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Ausgabe 11/1999
Weihrauch
Vom Kirchennebel zum alternativen Heilmittel

Mit Weihrauch assoziieren die meisten von uns fäßchenschwenkende Priester, um die ein duftender Nebel aufsteigt, der Halluzinationen erzeugt. Weniger bekannt ist, daß Weihrauch seit Jahrtausenden im Orient als Heilmittel geschätzt wird und zur Zeit von der westlichen Medizin wieder entdeckt wird. EGONet gibt Ihnen einen Überblick.  
 
Weihrauch wird aus dem Harz des indischen Weihrauchbaumes und neuerdings auch eines afrikanischen Verwandten gewonnen. Dieser Baum ist eines von 600 bekannten Balsam-baumgewächse, zu denen beispielsweise auch der Myrrhestrauch gehört.

Der Weihrauchbaum wird nur wenige Meter groß und gedeiht in den Trockengebieten Indiens, Arabiens und Afrikas. Aus kleinen Öffnungen in der Rinde tritt ein Balsam aus, der an der Luft hart wird, weil das enthaltene ätherische Öl nach und nach verdunstet. Zurück bleibt eine klebrige gelbbraune, halb durchsichtige Masse, das Weihrauchharz. Setzt man dem Harz wieder Öl zu, kann es sich zurück in flüssiges Balsam verwandeln.

Im Altertum waren Medizin und Religion eng verbunden. Spuren davon sind noch heute in der Sprache zu finden: Wenn etwas heilt, dann ist es „heil-ig". Erste Hinweise auf die Verwendung von Weihrauch finden sich dreieinhalbtausend Jahre alten Texten aus dem Niltal. Die Ägypten nutzten Weihrauch für den guten Geruch der Luft, für Salben und Wundbehandlungen. Vor dreitausend Jahren gab es bereits feste Handelswege, die „Weihrauchstraßen", die das kostbare Harz einerseits aus Somalia und Äthiopien, andererseits aus Indien und den Ländern am Roten Meer nach Ägypten und Mesopotamien brachten. Auch das spätere römische Imperium war ein großer Abnehmer von Weihrauch. Hippokrates und andere griechisch-römische Ärzte setzten Weihrauch zur Wundreinigung, gegen Krankheiten der Atemwege und bei Verdauungsproblemen ein. Über die Wirkungsmechanismen war nichts bekannt, aber die praktischen Erfolge waren wohl zahlreich genug, daß das teure Mittel auch noch im Mittelalter – zum Beispiel von Hildegard von Bingen – als Medizin eingesetzt wurde.

Erst Antibiotika, Cortison und ähnliche Infektionsstopper der modernen Schulmedizin ließen Weihrauch als Heilmittel in Vergessenheit geraten, so daß es nur noch als Duftquelle bei religiösen Zeremonien, besonders in der russisch-orthodoxen Kirche ein Schattendasein führte. Doch seit die Sensibilität für die Folgen der Anwendung massiver „chemischer Keulen" in der Medizin wächst – wachsende Resistenz von Krankehitserregern gegen Antibiotika und schwere Nebenwirkungen bei der Langzeitgabe von Cortison – besinnen sich Ärzte und Patienten wieder auf sanfte Heilmittel aus der Natur.

Medizin und Naturheilkunde ergänzen sich. Erst moderne Labormethoden erlaubten festzustellen, worauf die Heilwirkung von Weihrauch beruht. 1991 fanden der Tübinger Professor Ammon und seine Mitarbeiter in dem Harz den entzündungshemmenden Wirkstoff Acetyl-11-keto-b-Boswellia-Säure (AKBA).

Entzündungen sind ein Selbstheilungsvorgang im Körper bei Verletzungen und innere Schädigungen. Dringen Bakterien, Viren oder andere Parasiten ein, wehrt sich das Immunsystem. Zuerst weiten sich die Blutgefäße, um mehr Blut zu der gefährdeten Stelle vorzulassen - äußerlich durch die Rötung und das Anschwellen der betroffenen Körperpartie sichtbar. Danach dringen Immunzellen, die Leukozyten in das gefährdete Gebiet vor und vernichten die körperfremden Eindringlinge. Der Abwehrkampf verursacht Schmerzen und gelegentlich Fieber.

Im Normalfall ist irgendwann der Feind besiegt und die Entzündung klingt ab. Leider gibt es eine Reihe von Krankheiten, bei denen die Entzündung auf Dauer bestehen bleibt oder über Jahre an- und abschwillt. Dazu gehören Allergien, bei denen eigentlich harmlose Substanzen wie Pollen oder Staub das Immunsystem in Aufruhr versetzen oder besondere Autoimmunerkrankungen, in denen fehlgesteuerte Leukozyten körpereigene Zellen angreifen. Die bekannteste Krankheiten dieser Art sind Rheuma und Arthritis, bei denen es zu dauerhaften (chronischen) Entzündungen der Gelenke kommt.

Die Patienten leiden unter Dauerschmerzen, gegen die Entzündungshemmer eingesetzt werden. Der bekannteste ist Aspirin®, das allerdings nur bei leichten Schmerzen wirkt. Gegen stärkere Beschwerden werden härtere Substanzen, wie Cortison eingesetzt. Diese Stoffe haben zwei Nachteile:

1. Sie wirken unspezifisch. Sie bekämpfen nicht nur die chronische Entzündung, sondern hemmen generell jede Leukozytenreaktion. Das bedeutet, daß jede andere kurzfristige Entzündung schlecht verheilt.

2. Entzündungshemmer greifen die Magenschleimhaut an.

Man sucht daher nach Alternativen. Weihrauch wäre eine, weil der Wirkstoff AKBA Entzündungen hemmt, aber bisher keine größeren Nebenwirkungen beobachtet wurden. Da der Wirkstoff bekannt ist, muß der Patient sich weder ein Rauchfäßchen umhängen noch das Harz auf die entzündliche Stelle auflegen. Weihrauchpräparate liegen in Tablettenform vor. Eine Tablette enthält üblicherweise 400 Milligramm AKBA.

Die Dosis muß individuell mit dem Arzt festgelegt werden, weil eine zu geringe Dosis die Entzündung noch stimulieren kann, wenn der Körper sich – ähnlich wie bei einer Impfung – an den Wirkstoff gewöhnt. Zu hoch sollte die Dosis auch nicht sein, auch wenn die gesundheitlichen Gefahren gering sind. Erst bei mehr als 300 Tabletten pro Tag bestünde Lebensgefahr.

Weihrauch ist sicher kein neues Wundermittel. Er kann aber dazu dienen, die Menge der chemischen Keulen zu reduzieren. So wird es möglich, Cortison nur bei starken Schüben der Krankheit einzusetzen und in den Zwischenphasen mit Weihrauchpräparaten die Dauerentzündung auf einem niedrigen Niveau zu halten. Für viele Entzündungskrankheiten liegen allerdings noch keine zuverlässigen Heilungszahlen vor. Seit Herbst 1999 werden die Heilungschancen durch Weihrauch bei Asthma und Dickdarmentzündungen (Colitis ulcerosa) in kontrollierten Studien ermittelt. Sollten sich die Hoffnungen der Ärzte bestätigen, könnte es bald schon heißen: „Heute schon deine Ration Weihrauch geschluckt?"

Literatur: Regina Sauer: Weihrauch. Hilfe bei Rheuma und chronischen Darmerkrankungen. Falken Taschenbuch, Niedernhausen/Ts. 1999, DM 12,90

 

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