Weihrauch wird aus dem Harz des indischen Weihrauchbaumes und neuerdings
auch eines afrikanischen Verwandten gewonnen. Dieser Baum ist eines von 600
bekannten Balsam-baumgewächse, zu denen beispielsweise auch der
Myrrhestrauch gehört.
Der Weihrauchbaum wird nur wenige Meter groß und gedeiht in den
Trockengebieten Indiens, Arabiens und Afrikas. Aus kleinen Öffnungen
in der Rinde tritt ein Balsam aus, der an der Luft hart wird, weil das enthaltene
ätherische Öl nach und nach verdunstet. Zurück bleibt eine
klebrige gelbbraune, halb durchsichtige Masse, das Weihrauchharz. Setzt man
dem Harz wieder Öl zu, kann es sich zurück in flüssiges Balsam
verwandeln.
Im Altertum waren Medizin und Religion eng verbunden. Spuren davon sind noch
heute in der Sprache zu finden: Wenn etwas heilt, dann ist es heil-ig".
Erste Hinweise auf die Verwendung von Weihrauch finden sich dreieinhalbtausend
Jahre alten Texten aus dem Niltal. Die Ägypten nutzten Weihrauch für
den guten Geruch der Luft, für Salben und Wundbehandlungen. Vor dreitausend
Jahren gab es bereits feste Handelswege, die Weihrauchstraßen",
die das kostbare Harz einerseits aus Somalia und Äthiopien, andererseits
aus Indien und den Ländern am Roten Meer nach Ägypten und Mesopotamien
brachten. Auch das spätere römische Imperium war ein großer
Abnehmer von Weihrauch. Hippokrates und andere griechisch-römische
Ärzte setzten Weihrauch zur Wundreinigung, gegen Krankheiten der Atemwege
und bei Verdauungsproblemen ein. Über die Wirkungsmechanismen war nichts
bekannt, aber die praktischen Erfolge waren wohl zahlreich genug, daß
das teure Mittel auch noch im Mittelalter zum Beispiel von Hildegard
von Bingen als Medizin eingesetzt wurde.
Erst Antibiotika, Cortison und ähnliche Infektionsstopper der modernen
Schulmedizin ließen Weihrauch als Heilmittel in Vergessenheit geraten,
so daß es nur noch als Duftquelle bei religiösen Zeremonien, besonders
in der russisch-orthodoxen Kirche ein Schattendasein führte. Doch seit
die Sensibilität für die Folgen der Anwendung massiver
chemischer Keulen" in der Medizin wächst wachsende Resistenz
von Krankehitserregern gegen Antibiotika und schwere Nebenwirkungen bei der
Langzeitgabe von Cortison besinnen sich Ärzte und Patienten wieder
auf sanfte Heilmittel aus der Natur.
Medizin und Naturheilkunde ergänzen sich. Erst moderne Labormethoden
erlaubten festzustellen, worauf die Heilwirkung von Weihrauch beruht. 1991
fanden der Tübinger Professor Ammon und seine Mitarbeiter in dem Harz
den entzündungshemmenden Wirkstoff Acetyl-11-keto-b-Boswellia-Säure
(AKBA).
Entzündungen sind ein Selbstheilungsvorgang im Körper bei Verletzungen
und innere Schädigungen. Dringen Bakterien, Viren oder andere Parasiten
ein, wehrt sich das Immunsystem. Zuerst weiten sich die Blutgefäße,
um mehr Blut zu der gefährdeten Stelle vorzulassen - äußerlich
durch die Rötung und das Anschwellen der betroffenen Körperpartie
sichtbar. Danach dringen Immunzellen, die Leukozyten in das gefährdete
Gebiet vor und vernichten die körperfremden Eindringlinge. Der Abwehrkampf
verursacht Schmerzen und gelegentlich Fieber.
Im Normalfall ist irgendwann der Feind besiegt und die Entzündung klingt
ab. Leider gibt es eine Reihe von Krankheiten, bei denen die Entzündung
auf Dauer bestehen bleibt oder über Jahre an- und abschwillt. Dazu
gehören Allergien, bei denen eigentlich harmlose Substanzen wie Pollen
oder Staub das Immunsystem in Aufruhr versetzen oder besondere
Autoimmunerkrankungen, in denen fehlgesteuerte Leukozyten körpereigene
Zellen angreifen. Die bekannteste Krankheiten dieser Art sind Rheuma und
Arthritis, bei denen es zu dauerhaften (chronischen) Entzündungen der
Gelenke kommt.
Die Patienten leiden unter Dauerschmerzen, gegen die Entzündungshemmer
eingesetzt werden. Der bekannteste ist Aspirin®, das allerdings nur bei
leichten Schmerzen wirkt. Gegen stärkere Beschwerden werden härtere
Substanzen, wie Cortison eingesetzt. Diese Stoffe haben zwei Nachteile:
1. Sie wirken unspezifisch. Sie bekämpfen nicht nur die chronische
Entzündung, sondern hemmen generell jede Leukozytenreaktion. Das bedeutet,
daß jede andere kurzfristige Entzündung schlecht verheilt.
2. Entzündungshemmer greifen die Magenschleimhaut an.
Man sucht daher nach Alternativen. Weihrauch wäre eine, weil der Wirkstoff
AKBA Entzündungen hemmt, aber bisher keine größeren
Nebenwirkungen beobachtet wurden. Da der Wirkstoff bekannt ist, muß
der Patient sich weder ein Rauchfäßchen umhängen noch das
Harz auf die entzündliche Stelle auflegen. Weihrauchpräparate liegen
in Tablettenform vor. Eine Tablette enthält üblicherweise 400
Milligramm AKBA.
Die Dosis muß individuell mit dem Arzt festgelegt werden, weil eine
zu geringe Dosis die Entzündung noch stimulieren kann, wenn der Körper
sich ähnlich wie bei einer Impfung an den Wirkstoff
gewöhnt. Zu hoch sollte die Dosis auch nicht sein, auch wenn die
gesundheitlichen Gefahren gering sind. Erst bei mehr als 300 Tabletten pro
Tag bestünde Lebensgefahr.
Weihrauch ist sicher kein neues Wundermittel. Er kann aber dazu dienen, die
Menge der chemischen Keulen zu reduzieren. So wird es möglich, Cortison
nur bei starken Schüben der Krankheit einzusetzen und in den Zwischenphasen
mit Weihrauchpräparaten die Dauerentzündung auf einem niedrigen
Niveau zu halten. Für viele Entzündungskrankheiten liegen allerdings
noch keine zuverlässigen Heilungszahlen vor. Seit Herbst 1999 werden
die Heilungschancen durch Weihrauch bei Asthma und Dickdarmentzündungen
(Colitis ulcerosa) in kontrollierten Studien ermittelt. Sollten sich die
Hoffnungen der Ärzte bestätigen, könnte es bald schon
heißen: Heute schon deine Ration Weihrauch geschluckt?"
Literatur: Regina Sauer: Weihrauch. Hilfe bei Rheuma und chronischen
Darmerkrankungen. Falken Taschenbuch, Niedernhausen/Ts. 1999, DM 12,90