Geschlecht, wie Mediziner schon lange wissen, angefangen von der höheren Säuglingssterblichkeit unter Jungen bis zu der geringeren Lebenserwartung von Männern ( 74 Jahre) im Vergleich zu Frauen (80 Jahre).
Die Entscheidung, ob ein werdendes Kind Junge oder Mädchen wird, wird nicht nur einmal, sondern viermal getroffen. Wir berichteten bereits in dem Beitrag „Transsexualität“ in der Oktoberausgabe 1999 darüber. Hier noch einmal die entscheidenden Fakten:
Das genetische Geschlecht: Es entsteht bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle und besteht entweder aus der Chromosomenkombination XX (weiblich) oder XY (männlich).
Das hormonelle Geschlecht: die Erbanlagen auf dem XX- bzw. XY-Chromosom sorgen zunächst nur für die Hormone, also Botenstoffe, die im Körper kreisen und die eigentliche Geschlechtsentwicklung einleiten. Fehlen männliche, also Y-Geninformationen, entstehen automatisch weibliche Hormone. Das weibliche Geschlecht ist also immer primär.
Das körperliche Geschlecht: die Hormone steuern die Entwicklung der weiblichen oder männlichen Geschlechtsorgane, aber auch der entsprechenden Zentren im Gehirn. Dadurch empfinden wir später so, wie wir äußerlich gebaut sind.
Das psychosoziale Geschlecht: Der Grundstock wird mit der vorgeburtlichen Gehirnentwicklung gelegt. Entscheidend für das Endergebnis ist aber die Erziehung. Welche Rollenmuster aus der Umgebung verbindet das Kind mit seiner angeborenen Geschlechtsidentität? Hier hat die Umwelt einen großen Einfluß. Ist das Gehirn aber durch Einwirkung der „falschen“ Hormone vor der Geburt auf eine andere Identität geprägt als sein Körperbau vermuten läßt, wählt das Kind auch spontan und gegen den Widerstand der Eltern das Spielzeug, die Kleidung und typische Verhaltensweisen des anderen Geschlechts.
Die Unterschiede auf der rein körperlichen Ebene wird kaum jemand bestreiten. Neben den auffälligen äußerlichen Unterschieden der Geschlechtsorgane gibt es eher subtile Abweichungen. Zum Beispiel:
Daß viele Männer eine Glatze bekommen, liegt letztlich an Ihren Geschlechtshormonen. Beweis: Eunuchen behalten ihr volles Haar bis ins hohe Alter. Frauen verlieren auch deswegen weniger Haare, weil ihre Haarwurzeln zwei Millimeter tiefer sitzen und das Haar darin fester verankert ist. Bei Untrainierten ist die körperliche Leistungskraft der Frauen geringer. Das liegt nicht nur an der schwächeren Muskulatur und dem zierlicheren Knochenbau. Auch ihre Ausdauerleistung ist geringer, denn ihr Herz ist kleiner. Obwohl es im Mittel schneller schlägt (90mal pro Minute, Männer 75mal) pumpt es weniger Blut in die Lunge. Ihre Haut ist anders gebaut als seine. Sie bekommt früher Falten, weil die Haut 0,15 Millimeter dünner ist und weniger Schweiß- und Talgdrüsen hat. Für eine eventuelle Schwangerschaft muß ihre Haut äußerst dehnbar sein. Deshalb stehen ihre Fettzellen parallel zueinander. Die des Mannes sind kreuzweise vernetzt und halten das Gewebe fest. Der Nachteil für sie: Sie bekommt Cellulitis, er nicht.
Auch die höhere Sensibilität der weiblichen Sinnesorgane ist unumstritten. Frauen unterscheiden mehr Farbnuancen, reagieren sensibler auf Gerüche und Geräusche, sie schmecken Bitteres deutlicher heraus (Männer reagieren hingegen empfindsamer auf Salziges). Wie steht es aber mit Denken, Gefühlen und Verhalten?
Beim Embryo wird die Entwicklung der Jungen durch männliche Geschlechtshormone, (Androgene wie Testosteron oder Androstendion), die der Mädchen durch weibliche Östrogene beeinflußt. Es wäre daher nur logisch, wenn man später Unterschiede im Gehirn und damit im Bewußtsein finden würde. Bei Tests an Kindern und Erwachsenen ist es leider so gut wie unmöglich zu trennen, was von den Genen und was aus der Erziehung stammt. Dennoch sind einige Resultate ziemlich zuverlässig, die neben Tests auch Kulturvergleiche einbezogen.
Im Intellekt sind die durchschnittlichen Leistungen etwa identisch. Mädchen haben eine leichte Überlegenheit im sprachlichen und kreativen Bereich, Jungen bei abstrakten, mathematischen und logischen Aufgaben. Bei Frauen sind linke und rechte Hirnhälfte stärker vernetzt. Dadurch können sie leichter Erfahrungen und Wissen auf einem Bereich in einen anderen übertragen. Männern fällt es dafür leichter, verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun wie Musik hören und mitsingen und zugleich rückwärts einparken. Für das erste nutzen sie eher die rechte, für das zweite die linke Hirnhälfte – und beide stehen einander nicht im Weg. Insgesamt ist die Bilanz aber ausgeglichen.
Anders sieht die Sache im Gefühlsbereich aus, der viel stärker von hormonellen Schwankungen abhängt als das reine Denken. Die typisch männliche Neigung bei Konflikten mit körperlichen Aggressionen zu reagieren, wird unmittelbar von den Androgenen beeinflußt. Das bedeutet: es ist nicht nur so, daß Jungen aggressiver und durchsetzungsfähiger sind, weil die Eltern ihnen mehr Freiräume gewähren. Sondern auch das Umgekehrte gilt: Die Eltern gewähren ihnen mehr Freiräume, weil sie sich im Durchschnitt weniger als Mädchen elterlichen Verboten unterwerfen.
Die eher weiblichen Tugenden Romantik und Zuwendung werden durch weibliche Hormone Progesteron und Östroradiol begünstigt. Daß Frauen sich in der Tat als Kind im Spiel und später in der Berufswahl und in Moralfragen stärker an zwischenmenschlichen Aspekten orientieren als Männer, konnte von verschiedenen Wissenschaftler nachgewiesen werden. Der französische Hormonforscher Jean-Didier Vincent spricht sogar von einem „hormonalen Gehirn“ das für unsere Leidenschaften verantwortlich ist. Im Tierversuch konnte außerdem gezeigt werden, daß das weibliche Östroradiol die Attraktivität beeinflußt, und zwar über den Geruch.
Diese Zusammenhänge haben zur Folge, daß es zwar kaum Unterschiede im Intelligenzquotienten, wohl aber im Lernverhalten gibt, denn das ist außer von der Intelligenz auch von Motivation, Stimmung und Selbsteinschätzung abhängig. Und da zeigt sich, daß Mädchen größere Angst vor Prüfungen haben. Der Unterschied zwischen faktischem Können und eigenem Zutrauen ist bei Jungen geringer. Doch es ergeben sich auch unterschiedliche Lernstile. Mädchen neigen mehr zum Auswendiglernen, Jungen mehr zu logischem Problemlösen. Wird eine Prüfung oder Klassenarbeit unter Zeitdruck geschrieben, so versuchen Jungen möglichst schnell fertig zu werden, während Mädchen eher darauf achten, keine Fehler zu machen, dabei aber leicht die Zeit überziehen.
Wie sich Geschlechtsunterschiede im Verhalten zeigen, hängt von der Erziehung ab. Die Diskussion um den Wandel der Geschlechterrollen verwechselt häufig zwei Arten von Unterschieden: die geschlechtsspezifischen und die geschlechtstypischen.
Unser biologisch-genetisches Erbe erzeugt einige geschlechtsspezifische Unterschiede. Das sind Merkmale, in denen sich Frauen und Männer absolut unterscheiden. Das betrifft die äußeren Geschlechtsmerkmale, aber auch die dominierenden Sexualhormone. (Dominierend deshalb, weil jede Frau auch einen Anteil männlicher Hormone besitzt, so wie jeder Mann auch in geringer Menge weibliche Hormone produziert.)
Die meisten Unterschiede sind jedoch nur geschlechtstypisch. Diese Unterschiede sind nicht absolut, sondern nur relativ, betreffen nur die Häufigkeit. Körperliche Gewalt etwa ist bei Männern häufiger, kommt aber auch bei Frauen vor. Sie neigen eher zu subtilen, weniger offensichtlichen Formen der Aggression oder befriedigen ihre Rachebedürfnisse in der Phantasie. Woher kämen sonst die vielen erfolgreichen Krimiautorinnen? Im Endeffekt wird man eine Reihe Frauen finden, die aggressiver sind als mancher Mann
Die Tendenz, daß Mädchen sich angepaßter und diszplinierter verhalten als Jungen, wird durch das veränderte Rollenverständnis der Gegenwart gemildert, aber nicht aufgehoben. Die Erziehung ist eben grundsätzlich erfolgreicher, wenn sie die natürlichen Impulse unterstützt. Versuche, ein Kind zu bewegen, entgegen seinen Neigungen zu handeln, scheitern häufiger. Deswegen werden auch in Zukunft Mädchen öfter Dolmetscher und seltener Mathematiker werden als Jungen.
Was es zu beseitigen gilt, sind nicht die Unterschiede, sondern die Diskriminierungen. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wann eine Diskriminierung vorliegt, weil auseinander – und nicht nur zwischen Männern und Frauen. In einer Befragung von 1970 gaben 13 Prozent der Frauen an, männlichen Chauvinismus und Diskriminierungen erfahren zu haben. 1983 waren es bereits 44 Prozent, obwohl sich die Situation in der Zwischenzeit objektiv verbessert hatte. Der Zuwachs ist allein auf das gewachsene Problembewußtsein der Frauen zurückzuführen. In einer Untersuchung von 1990 unter Jugendlichen, die mehr ins Detail ging, glaubten 29 Prozent der Mädchen, daß sie benachteiligt seien. Aber 51 Prozent der Mädchen meinten sogar, sie hätten gelegentlich Vorteile.
Darin könnte sich eine Wende zu einer differenzierten Sicht auf das andere Geschlecht abzeichnen, obwohl in allen Befragungen von Frauen über Männer das starke Geschlecht weiterhin nicht allzu gut abschneidet. Welche typisch männlichen und welche typisch weiblichen Eigenschaften sind schuld daran, daß Männer und Frauen einander so schlecht verstehen?
Mehr dazu im 3. Teil unserer Serie „Typisch Frau – Typisch Mann“ mit dem Titel:
Frauen reden, Männer handeln
Wie wir einander verstehen lernen
Veröffentlicht im Januar 2000 © by www.berlinx.de
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